Peter Thiel und das ChristentumHybris oder Kenosis?

Das Christentum dient einflussreichen Tech-Bros in den USA als Symbolreservoir für Ordnung und Endzeitdramaturgie. Theologisch übersehen sie dabei mindestens einen entscheidenden Punkt.

Porträt Ursula Nothelle-Wildfeuer
© Flo Huber

Vor vollem Hörsaal diskutierten letzte Woche beim Freiburger Religionsgespräch der Innsbrucker Sozialethiker Wolfgang Palaver und der Münchener Politikwissenschaftler Karsten Fischer mit dem Freiburger Fundamentaltheologen Magnus Striet zu den Tech-Bros, Macht und Christentum in den USA. Es ging um Peter Thiel.

Ein theologisch nicht unwichtiger Punkt beschäftigt mich seitdem nachhaltig: Peter Thiel arbeitet mit christlichen Motiven wie Apokalypse, Antichrist und Armageddon, aber nicht mit der Nachfolge Jesu Christi etwa im Sinne des Philipperhymnus. „Christentum“ fungiert bei ihm primär als Symbolreservoir für Ordnung und Endzeitdramaturgie, nicht aber als Maßstab einer kenotischen Lebensform. Damit steht er exemplarisch für eine politische Theologie der Tech-Eliten, die christliche Sprache und Motive zur Legitimation technokratischer Zivilisation, libertären Freiheits- und Fortschrittsregimes und minimalistischen Staatsverständnisses instrumentalisiert und damit faktisch ein Christentum ohne Christus erzeugt. Thiel als evangelikaler Christ speist seine Weltdeutung aus einer Mischung von Bibelzitaten, konservativer Theoriebildung à la Carl Schmitt, René Girard-Lektüre und apokalyptischen Motiven. Auffällig ist jedoch, dass Jesus Christus fast ausschließlich als Chiffre in einem Endzeitdrama erscheint, nicht als konkreter Maßstab einer Lebensform der Feindesliebe, Armut und Demut.

Der Philipperhymnus zeichnet das Gegenbild dazu: Christus „entäußert“ sich, verzichtet auf Status, Privilegien und Machtinszenierung und geht den Weg nach unten, bis in den Tod am Kreuz. In der Kenosis wird Gott als der sichtbar, der sich nicht von oben her durchsetzt, sondern sich in radikaler Solidarität mit den Erniedrigten und Schuldigen identifiziert. Genau hier liegt der Bruch zum Selbstverständnis des Tech-Bros Peter Thiel und anderer, die sich als hierarchischer Gipfel der Zivilisation verstehen, der von oben her die Welt neu ordnet. Damit verbunden ist ein impliziter Anspruch, demokratische Verfahren und kollektive Lernprozesse hinter sich zu lassen. In der Logik des Philipperhymnus wäre dies allerdings nicht Ausdruck christlicher Hoffnung, sondern eine säkular getarnte Form der Hybris.

Dieses Muster findet sich auch im rechts­populistischen und neo-integralistischen Milieu: Christliche Motive werden selektiv herausgelöst, zur Freund-Feind-Markierung eingesetzt und zur Begründung autoritärer Politiken mobilisiert. Die Imago-Dei-Würde jedes Menschen, die Option für die Armen, die Feindesliebe und die universale Versöhnungsperspektive des Neuen Testaments treten demgegenüber kaum in Erscheinung oder werden gezielt marginalisiert.

Systematisch betrachtet verschiebt sich hiermit der Geltungsgrund des Christlichen: Nicht mehr die konkrete Gestalt Jesu Christi bildet das Zentrum, sondern die Nützlichkeit christlicher Bilder für den Erhalt einer bestimmten Macht- und Eigentumsordnung. Wo Jesus Christus aber nicht mehr als Kriterium der Kritik an Macht, Gewalt und sozialer Exklusion fungiert, sondern als Ikone eines zivilisatorischen Machtprojekts, wird die Grenze einer innerchristlichen Pluralität überschritten und das Christentum des Philipperhymnus gerade nicht entfaltet, sondern konterkariert.

Anzeige: Menschenrechte nach der Zeitenwende. Gründe für mehr Selbstbewusstsein. Von Heiner Bielefeldt und Daniel Bogner
HK Hefte

Die Herder Korrespondenz im Abo

Die Herder Korrespondenz berichtet über aktuelle Themen aus Kirche, Theologie und Religion sowie ihrem jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld. 

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt gratis testen