Ein Philosoph auf dem Weg zur Ehre der AltäreZur Eröffnung des Seligsprechungsprozesses für Maurice Blondel

Dass Philosophen nicht nur im Ruf rationaler Brillanz, sondern auch im Ruf der Heiligkeit stehen, hat eher Seltenheitswert. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet Maurice Blondel (1861-1949), dessen Seligsprechungsverfahren am 4. Juni 2025 im südfranzösischen Aix-en-Provence offiziell eröffnet wurde.

Maurice Blondel um 1890
Maurice Blondel um 1890© Quelle Unbekannt, CC0, via Wikimedia Commons

"Die Philosophie muss die Heiligkeit der Vernunft sein. […] Man muss Mensch sein, Christ sein, Heiliger sein, das ist die notwendige Erfahrung." Mit diesen Zeilen, die Maurice Blondel im Jahr 1897 in sein Tagebuch (Carnets intimes) schreibt, skizziert er in nuce sein Konzept einer Philosophie, die nicht als abstrakte und vom Leben losgekoppelte Reflexion geübt wird, sondern aus dem Leben kommt und zu ihm zurückführt. Der Philosoph, und mit ihm jeder, der an seinem Nachdenken teilnimmt, muss im Laboratorium der eigenen Existenz seine Ansprüche verifizieren. Als "Kritik des Lebens und Wissenschaft der Praxis", wie Blondel seine berühmte Dissertation L’Action 1893 untertitelt, hat dieses Nachdenken zugleich den Anspruch methodologisch kritisch-stringenter Argumentation.

Blondels kühner Entwurf einer "Philosophie der Schwelle" ist in den letzten Jahrzehnten mehr in den Hintergrund getreten. Zu Unrecht, denn der Philosoph aus Aix gehört zu den großen Wegbereitern der Theologie des 20. Jahrhunderts und hat entscheidenden Einfluss auf Denker wie Henri de Lubac und Pierre Teilhard de Chardin und mittelbar auch auf die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgeübt.

Prägende Jahre in Paris

Blondels Weg zur Philosophie ist früh geprägt von der Frage nach einem positiven gesellschaftlichen Einfluss als Christ in einem Frankreich, das am Ende des 19. Jahrhunderts von tiefgreifenden Umwälzungen erfasst ist. Die Frage nach der eigenen Berufung konkretisiert sich für Blondel früh in zwei Optionen: Priester werden oder als Laie und Philosoph im säkularen Universitätsmilieu wirken. Dem jungen Sohn einer angesehenen und durch und durch katholischen Notarsfamilie aus Dijon erkennt die Notwendigkeit, sich voll auf den wissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit einzulassen und besucht die prestigeträchtige Pariser École normale supérieure, auf der er aus nächster Nähe mit den freidenkerischen Strömungen seiner Zeitgenossen Bekanntschaft macht. Prägend wird vor allem die Begegnung mit seinem Lehrer Léon Ollé-Laprune (1839-1898), der selbst in einer gewissen Linie mit dem mittlerweile seliggesprochenen Professor und Gründer der Vinzenzkonferenzen Frédéric Ozanam (1813-1853) steht. Von Ollé-Laprune, von dem Blondel sich später auch absetzte, lernte er neben philosophischem Grundwissen auch eine Form kennen, wie christliche Glaubenspraxis und philosophischer Geist eine Verbindung eingehen können – "mit ganzer Seele philosophieren".

Sichtbar wird diese Verbindung vor allem in Blondels eindrucksvollen Tagebüchern. Die Einträge, in denen sich philosophische Gedanken, Gebete und persönliche Beobachtungen mischen und die Hans Urs von Balthasar und Peter Henrici deshalb "Tagebuch vor Gott" genannt haben, bezeugen Blondels unermüdliches Ringen um seinen philosophischen Ausdruck, aber auch um ein Leben, das in gelungener Weise Antwort gibt auf die Menschwerdung Gottes. Nicht nur die ihn lange quälende Berufungsfrage findet hier ihren Niederschlag, vor allem Betrachtungen über die eucharistische Gegenwart, die in langen Zeiten der Anbetung des Sakraments entstanden, durchziehen die Hefte. Die Eucharistie steht zugleich im Hintergrund der Frage nach dem Substanzbegriff bei Leibniz im Gespräch mit dem Jesuitenpater Bartholomäus Des Bosses, die unter dem Ausdruck des "substanziellen Bandes" (vinculum substantiale) bekannt wurde. Blondel widmet dieser "Keimzelle seines Denkens" seine zweite Dissertation.

