Es gibt Begegnungen, die vergisst man ein Leben lang nicht mehr. In diese Kategorie gehört für mich ein Abend mit Jürgen Fuchs (1950−1999), der am 3. Dezember vor 75 Jahren geboren wurde. Mitte der Neunzigerjahre hatte ich den Schriftsteller in die Berliner Studentengemeinde eingeladen.
Begrüßt habe ich ihn folgendermaßen: „Sie haben in Jena Sozialpsychologie studiert, wurden aber bereits Anfang der Siebzigerjahre durch die Staatssicherheit verfolgt. Sie mussten sich ihren Lebensunterhalt unter anderem als Pfleger in einem kirchlichen Kinderheim verdienen. Herr Fuchs, weshalb sind Sie auf die ‚schiefe Bahn‘ geraten?“ Da hellte sich für einen Augenblick sein ernstes Gesicht auf. „Zuerst, da wollt‘ ich eigentlich bloß schöne Gedichte schreiben – aber das funktionierte einfach nicht.“
Am Anfang verhielt sich der spätere Dissident offenherzig gegenüber jenem Staat, der ihm das Leben bald schwerer machte. Seine Lauterkeit wurde ihm zum Schicksal. In den Texten des Dichters spiegelte sich das Unrecht: Unverzerrt schilderte Fuchs den Alltag einer Diktatur.
Über den DDR-Militarismus dichtete er: „Ja, ich habe geschossen / Ja, ich habe mich in die Schützenmulde gelegt / Und losgeballert / Mit Brecht und Biermannliedern im Kopf / Lag ich da / Und die Kumpels haben gelacht und gesagt: / Ist doch nicht ernst / Nur eine Übung / Nicht ernst.“ In Zeiten, in denen es normal geworden war, zu lügen, folgte Fuchs dem Motto: „Die Feigheit muss weg!“
In seiner Radikalität ging er so weit, lieber monatelang in Untersuchungshaft zu schweigen als andere zu denunzieren. „Da war so’n Tisch, ich hatte keine Schreiberlaubnis, kein Papier, nix, war so’n Tisch, so’n Kunststoffbelag, und dann konnte man mit Silberpapier Spuren hinterlassen, Schreibspuren, und da hab’ ich diese Vernehmungsprotokolle im Gefängnis konzipiert“.
Der studierte Psychologe kümmerte sich am Ende seines Lebens um traumatisierte Jugendliche, Geflüchtete aus aller Welt. Fuchs wurde nur 48 Jahre alt und starb an einem seltenen Blutkrebs – wie einige andere Dissidenten. Für mich ist er ein Glaubenszeuge, vielleicht sogar ein Märtyrer für die Humanität.