»Der Mensch lebt nicht vom Brot allein«, stellt eine Redensart fest; sie stammt – wie viele andere Sprichwörter – aus der Bibel. Jesus verwendet diesen Spruch; er begegnet damit einer Versuchung, die er in der Wüste erfährt: Vierzig Tage hat Jesus dort gelebt und gefastet, und nun hat er Hunger. Du könntest doch Steine in Brot verwandeln!, flüstert ihm die Versuchung ein. Jesus widersteht, indem er sagt: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« (Lk 4,4)
Mit diesem Satz zitiert Jesus eine Weisung aus dem Alten Testament; sie lautet: »Du sollst erkennen, dass der Mensch nicht nur vom Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht.« (Dtn 8,3) Nicht allein die Nahrung für den Körper ist also wichtig, sondern ebenso die Nahrung für die Seele; für beides sorgt Gott.
Liebe Schwestern und Brüder, das Evangelium dieses Festtages hat uns eingangs davon berichtet, wie Jesus seinen Zuhörern Nahrung für deren Seelen gibt: Er predigt vom Reich Gottes, also davon, dass das göttliche Wesen die Liebe ist und in Gottes Herrschaftsbereich die Liebe den Ton angibt. Jesus versichert den Zuhörern ebenfalls, dass ihnen die Liebe Gottes gilt – wie jedem anderen Menschen auch. Und er ermutigt sie, diese Liebe, die sie von Gott erhalten, großzügig an ihre Mitmenschen weiterzugeben. Jesus redet dabei nicht nur vom Reich Gottes, in dem die Liebe regiert, sondern er bringt es zu den Menschen: Er macht gesund, die der Heilung bedürfen, schreibt der Evangelist. Das sind körperlich und seelisch Kranke, aber auch Traurige, vom Leben Enttäuschte, Einsame oder Zerstrittene. Sie alle heilt Jesus durch das Gute, das er ihnen sagt.
Als es Abend wird, weisen die zwölf Apostel den Jesus auf etwas Wichtiges hin: Jesus, du hast den Menschen viel Aufbauendes, Ermutigendes und Heilsames gesagt. Aber jetzt haben die Leute Hunger. Gib ihnen nun etwas Zeit, damit sie Lebensmittel organisieren können!
Der Mensch lebt nicht vom Wort allein: leicht abgewandelt passt die Redensart zum Hinweis der Jünger an Jesus. So heilsam und nahrhaft das Wort Gottes für die Seele der Menschen ist, so wichtig ist es auch, dass deren Körper eine Stärkung erhalten.
Für beides sorgt Jesus um zu zeigen, dass sich Gott ganzheitlich um jeden Menschen kümmert: Nach der Nahrung für die Seele stellt Jesus den Menschen Nahrung für den Körper zur Verfügung. Er tut dies aber nicht als Magier, der den vielen Leuten in Tischlein-deck-dich-Manier ein festliches Mahl herbeizaubert, sondern auf andere Weise: Jesus ermutigt seine Apostel, auf das zu schauen, was sie selber an Nahrungsmitteln dabeihaben – und dies mit den anderen zu teilen. Mit der Unterstützung Jesu, der Gott für das dankt, was die Apostel haben und zu teilen bereit sind, wirkt das Vorbild der Apostel: Auch die anderen Leute teilen miteinander, was ihnen zur Verfügung steht. So werden alle satt: diejenigen, die mehr Nahrung als nötig mitgebracht haben, und auch die, die nicht daran gedacht haben, sich mit Essbarem einzudecken.
Indem Jesus seine Zuhörer zum Teilen ermutigt und ihre Bereitschaft dazu segnet, macht er ihnen klar: Gott gibt euch nicht nur Nahrung für die Seele, sondern ebenso für den Körper. Letzteres bewerkstelligt Gott aber nicht, indem er einfach immer genug Essen für euch herbeizaubert, sondern indem er euch an eure Verantwortung füreinander erinnert: Wer mehr als genug zum Leben hat, soll mit denen teilen, die zu wenig oder gar nichts haben. Dann reicht es für alle, und es bleibt sogar noch etwas übrig.
Diese Wahrheit, die Jesus seinen Zuhörern vor Augen führt, ist in unserer Zeit ebenfalls aktuell, liebe Schwestern und Brüder: Gott gibt uns Nahrung für die Seele, die wir immer dann erhalten, wenn wir sein Wort in der Bibel lesen oder hören, wenn wir beten und uns dadurch von Gott lieben lassen.
Der Mensch lebt aber nicht vom Wort allein, und so sorgt Gott auch dafür, dass der Körper zu seinem Recht kommt. Ich glaube, ich kann für uns alle hier annehmen, dass uns genug und sogar mehr als genug zur Verfügung steht, um unseren Körper gut zu versorgen. Gott sorgt aber auch für die, die nicht genug zu essen haben oder die auf kein sauberes Wasser zum Trinken zurückgreifen können. Daher erinnert er uns an unsere Verantwortung, mit diesen Notleidenden zu teilen, am besten, indem wir für kirchliche Hilfswerke spenden. Würden alle Wohlhabenden etwas von ihrem Überfluss abgeben, müsste kein Mensch auf der Erde Hunger oder Durst leiden, und es wäre mehr als genug für alle da.
Der Mensch lebt nicht vom Wort allein: Dies führt uns jede Messfeier vor Augen. Wir hören die Lesung und das Evangelium, wir hören die Auslegung dieser biblischen Texte in der Predigt, wir beten miteinander zu Gott. All das nährt unsere Seele, weil wir dadurch erkennen, wie sehr Gott uns liebt.
Doch das Wort ist nicht alles: Wir sind in jeder Messfeier eingeladen, den Leib Christi zu empfangen; das erste Mal, wenn ein Christ dieser Einladung folgen darf, wird mit einem großen Fest gefeiert. Ihr, liebe Erstkommunionkinder, habt dies mit euren Familien vor Kurzem getan – am Weißen Sonntag oder am Tag davor. Weil der Mensch also nicht vom Wort allein lebt, begegnet Gott allen, die dies wollen, im Brot, im Leib Christi.
Sooft wir zur Kommunion gehen, dürfen wir spüren: Gott wird Teil unseres Körpers, Teil unserer menschlichen Existenz, weil wir Jesus in uns aufnehmen dürfen, wenn wir die Hostie essen. Gott gibt uns ganzheitlich Nahrung; ihm liegt alles daran, dass es uns gut geht, denn er liebt uns.
Heute, liebe Schwestern und Brüder, tragen wir den Leib Christi in einem kostbaren Gefäß, der Monstranz, durch die Straßen unserer Pfarrei. Die Fronleichnamsprozession macht uns besonders deutlich bewusst: Gott ist Teil unseres Lebens, Teil unseres Alltags und auch Teil unserer Festtage. Wo wir sind, ist Gott: mit seinem Wort, das die Seele nährt, und mit dem Brot, das dem Körper Nahrung gibt. Die Liebe, die Gott jeder und jedem von uns schenkt, motiviert uns, Verantwortung füreinander zu übernehmen und darauf zu achten, dass idealerweise jeder Mensch genug zum Leben hat. Mit unseren Möglichkeiten werden wir die Not der ganzen Welt nicht beheben können, aber einen kleinen Beitrag zu ihrer Linderung können wir leisten. So bringen wir das Reich Gottes, in dem die Liebe regiert, zu den Menschen.
Und wir bezeugen ihnen, wovon wir selbst überzeugt sind: Gott liebt dich; er gibt dir, was deine Seele und deinen Körper nährt!
Matthias Blaha