Die beiden Fragen nach der Wandlung der eucharistischen Gestalten und nach der Weltverwandlung durch den gläubigen Laien gehören für Blondel aber zusammen, was sichtbar wird in seinen Gebeten:

"Ich nehme dich aus deinem Tabernakel […] und ich werde dich überallhin tragen, wie in einer Prozession und wie an einem öffentlichen Fest. Lass mich sie dazu bringen, dich zu lieben; und segne die, bei denen wir vorbeikommen: Glorificate et portate eum in corpore vestro."

"Apostel der Ungläubigen"

Bestätigt fühlt sich Blondel in seiner Rolle als "Apostel der Ungläubigen" durch ein Wort, das ihm beim Aufschlagen der Schrift begegnet: der Befehl Jesu an die Jünger, ins tiefe und damit ungesicherte Wasser aufzubrechen ("Duc in altum", Lk 5,4). Es ist zugleich eine vermittelnde, pontifikale Aufgabe, die der junge Student in diesem Ruf auf sich zukommen sieht: "außerhalb des Heiligtums bleiben, um die zu orientieren, die außerhalb des Glaubens stehen". Die Frage nach dem eigenen Lebenseinsatz klärt sich schließlich in der Entscheidung für die laikale Universitätslaufbahn, bringt aber zugleich eine zeitlebens schwierige Position mit sich. Blondel findet sich eingekesselt und von zwei Seiten unter Beschuss genommen vor – von der säkularen Philosophenzunft und von neuscholastischen Theologen, die seine "Immanenzmethode" des Modernismus verdächtigen, auch wenn sein Werk vor dem kirchlichen Index bewahrt bleibt. Dabei bildet sein philosophischer Ansatzpunkt geradezu das apostolische Projekt ab:

Wie bereits in L’Action (1893) erkennt Blondel auch in seiner berühmten Lettre über die Erfordernisse der zeitgenössischen Apologetik die Notwendigkeit, in der Argumentation vom theoretischen wie praktischen Faktum des Unglaubens auszugehen – freilich mit dem Ziel, jenen den Weg bis zur Schwelle des Glaubens zu bahnen, die die Glaubensvoraussetzungen nicht teilen können. Seine laikale Philosophie ist deshalb einem strengen Ansatz am Phänomen der action (Tat/Tun/Handlung) verpflichtet, der die eigene christliche Vorgaben methodisch einklammert. Nichtsdestotrotz werden die christlichen Dogmen als Hypothese herangezogen, das Übernatürliche wird philosophisch als "Schrei der Natur" und mögliche Antwort auf die im Menschen vorgefundene Leerstelle hin verifiziert.

Blondel beeindruckt in seinem Leben vor allem durch seine Realisierung eines positiv bestimmten Begriffs des Laien, der gerade um der Fruchtbarkeit seiner Mission willen bereit ist, aus einem sozialen, institutionellen und Sicherheit vermittelnden Cocon herauszutreten und in ein Milieu aufzubrechen, das die eigenen Voraussetzungen nicht teilt, ja sogar ablehnt. 

Blondels mutiges Vorhaben einer philosophischen Existenz als Brückenbauer geht nicht so auf, wie ursprünglich von ihm erträumt. Den "klerikalen Schatten", den er teils von seinem Lehrer Ollé-Laprune erbt und der durch die Verwicklung in theologische Kontroversen auf ihm haftet, beeinträchtigt seine Akzeptanz in der philosophischen Universitätslandschaft. In den ersten Jahren verhindert dieser "Makel" sogar seine Anstellung als Professor, die ihm schließlich – weit weg von der Hauptstadt – in Aix-en-Provence gewährt wird. Zudem weisen Blondels späte Schriften, zu denen auch die beeindruckende Trilogie der Jahre 1934 bis 1937 gehört (La pensée, L’Être et les êtres, L’Action (2. Ed.)), eine hohe Komplexität und schwere Lesbarkeit auf, die nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass Blondel in den letzten Jahrzehnten seines Lebens erblindet.

