Die Wochensprüche im Mai 2025

Misericordias Domini, 4.5.2025

Johannes 10,11a.27-28a: Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.

Vertrauen ist hier alles. Der Hirte, die Schafe, da passt kein Blatt dazwischen. Und dieses Vertrauen schwindet. Das Bild vom guten Hirten zieht nicht mehr. Die Schafe hören auf andere Stimmen und gehen fröhlich ihrer Wege. Und das ewige Leben? Kein Ziel, das den Preis der Gefolgschaft wert wäre. Es gibt unterwegs wahrlich saftigere Weiden zu entdecken und abzugrasen. Und so wird die Herde immer überschaubarer. Kirche in der Krise tut gut daran, diesen Wochenspruch für voll zu nehmen. So, wie er hier steht, zerreißt er ja den Text, mit einer Auslassung von 15 ½ Versen; Verse, die das Bild des romantischen Schäfers mit dem wirklichen Leben konfrontieren. „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der kein richtiger Hirte ist, weil ihm die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf fällt über die Schafe her und zerstreut sie.“ Das ist ein Realitätscheck, vor allem aber ist es ein Erkennungskriterium. Der gute Hirte ist bereit, um der ihm Anvertrauten willen auf alles zu verzichten, Macht, Ehre, Einfluss, Anerkennung, Leben. Und er spricht nicht bloß davon, er tut es auch. Das macht ihn vertrauenswürdig. Er ist anders. Er unterscheidet sich von denen, die Menschen für ihre Zwecke benutzen und im schlimmsten Fall die Wölfe auf sie loslassen. Vertrauen aber ist eine zarte Pflanze. Sie wächst langsam, und sie kann schnell vertrocknen. Wo Menschen spüren, hier bei euch in der Gemeinde, hier geht es anders zu, hier muss ich mich nicht verstellen, hier treten Menschen für mich ein, hier haben die Wölfe nichts zu melden, da, glaube ich, wächst Vertrauen. Und wo Vertrauen wächst, gedeiht die Gemeinde. Leider wird man in der Krise manchmal allzu geschäftig. Wir müssen dem guten Hirten seine Arbeit aber nicht abnehmen. Er sammelt, nicht wir. Er ist auch nicht von der Akzeptanz seines Bilds abhängig. Lassen wir ihn getrost machen und tun das unsere dafür, ihn nicht zu behindern. Das wäre schon sehr viel und keine geringe Kunst.

Jubilate, 11.5.2025

2. Korinther 5,17: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

Paulus stellt uns in eine neue Welt hinein. Sie muss neu sein, denn in unserer alten Welt gibt es das ja nicht: einen völlig neuen Anfang, so, als sei das Vorige nicht gewesen. In der Welt, die wir kennen, baut alles aufeinander auf, in ihr ist der, der du bist, geworden aus dem Ort seiner Geburt, der sozialen Stellung seiner Familie, aus seinen Entscheidungen und Versäumnissen. Tabula rasa, das gibt es in dieser Welt so wenig wie ein Perpetuum mobile. Es widerspricht allem. Das weiß auch Paulus und tut doch genau das: Er widerspricht allem. Aus der Taufe ersteht ein neuer Mensch (Römer 6). Für diesen neuen Menschen gelten alte Regeln nicht mehr. Sein Tod liegt hinter ihm, und die Kraft des Auferstandenen wirkt in ihm. Seine neue Geburt ist nicht das Ergebnis eigenen Tuns, sie ist auch kein besonders frommes oder erhebendes Erlebnis; sie geschieht an ihm, wie eben die Taufe an ihm geschieht: von außen. Und „in Christus“ ist auch keiner allein: „einer in Christus“ (Galater 3,28) bilden wir „untereinander und mit Christus eine Gesamtpersönlichkeit …, in der die Besonderheiten der Einzelpersönlichkeiten, wie sie durch Abstammung, Geschlecht und soziale Stellung gegeben sind, nicht mehr gelten“. So schrieb es einst Albert Schweitzer in „Die Mystik des Apostels Paulus“. Kann sein, das ist antike Anthropologie, die auf einem Denken gründet, das schon lange nicht mehr unseres ist.
Kann sein. Doch stell dir vor, wie unsere Gemeinden aussehen würden, wenn Abstammung, Geschlecht und soziale Stellung nicht mehr gelten, stattdessen: eine „Gesamtpersönlichkeit untereinander und mit Christus“. Da werden Machtfragen geklärt. Und manche Regel der alten Welt wird zu einem abgelegten Kleid. Zeitgenössische Mystik erscheint mir bisweilen domestiziert und individualisiert. Dagegen hat vor allem Dorothee Sölle immer wieder angeschrieben. Die Christusmystik des Apostels Paulus ist der Stachel im Fleisch eines angepassten Christentums. Es steckt noch eine große Kraft in ihr. Paulus stellt uns in eine neue Welt hinein.

Kantate, 18.5.2025

Psalm 98,1: Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder.

