"Den Sinn für das Geheimnis wiedergewinnen"Papst Leo XIV. und die Liturgie – Eine vorläufige Einschätzung

Der neue Papst sieht in den Liturgien des Ostens eine spirituelle Quelle, die auch der römischen Kirche Orientierung bieten könnte. Welche praktischen Konsequenzen er daraus zieht, bleibt abzuwarten.

Papst Leo XIV. segnet mit Weihwasser beim Gottesdienst zu Pfingsten am 8. Juni 2025 auf dem Petersplatz im Vatikan
© Paolo Galosi/Romano Siciliani/KNA

Die (liturgische) Kleidung eines Pontifex kann als Medium dienen, um eine Botschaft zu vermitteln. Trägt der Papst eine Mozetta und eine Stola? Wählt er die Ferula, den päpstlichen Bischofsstab ohne Krümmung, und wenn ja, welche? Der kürzlich gewählte Papst Leo XIV. hat bisher einen nuancierten Ansatz verfolgt und in seiner Amtsführung zwischen Tradition und Bescheidenheit variiert. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt unmittelbar nach seiner Wahl, dem feierlichen Segen "Urbi et Orbi" am 8. Mai 2025, trug das neue Kirchenoberhaupt im Gegensatz zu seinem unmittelbaren Vorgänger eher traditionelle Gewänder. Auch bei der Gestaltung der liturgischen Feiern durch Papst Leo XIV. zeichnen sich deutliche Unterschiede zu Papst Franziskus ab. Einer der markantesten: Anders als Franziskus pflegt Leo XIV. als Zelebrant den liturgischen Gesang.

Am 14. Mai 2025 empfing Leo XIV. die Teilnehmer der Heilig-Jahr-Wallfahrt der katholischen Ostkirchen in der großen Audienzhalle des Vatikans und hielt vor ihnen seine bisher vielleicht wichtigste Ansprache. Er setzte sich nachdrücklich für den Frieden und gegen den Krieg ein. Er betonte aber auch, wie wichtig es sei, die liturgischen Traditionen des christlichen Ostens zu bewahren. In einer zentralen Passage ging Leo XIV. ausdrücklich auf die liturgischen Traditionen der Ostkirchen ein – und stellte dabei auch einen Zusammenhang mit der Liturgie des Westens her:

"Die Kirche braucht euch. Der Beitrag, den uns der christliche Osten heute bieten kann, ist immens! Wie groß ist doch unser Bedürfnis danach, den Sinn für das Geheimnis wiederzugewinnen, der in euren Liturgien lebendig geblieben ist: Liturgien, die den Menschen in seiner Ganzheit einbeziehen, die die Schönheit des Heils besingen und Staunen darüber hervorrufen, wie die Größe Gottes unsere menschliche Kleinheit umfängt! Ebenso wichtig ist es, insbesondere im christlichen Westen, den Sinn für den Primat Gottes, die Bedeutung der Mystagogik und die für die östliche Spiritualität so typischen Werte wiederzuentdecken: ständige Fürbitte, Buße, Fasten und Klage über die eigenen Sünden und die der ganzen Menschheit (penthos)! Es ist daher von großer Bedeutung, dass ihr eure Traditionen bewahrt, ohne sie aus Gründen der Praktikabilität oder Bequemlichkeit zu verwässern, damit sie nicht durch die Mentalität des Konsumismus und Utilitarismus verfälscht werden. Eure spirituellen Traditionen, so alt und doch stets neu, sind heilsam. In ihnen verbindet sich das Drama des menschlichen Elends mit dem Staunen über die Barmherzigkeit Gottes, sodass unsere Sündhaftigkeit nicht zur Verzweiflung führt, sondern uns offen dafür macht, die Gnade anzunehmen, zu Geschöpfen zu werden, die geheilt, vergöttlicht und in den Himmel erhoben werden. Dafür müssen wir dem Herrn unseren nie endenden Lobpreis und Dank darbringen."