Versöhnung von Christentum und Demokratie

Fruchtbar wird sein Denken vor allem im theologischen, aber auch im politischen Bereich. Seine Schüler vom Pariser Collège Stanislas Paul Renaudin und Augustin Léger gründen 1894 die Zeitschrift Le Sillon, die sich dann zusammen mit Marc Sangnier zu einer einflussreichen Bewegung entwickelt. Ihr Anliegen ist die Versöhnung von Christentum und Demokratie – zwei Pole, die bis zum Ralliement Leos XIII. und darüber hinaus bei einem Großteil der Katholiken aufgrund ihrer Präferenz für die Monarchie im Gegensatz zueinander stehen. Blondel hingegen hatte schon von Ollé-Laprune gelernt, dass "Katholik sein" und "Monarchist sein" nicht dasselbe ist und sich der Verhältnisbestimmung zwischen Christentum und Demokratie zugewandt. Zugleich begibt er sich unter Verwendung von Pseudonymen in den äußerst polarisierten Kampf gegen die rechtsnationalistische Vereinnahmung des Katholizismus durch die Action française, der angesichts politischer Heimatlosigkeit ein großer Teil der Katholiken und auch nicht wenige Bischöfe zuneigen.

Schon während der Arbeit an seiner Dissertation hatte er Charles Maurras (1868–1952), den Gründer der Bewegung, mehrmals getroffen und dessen positivistisch-heidnischen Grundlagen erkannt und kritisiert. Anders als beispielsweise sein Zeitgenosse Jacques Maritain sticht Blondel durch seine Hellsichtigkeit heraus, mit der er unter dem Stichwort "Monophorismus" die Ideologisierung des Christlichen aufdeckt und mit seiner umfassenden Kritik daran den französischen Sozialkatholizismus nachhaltig prägt. In den 20er und 30er Jahren verlagert sich dann angesichts der bleibenden politischen Spannungen der Schwerpunkt auf eine "Philosophie des Friedens" (Lutte pour la civilisation et philosophie de la paix), die beispielsweise in das politische Denken von Christdemokraten wie Robert Schuman Eingang findet. Gegen den exklusiven Nationalismus betont Blondel die einigende und vervollkommnende Kraft der christlichen Nächstenliebe als gesellschaftliches Prinzip.

Gerade für den deutschen Sprachraum kann sein Beispiel einer gelebten Laienspiritualität, die sich nicht in innerkirchliche Blasen einschließt, höchst sprechend sein.

Seligsprechungsprozess: Aktualität und Anfragen

Blondel beeindruckt in seinem Leben vor allem durch seine Realisierung eines positiv bestimmten Begriffs des Laien, der gerade um der Fruchtbarkeit seiner Mission willen bereit ist, aus einem sozialen, institutionellen und Sicherheit vermittelnden Kokon herauszutreten und in ein Milieu aufzubrechen, das die eigenen Voraussetzungen nicht teilt, ja sogar ablehnt. Ob der nun eröffnete Prozess letztlich auch zur Seligsprechung führt, wird sich zeigen müssen. Einen gewissen Einwand könnte man in der Frage erblicken, ob eine mögliche Anrufung als "Seliger" und der jetzige Titel als "Diener Gottes" nicht die ursprüngliche Mission Blondels und seinen Anspruch, als Philosoph auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, beeinträchtigt. Auch müsste der Eindruck vermieden werden, dass seine philosophischen Ideen, die immer der freien Diskussion unterliegen sollten ("non adjutrix nisi libera philosophia"), nicht in normativer Weise mitkanonisiert werden.

Gerade für den deutschen Sprachraum kann sein Beispiel einer gelebten Laienspiritualität, die sich nicht in innerkirchliche Blasen einschließt, jedoch höchst sprechend sein. Allerdings bedeutet diese Existenz als Brückenbauer für Blondel auch die Bereitschaft, Leiden auf sich zu nehmen. In einer Zeit wachsender Emotionalisierung und Polarisierung wirken die Worte Blondels deshalb höchst aktuell:
"Wenn ich aus Standespflicht heraus dazu verpflichtet bin, die Stimmen 'der Welt' und der 'Wissenschaft' zu hören und ich mich keinen Augenblick vom innerlichen Kontakt mit dem Denken lösen will, das bei den Katholiken vorherrscht, wie soll ich da nicht den grausamen Eindruck bekommen, zerrissen zu werden! Was für eine Aufgabe ist das! Auf eine Integration dieser beiden Welten hinzuwirken, ohne sich täuschen zu lassen, ohne Komplize oder Utopist, sondern einfach nur ein Liebhaber des Wahren zu sein, ein demütig-sehnsuchtsvoller Arbeiter am unum sint (Joh 17,11)! Die Einheit der Geister ist wirklich nur möglich und gut durch die Einheit der Herzen, die Wahrheit in der Liebe und die Liebe durch die Wahrheit."

Informationen zum Prozess und zur Seligsprechung finden sich auf der Website der Erzdiözese Aix-en-Provence und Arles.

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