Stefans Tod hat sie zum Verstummen gebracht. Gemeinsam hatten sie damals entschieden, nach Deutschland zu gehen. Ein neuer Anfang in der Heimat ihrer Eltern, auf der anderen Seite des Atlantiks, weg von der Krise, weg von Inflation und Unsicherheit, aber auch weg von allem, was ihr vertraut war, von Eltern und Freunden. Doch zu zweit hatten sie es geschafft. Die ersten Jahre waren schwer. Es war ein Unterschied, die Sprache zu sprechen oder dort auch zu leben, wo diese Sprache zu Hause war. Aber irgendwann merkten sie beide: Wir sind angekommen, beruflich und privat. Und wenn sie dann doch einmal Heimweh hatte, dann half ihr die Musik, die melancholischen Melodien Argentiniens, und das Singen. Eigentlich immer schon hat sie im Chor gesungen, dort in der evangelischen Gemeinde, und hier jetzt auch. Auch das gehört für sie zum Zuhause-Sein. Dann, aus heiterem Himmel, der Gang zum Arzt, die Diagnose. Sie konnten es nicht glauben, beide nicht. Schon nach ein paar Wochen war alles vorbei. Ihr ganzes Leben. Stefans Tod hat sie zum Verstummen gebracht. Da sind keine Töne mehr in ihr, keine Musik, nur eine bodenlose Stille. Und irgendwann, in dieser Stille, eine Sehnsucht nach Zuhause, nach den Gerüchen und dem Geschmack, dem Lärm und den Klängen der großen Stadt am Rio de la Plata. Da ist sie wiedergekommen, diesmal allein. Die Stadt hat sich verändert in diesen Jahren, das Land auch, und die Menschen, die sie kannte, haben ihr Leben gelebt und nicht auf sie gewartet. Und diese furchtbare Stille, die ist immer noch da. Ihre Eltern, ihre Freunde, sie bemühen sich von Herzen, aber sie erreichen sie nicht wirklich. Soll sie wieder zurückgehen? Hierbleiben? Aber wozu? Sie fährt mit der Bahn zum Fluss, geht den gleichen Weg entlang, auf dem sie damals beschlossen hatten, nach Deutschland zu ziehen. Dieser Fluss, er ist so unfassbar groß und breit, die andere Seite ist nicht zu sehen. Sie steht dort am Ufer. Sie spürt, wie ihr die Tränen kommen. Und mit den Tränen kommt ein Lied. Erst ganz leise noch, und dann erfüllt sie dieses Lied, es steigt in ihr hoch, und sie kann nicht anders, sie singt, es ist ein neues Lied, und in ihm vielleicht der Beginn eines neuen Lebens.

Rogate, 25.5.2025

Psalm 66,20 Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.

„Gelingendes Leben“, gibt es das? Je älter ich werde, desto mehr störe ich mich an dieser Formulierung, die gerade in kirchlichen Kreisen so oft zu hören ist. Ich halte sie für unangemessen, denn sie beinhaltet immer auch eine Wertung. Wenn es gelingendes Leben gibt, dann muss es ja auch misslingendes Leben geben, und Kriterien dafür, das eine vom anderen zu unterscheiden. Aber welche sollten das sein? Der Beter dieses Psalms benennt, ja bejubelt eine ganz subjektive Erfahrung. Was immer ihm widerfahren ist, für ihn war es göttliche Bewahrung und Gebetserhörung. Die Beterin schaut auf ihr Leben zurück und bekennt: Gott war mit mir in allen Höhen und Tiefen, er hat meine Hilferufe erhört und hat mir seinen Segen geschenkt, er hat mich befreit aus der Hand meiner Verfolger. Der Psalmbeter steht damit beispielhaft für die Menschen, die im Rückblick auf ihr Leben sagen können: Es war gut, es war gesegnet, ich bin bewahrt worden; danke, Gott! Doch es gibt Menschen, die das alles nicht sagen können, weil sie Dinge erlebt haben, die sie zum Verstummen bringen, so sehr, dass ihnen schon die Frage nach dem „Warum?“ zu viel ist. Ist das Leben der einen, die Gott loben und preisen, nun ein „gelingendes Leben“ und das Leben der anderen nicht? Misst sich das Gelingen eines Lebens an dem Segen, der sichtbar auf ihm liegt? An der Intensität des Dankens und Lobens? Mir begegnen Menschen, denen alles zufällt, denen alles zu gelingen scheint, wahre Glückskinder. Ein Dank käme ihnen nie über die Lippen. Mir begegnen auch Menschen, in deren Leben wenig Segen sichtbar ist, die nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überstehen sollen und die keine erkennbare Zukunftsperspektive haben. Doch gibt es unter ihnen solche, die ohne zu zögern in die Worte des Psalmbeters mit einstimmen würden, und ich weiß wirklich nicht, aus welchem Grund. Dabei möchte ich es belassen, will nur ins Staunen geraten und mich in Demut üben und im Blick auf das Leben auf die Kategorie des „Gelingens“ verzichten.

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