BücherbesprechungHabemus Leonem

Andreas R. Batlogg sowie Stefan von Kempis haben schnell Bücher über den neuen Papst geschrieben. Sie bieten erste Annäherungen.

Buchcover Andreas R. Batlogg, LEO XIV. Der neue Papst

Für die Live-Berichterstattung und die tagesaktuellen Medien war es eine gewaltige Herausforderung, den neuen Papst binnen Minuten und Stunden einzuschätzen. Nicht minder herausfordernd auch die Unternehmung zweier Verlage, schon Ende Mai erste Bücher zum 266. Nachfolger des Apostels Petrus vorzulegen. Viel mehr Zeit als eine Woche dürfte den dafür gewonnenen Autoren für die Erstellung des Manuskripts nicht zur Verfügung gestanden haben.

Wer ist Leo XIV. nach ihrem Befund? Oder besser: Was lässt sich sagen über den „vormals“ Robert Francis Prevost genannten Kirchenmann, der seine neue Unterschrift noch üben muss, wie er humorvoll bei einer spontanen Begegnung in Rom gestand? In unterschiedlicher Weise gehen Andreas R. Batlogg (Herder) und Stefan von Kempis (Patmos) diese Aufgabe an. Die Herangehensweisen scheinen dabei eng mit ihrer beruflichen und persönlichen Erfahrung verbunden.

Der Jesuit und langjährige Chefredakteur der Zeitschrift Stimmen der Zeit Andreas R. Batlogg knüpft an verschiedene Publikationen zu seinem Ordensbruder Franziskus an. Immer wieder hat er das Denken, Handeln und Entscheiden (oder auch Nicht-Entscheiden) des verstorbenen Papstes aus der ignatianischen Spiritualität heraus gedeutet und vermittelt. So legt er ein Buch vor, das „eben keine umfassende Biografie sein kann und will, sondern ein ausführliches Porträt Leos und eine Analyse des Pontifikats Franziskus’ im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen“.

In der Tat nimmt die Analyse des Pontifikats des Vorgängers breiten Raum ein. Dies kann irritieren in einem Buch, das den neuen Papst vorstellen will – oder aber hilfreich sein, wenn man das neue Pontifikat vor allem vor dem Hintergrund des zu Ende gegangenen sehen will. Beginnend schon beim Werdegang: Leo XIV. bringt, schreibt Batlogg, „ähnlich wie Jorge Mario Bergoglio, viel Leitungserfahrung ein“. Aber auch im Werdegang insgesamt und den ersten inhaltlichen Konturen der Ansprachen sieht der Autor viel Kontinuität: „Die Vita Leos lässt den Schluss zu, dass das ‚Gehen an die Peripherie‘, dass die ‚verbeulte Kirche‘, die Franziskus eingefordert hatte, dem neuen Papst im wahrsten Sinne des Wortes am Herzen liegt.“ Batlogg ist sich sicher: „Im Stil wird er sich von seinem Vorgänger unterscheiden – er trug die rote Sommermozetta und die Prachtstola –, aber die Weichenstellungen seines Vorgängers Franziskus wird er weiterführen.“ Die entscheidenden Begriffe sieht er schon im ersten Auftritt: „Die ersten Worte des neuen Papstes, in denen dieser auch auf den heiligen Augustinus verwiesen hat, ließen eine Skizze seines Pontifikatsprogramms erkennen: Gerechtigkeit und Frieden, Brücken statt Mauern, synodale Kirche.“

Erhellend sind Batloggs Erläuterungen zur Verwurzelung und Prägung Leos (bzw. Prevosts) im Augustinerorden. Hoffnungsvoll ist er im Hinblick auf den Apparat der Kurie, den er künftig auch aus dieser Erfahrung zu führen hat. Denn die meisten Hinweise deuteten laut Batlogg daraufhin, dass der Ordensmann Prevost das Leben in Gemeinschaft zutiefst verinnerlicht habe und zugleich in der Lage sei, eine solche Gemeinschaft zu führen. Natürlich gebe es keine Sicherheit, „doch es darf vermutet und gehofft werden, dass diese altehrwürdigen Führungsleitlinien [des Ordens], die höchst modern sind, durch ihn angewendet werden – es würde der Kirche ohne Zweifel gut zu Gesicht stehen und könnte eine wertvolle Ausgangslage für die Art und Weise sein, wie Leo vor allem in und mit der Kurie agiert.“

Batlogg berichtet immer wieder auch von eigenen Erlebnissen in Rom während des Konklaves und der ersten Tage des neuen Pontifikats, von Momenten der Rührung auch an Franziskus’ Grab. So wird hier ein (auch persönlicher) jesuitisch-„franziskanischer“ Denk- und Erfahrungshintergrund zu einem möglichen Schlüssel für das neue Pontifikat. Es wird sich zeigen, inwieweit dieser Schlüssel passen wird. Denn: „Wie sehr ein Papst als Projektionsfläche der eigenen Wünsche und Hoffnungen dient und wie selten er allen gerecht werden kann, das konnten wir bereits bei Franziskus beobachten.“ An mancher Stelle im Buch meint man, dem Text den zeitlichen Druck der Erstellung anzumerken – aber alles andere wäre auch verwunderlich.

