Das Heilige Jahr 2025 geht seinem Ende entgegen und viele werden sich fragen, was davon bleibt. Neben den hoffentlich vielen geistlich prägenden Ereignissen gehören dazu sicherlich auch die zahlreichen Bau- und Renovierungsmaßnahmen, die im Rahmen des Heiligen Jahres in Rom entweder begonnen oder bereits abgeschlossen werden konnten.
Ihre Sichtbarkeit ist unterschiedlich ausgeprägt. Besonders ins Auge fällt zum Beispiel die Neugestaltung des Platzes zwischen Engelsburg und dem Beginn der Via della Conciliazione oder des Parks, der sich um die Engelsburg herum erstreckt. Weniger auffällig ist da schon ein Detail an der frisch renovierten südlichen Außenfassade der Kirche San Rocco all'Augusteo, die sich im nahen Umfeld des ebenfalls neu gestalteten Platzes rund um das Augustusmausoleum befindet. Es ist ein ziemlich großes, oder besser gesagt sehr hohes, marmornes Hydrometer, das in längst vergangenen Zeiten den Pegelstand des Tibers und seiner Hochwasser anzeigte. Wenn man heute vor der Kirche steht und auf sie schauend in seinem Rücken den Tiber mehr als zehn Meter tiefer zwischen mächtigen Steinmauern vorbeifließen weiß, dann möchte man es gar nicht glauben. Wie um alles in der Welt konnte ein Hochwasser jemals so weit reichen?
Danke für Zähmung der Fluten
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Die massiven Steinmauern, zwischen denen der Tiber heutzutage fließt, gibt es erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Davor gab es im Wesentlichen nur unbefestigte Uferstreifen, sodass der Tiber leicht sein Bett verlassen und nicht ganz unbedeutende Teile der Altstadt Roms überschwemmen konnte. Zeugen davon kann der aufmerksame Beobachter immer wieder entdecken: So kann man an unterschiedlichen Stellen entlang des Tibers einige Häuser sehen, in deren Fassade Steine mit der Aufschrift "ALLUVIONE" verbaut sind. Diese zeigen an, wie weit und wie hoch der Tiber gekommen ist. Im Wissen darum, was ein Hochwasser alles an Schaden verursachen kann, bleibt eigentlich nur die Dankbarkeit für die städtebaulichen Interventionen der Altvorderen zur Zähmung der Fluten.
Zwischen den hohen Mauern, direkt neben dem Fluss, sozusagen auf Augenhöhe mit ihm, lässt es sich mitten in der Stadt erstaunlicherweise sehr schnell ihrem Lärm und Gewusel entkommen.
Und außerdem, da gibt es noch einen "netten" Nebeneffekt: Zwischen den hohen Mauern, direkt neben dem Fluss, sozusagen auf Augenhöhe mit ihm, lässt es sich mitten in der Stadt erstaunlicherweise sehr schnell ihrem Lärm und Gewusel entkommen. Gleichzeitig eröffnen sich dabei von "unten" ganz neue Perspektiven auf Gebäude und Brücken, an denen man sonst nur schnell vorbei oder hastig darüber geht. Und wer es noch erholsamer mag, der setzt sich einfach an die Kaimauer und sieht den vorbeiziehenden Ruderern nach, die ihre Vereinshäuser in Form von ziemlich großen Hausbooten am Flussufer vertäut haben.
Echt schön! Aber klar, man kann die ganze Sache mit den flussbegrenzenden Mauern auch anders sehen. Der natürliche Flusslauf ist verloren, ein flussnahes Biotop wurde praktisch zerstört und außerdem braucht mit der zunehmenden Austrocknung Südeuropas sowieso niemand mehr mit vielen Hochwassern rechnen. Und tatsächlich, unabhängig davon, wie tragfähig und sinnvoll die zuvor genannten Argumente sind, manchmal – und das nicht nur zur Sommerszeit, sondern auch jetzt – erscheint der Tiber ziemlich niedrig zu stehen und im Vergleich zu historischen Bildern von Hochwassern eher spärlich daherzukommen.
Schwindender Strom an Gläubigen?
Apropos spärlich daherkommen und hohe, starke Mauern: War da nicht etwas? Eine Assoziation drängt sich auf: Auch in der Kirche gibt es hohe und viele Mauern, echte und eingebildete, erhoffte und verhasste. Sie wehren ab, schützen, schließen ein und schließen aus. Aber egal wie sie wirken, eines haben sie offensichtlich alle gemeinsam. Sie leeren sich, und so, wie der Tiber spärlich daherzukommen scheint, so wird auch der Strom der Gläubigen innerhalb der Kirchenmauern offenbar immer schmäler wird. Doch in Sachen Kirche und Gläubige ist es letztendlich nicht viel anders als beim Tiber: Wenn man nur von oben, von den Mauern, nach unten sieht, drängt sich der Eindruck auf, dass das alles nicht mehr der Rede wert ist. Sobald man aber auf der Ebene des Flusses ist, kann man durchaus bemerken, was sich da noch so alles tut – auch bei den Gläubigen, den Suchenden, den Engagierten, den Fragenden. Da geht noch was, da rührt sich was …
Man muss sich nur auf den Weg machen, aufbrechen, um zu sehen, was noch alles möglich ist.
Wenn man übrigens von der Engelsburg aus, wo die hohen Mauern noch den Tiber begrenzen, mit dem Rad entlang des Flusses ans Meer nach Fiumicino fährt, dann werden die Mauern immer niedriger. Auf einmal sind sie ganz weg und es eröffnet sich eine weite Landschaft mit herrlichem Biotop. Eine schöne Radtour, sehr empfehlenswert. Man muss sich nur mal überwinden, aufbrechen und sich auf das Neue hinter der Stadtgrenze einlassen wollen. Ich vermute mal, in Sachen Kirche und Glaube ist es nicht anders. Man muss sich nur auf den Weg machen, aufbrechen, um zu sehen, was noch alles möglich ist.
Die Sozialgestalt der Kirche mag sich ändern, der Glaube bleibt. Jeder und jede kann dazu etwas beitragen. Wir sollten uns dazu vor allem an diese eine Stelle im Lukas-Evangelium (Lk 5, 4) erinnern. Sie lässt sich in den altbekannten drei Worten prägnant zusammenfassen: "Duc in altum!" (Führe mich in die Tiefe)