Ruinen im LichtBerufungskrise in Deutschland und Perspektiven aus Frankreich und den USA

Die Zahl der jährlichen Priesterweihen in Deutschland geht rapide zurück. Wie kommt es, dass Ortskirchen, die ebenfalls stark von Säkularisierungsprozessen betroffen sind, im Vergleich besser dastehen?

Priesterweihe
© Andrea Krogmann/KNA

Die dramatische Lage des Priesternachwuchses in Deutschland ist seit Jahren bekannt, doch das Jahr 2025 markiert wohl einen historischen Tiefpunkt nach dem letzten Jahr, in dem es bereits nur noch 29 Priesterweihen gegeben hat. Noch vor drei Jahrzehnten, 1995, waren es 186 – im Vergleich zu damals 96 Priesterweihen in Frankreich. Diese Entwicklung beschreibt einen geistlich, kulturell und institutionell tiefgreifenden Abbruch. Sie verweist auf ein System, das sich selbst nicht mehr trägt und die eigene Substanz zusehends aufbraucht.

Dass es der Kirche in Deutschland nicht gelingt, dauerhaft stabile Berufungen hervorzubringen, hat viele Ursachen. Sicher, der gesellschaftliche Wandel, die Erosion kirchlicher Milieus, das Misstrauen nach dem Missbrauchsskandal – all das spielt hinein. Doch die Ursachen liegen tiefer.

Strukturell auffällig ist, dass selbst Basisdaten wie die Gesamtzahl der Priesteramtskandidaten kaum noch zugänglich sind. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) nennt offiziell nur noch die Zahl der Neueintritte in die Seminare sowie die Weihen eines Jahres. Auf Anfrage begründet DBK-Pressesprecher Matthias Kopp diesen Rückzug mit der Transparenz:

"Eine andere Zahl lässt sich nicht ohne weiteres darstellen, weil in einem Seminar x Personen evtl. eine Auszeit genommen haben, im Seminar y haben sich evtl. einige Personen beurlauben lassen, andere beginnen ein Zweitstudium und kehren nachher zurück … Wir belassen es bewusst bei diesen beiden Blöcken."

Was als pragmatischer Hinweis auf die Komplexität individueller Lebenswege gemeint ist, wirkt wie ein stilles Eingeständnis institutioneller Instabilität. Die Seminare sind Orte des Kommens und Gehens geworden. Die Gesamtzahl der Kandidaten scheint so dynamisch wie fragil – ein Spiegel kirchlicher Desorientierung.

Das Priesterseminar in der Krise

Ein besonders aufschlussreiches Schlaglicht auf die inneren Missstände wirft ein Bericht aus dem Jahr 2020 aus dem Bistum Limburg (174). Drei Priesteramtskandidaten des Priesterseminars Sankt Georgen – einem der bedeutendsten Ausbildungsorte Deutschlands – schilderten darin der Frankfurter Pastoralreferentin Pia Arnold-Rammé eine Situation der Kontrolle, Intransparenz und emotionalen Isolation. Gutachten über ihre Eignung sind für sie nicht einsehbar, Gespräche mit Regenten finden im Zimmer der Kandidaten statt, die Kriterien der Ausbildung bleiben diffus. Eine "Fassade der Anpassung" gehöre zur Grundbedingung auch des als offen geltenden Hauses in Sankt Georgen:

"Man hat zwei Gesichter im Seminar: eins, das ich bin, und eins, das ich zeige."

Die Kandidaten kritisierten zudem das Fehlen einer wirklichen geistlichen Auseinandersetzung mit Zölibat, Sexualität und Berufung. Was bleibt, ist Misstrauen statt Vertrauen, Kontrolle statt Ermutigung, passiv ertragene Macht statt Verantwortung. Die Institution Seminar wird damit auch aus der tendenziell eher konservativen Warte jüngerer Priesterkandidaten angefragt.