Weniger persönlich gefärbt im Blick auf die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse konzentriert sich Stefan von Kempis vor allem auf die Person und den Werdegang des neuen Papstes. Als Redaktionsleiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan/ Vatican News ist er ein langjähriger Vatikankenner und bereits Autor verschiedener Papstbücher. Auch er trägt die wesentlichen Daten und Fakten rund um das neue Pontifikat zusammen (viele Informationen sind in beiden Büchern naturgemäß gleichermaßen zu finden), aber sein Blick auf das zu Ende gegangene Pontifikat und sein Konklave-Kapitel bleiben kurz. Er bemüht sich darum, in allem auch den Menschen vorzustellen, der zum Papst gewählt wurde.

„Farbig“ wird das Buch dabei nicht nur (aber auch) durch die eingefügten Abbildungen. Vor allem gelingt es Stefan von Kempis, die menschliche Seite des Kirchenmanns Robert Prevost durch immer wieder eingestreute Beschreibungen, kurze Zitate und Anekdoten zu veranschaulichen. „Er fährt gern Auto. Er spielt ganz passabel Tennis, mit starker Rückhand, wie es heißt. Er ist ein Baseball-Fan, seine Lieblingsmannschaft sind die ‚White Sox‘ aus Chicago; in Italien drückt er der Fußballmannschaft ‚AS Roma‘ die Daumen. Er ist polyglott, spricht Fremdsprachen ohne wahrnehmbaren amerikanischen Akzent, liest und versteht auch Deutsch. Interviews gibt er nicht gern, und überhaupt steht er lieber in der zweiten Reihe als im Rampenlicht. Dicke Bücher hat er nicht geschrieben, aber er liest viel. Und während des Konklaves hat er nach dem Essen in der Casa Santa Marta beim Abräumen des Geschirrs geholfen. Es sind solche und ähnliche biografische Splitter, die im Einzelnen nicht unbedingt stimmen müssen (das ist die hohe Stunde der Mythenbildung), die aber zusammengelegt das Bild eines Papstes entstehen lassen, der vor allem eines ist: normal.“

Immer wieder lässt von Kempis Eindrücke von Begegnungen einfließen, etwa von Gesprächspartnern Prevosts bei deutschen Provinzkapiteln: „Da ist er nie als einer aufgetreten, der jetzt der Obere ist und Ansagen macht, was Sache ist. Er ist ein Mensch, der zuhört, der hinschaut und Interesse an den Menschen um ihn herum hat. […] Sein Auftreten ist bescheiden. Er plaudert nicht einfach los, und wenn er etwas sagt, dann tut er das überlegt und fundiert.“ Dabei bleibt Stefan von Kempis jedoch nicht beim Anekdotischen stehen, denn dies könne den Blick darauf verstellen, was das Besondere an Robert Francis Prevost sei: „Er vereint in seiner Biografie Nord- und Südamerika, die westliche Welt und den globalen Süden, Liebe zur kirchlichen Tradition und Eifer fürs Soziale. Er ist zum Brückenschlag zwischen verschiedenen Strömungen in der Kirche imstande – ist somit tatsächlich, wie in diesen Tagen einige beobachten, eine Art Synthese aus Benedikt XVI. und Franziskus. Und er ist pragmatisch, verfügt über Seelsorge- und Missionserfahrung, kennt die Weltkirche in all ihrer Vielfalt, außerdem die Abläufe an der römischen Kurie.“

Und was kann die deutsche Kirche von Leo XIV. erwarten? Stefan von Kempis bezieht sich hier auf Georg Bätzing, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz: „Der Kirche in Deutschland stärke es den Rücken, dass der neue Papst sich unmittelbar zu einer synodalen Kirche, die voranschreitet und für alle Menschen da sein will, bekannt habe. Gerade seine Würdigung von Papst Franziskus zeigt, dass sich Papst Leo XIV. in Kontinuität zu seinem Vorgänger sieht.“ Doch bemerkt von Kempis auch: „Der Limburger Bischof unterlässt den Hinweis, dass Franziskus seine Schwierigkeiten mit dem ‚Synodalen Weg‘ hatte, und dass einer der blauen Briefe aus dem Vatikan zur Bremsung des Reformeifers jenseits der Alpen auch die Unterschrift Prevosts trug.“ Wie bei so vielem gilt es auch hier, abzuwarten und zu beobachten, wie sich der neue Papst verhalten wird. Und eine Randnotiz: Gerade angesichts der Auswahl an Abbildungen verwundert es, dass als Titelbild dieses Buchs eine Fotomontage verwendet wurde – sie zeigt Kardinal (!) Prevost bei der Trauermesse für Papst Franziskus am 28. April, allerdings schon mit dem päpstlich-weißen Pileolus.

Worin liegen die Herausforderungen, derer Papst Leo sich wohl annehmen wird? Wenig überraschend finden sich beide Autoren der hier zu besprechenden Bücher in großer Übereinstimmung: Synodalität, Missbrauch, die Rolle der Frauen in der Kirche, der Kommunionempfang von Geschiedenen, die wiederverheiratet sind, sowie der Umgang mit homosexuellen Menschen werden genannt. Natürlich auch die internationale Politik, die Sorge um Frieden und Gerechtigkeit, denn, nomen est omen, mit der namentlichen Anknüpfung an Leo XIII. hat der neue Papst hier ja einen wesentlichen Teil seines „Programms“ selbst anklingen lassen.

Wer sich jenseits der Frage, ob es solche schnell erstellten Publikationen überhaupt braucht, auf die Perspektiven der Autoren einlässt, wird in beiden Bänden erste Annäherungen an Leo XIV. finden. „Hier entsteht gerade etwas Neues“, schreibt Stefan von Kempis, „und man wird in Ruhe beobachten dürfen, wie sich dieses Neue allmählich entfaltet.“ Spätestens ab jetzt.

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