Für den Papst sind die orientalischen Liturgien nicht exotisch, sondern vorbildlich: Orte, an denen die Gegenwart des Unaussprechlichen erfahrbar wird – nicht durch Rationalität, sondern durch das Mysterium und die Schönheit, wie Andreas-Abraham Thiermeyer kürzlich betont hat. In ihren ausdrucksstarken Riten, der tiefen Verbindung von Wort und Ikone, Gesang und Gebet, sieht der Pontifex keine fremde Form, sondern eine spirituelle Quelle, die auch der römischen Kirche Orientierung bieten könnte. Was Leo XIV. von der Liturgie und Spiritualität des Ostens erhofft und wünscht, soll selbstverständlich auch für den römischen Ritus und seine verschiedenen anerkannten (Ausdrucks-)Formen gelten.

Die Kirche als geistlich strukturierte Gemeinschaft

Für Leo XIV. ist die Liturgie nicht Ausschmückung oder bloßes Ritual, sondern Ausdruck und Vollzug der kirchlichen Identität. Die Feier der Eucharistie steht dabei im Mittelpunkt. In einer Zeit erheblicher weltkirchlicher Umbrüche und theologischer Polarisierungen hat sich das Pontifikat von Papst Leo XIV. bisher als geistlicher Wegweiser ausgezeichnet. Im Mittelpunkt seiner pastoralen und theologischen Mission steht die Wiedergewinnung der Kirche als geistlich strukturierte Gemeinschaft. Seine Vision der Kirche hängt nicht von Strategien ab, sondern hört auf den Geist; in ihr wird die Liturgie als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens erfahrbar (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Sacrosanctum Concilium 10). Liturgie ist der Ort, an dem kirchliche Teilhabe erfahren werden kann – nicht nur durch zugewiesene Rollen, sondern durch die Partizipation an der einen Feier Christi. So wird die Liturgie zu einer gelebten Gemeinschaft und nicht zu einem bloßen Ritual. Wie Papst Benedikt XVI. († 2022) schätzt auch Leo XIV. die transzendente Dimension der Liturgie.

Besonders hervorzuheben ist die theologische Bedeutung des liturgischen Gesangs im Pontifikat Leos XIV. Sein gesungenes Kyrie, Gloria, Pater noster oder Regina coeli sind keine akustischen Umrahmungen, sondern leibliche Ausdrucksformen geistlicher Hingabe. Dem heiligen Augustinus wird der Satz zugeschrieben: cantare amantis est – "Es ziemt sich für den Liebenden zu singen". Der Gesang ist Ausdruck des Herzens und Inkarnation des Glaubens.

Die Liturgie gibt der Kirche Orientierung – nicht durch moralisierende oder pädagogische Maßnahmen, sondern durch die Erfahrung Gottes und den Ruf zur Mission. Diese führen zur Wiederbelebung einer Kirche, die sich nicht selbst genügt, sondern als Sakrament des Heils für die Welt lebt (vgl. Zweites Vatikanisches Konzils, Lumen Gentium 1).

Bemerkenswert ist auch eine Passage aus einer Ansprache des damaligen Generalpriors des Augustinerordens, Pater Robert Prevost OSA, vor der Weltbischofssynode über die Neuevangelisierung im Oktober 2012. Er erörterte die Notwendigkeit, dass die Kirche angemessen auf die Herausforderungen der modernen Massenmedien reagiert, und ging dabei auch auf die Liturgie ein:

"Darüber hinaus sollte die Kirche der Versuchung widerstehen, zu glauben, dass sie mit den modernen Massenmedien konkurrieren kann, indem sie die heilige Liturgie in ein Spektakel verwandelt. Auch hier erinnern uns Kirchenväter wie Tertullian heute daran, dass das visuelle Spektakel die Domäne des saeculum [Weltlichen] ist und dass unsere eigentliche Aufgabe darin besteht, die Menschen in das Wesen des Mysteriums als Gegenmittel zum Spektakel einzuführen. Folglich muss die Evangelisierung in der modernen Welt die geeigneten Mittel finden, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom Spektakel weg auf das Geheimnis zu lenken."

Welche weiteren Akzente Leo XIV. setzen wird und welche Entscheidungen er in Sachen Liturgie treffen wird, bleibt für die kommenden Monate und Jahre abzuwarten. Bekannt geworden ist bereits, dass er den neuen Metropolitan-Erzbischöfen, anders als Franziskus, die traditionelle Insignie des Palliums, ein weißes Wollband mit sechs aufgestickten schwarzen Kreuzen, im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes im Petersdom am 29. Juni 2025 wieder persönlich umlegen wird.

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