Frankreich: Die stille Renaissance

Während in Deutschland Berufungen versiegen, zeigen sich in Frankreich gegenläufige Tendenzen. Trotz massiver Säkularisierung ist dort ein nicht zu übersehendes Interesse jüngerer Generationen am christlichen Glauben und kirchlicher Identität zu beobachten. Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2015 wurden dort 3.900 Erwachsene getauft, 2025 sind es über 10.000, hinzu kommen noch über 7.400 Jugendliche. In Deutschland verzeichnet man 2025 nur noch rund 400 Erwachsenentaufen. Die Zahl der Priesterweihen in Frankreich lag 2024 bei 105 – ein Mehrfaches der deutschen Zahl. Vor allem die relative Stabilität der Statistik lässt danach fragen, was jenseits des Rheins die Kirche für junge Menschen trotz weit prekärer materieller Ressourcen attraktiver erscheinen lässt.

Ein Erfolgsmodell scheinen Gemeinschaften wie die Communauté Saint Martin. Sie steht für spirituelle Tiefe mit einer liturgischen Form, die den Glauben ernst nimmt. Eine damit verbundene Wiederentdeckung des kirchlichen Erbes – vom gregorianischen Gesang bis zu einer größeren Klarheit in der Lehre – wirken einem komplexbeladenen Priesterbild vor, dürften aus deutscher Warte jedoch irritierend wirken. Doch junge religiöse Menschen suchen im Relativismus der Gegenwart nach einer neuen Verbindlichkeit. Als weiteres Beispiel können auch die Dominikaner von Toulouse gelten, die in ihrer Provinz mehrere Jahre in Folge nun zweistellige Eintrittszahlen haben – auch das aufgrund eines Jugendapostolats, das anziehend wirkt und religiöse Tiefe wie Ernsthaftigkeit vermittelt.

USA: Berufung aus der Mitte

Noch deutlicher wird der Unterschied in den USA. Dort leben 77 Millionen Katholiken, also etwa viermal so viele wie in Deutschland. Im Jahr 2025 werden dort 486 Priester geweiht – rund 15-mal so viele wie in der Bundesrepublik. Die Priesterausbildung ist dort stark auf missionarische, pastorale Praxis hin ausgerichtet, zugleich aber theologisch klar verortet. Ob in Diözesen wie Lincoln, in großen Seminarzentren wie Mundelein oder durch Netzwerke wie die Fellowship of Catholic University Students (FOCUS): Die Berufung zum Priestertum wird begleitet und geistlich ernst genommen. Der Unterschied scheint geistlich: Die Berufung setzt den gelebten Glauben voraus.

Priesterweihen und Seminareintritte pro 1 Million Katholiken in Deutschland, Frankreich und den USA 1992-2024
Priesterweihen und Seminareintritte pro 1 Million Katholiken in Deutschland, Frankreich und den USA 1992-2024

Der tiefere Grund für den Einbruch der Priesterzahlen in Deutschland ist damit nicht soziologisch, sondern ekklesiologisch. Wo die Kirche sich nicht mehr selbst versteht, kann sie auch keine Berufungen wecken. In Frankreich und den USA zeigen sich gegenläufige Modelle: weniger Übernahme gesellschaftlicher Diskurse, sondern eine neue Authentizität aus der Mitte des Glaubens. Der Glaube an die sakramentale Wirklichkeit, Vertrauen in die geistliche Autorität und auch eine Wiederkehr einer Sensibilität für die Liturgie bilden dort die Basis für eine neue Generation.

In dieser Perspektive beginnt der Weg aus der Krise nicht mit Strukturreformen, sondern mit spiritueller Umkehr. Gleichzeitig dürften überkommene Modelle der Priesterausbildung, die darauf setzen, Konformität unter dem Anspruch zu erzwingen, dass Seminaristen Unrecht "freudig zu ertragen" hätten, ebenso Teil des strukturellen Problems sein.

Die katholische Kirche in Deutschland muss sich jedenfalls die Frage gefallen lassen: Wie kommt es, dass Ortskirchen, die ebenfalls stark von Säkularisierungsprozessen betroffen sind, im Vergleich besser dastehen? Die Zeit der Ausreden ist vorbei. Glaubt die Kirche in Deutschland noch an das Priestertum? Oder gibt sie es auf?

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