Psalm 52: Eine falsche Zunge bricht das HerzDer Psalter als Buch des Messias

Um sich beim Chef einzuschleimen, schrecken manche Leute, auch "Kollegen" vor gar nichts zurück. David macht die Erfahrung selbst, als er noch im Dienst von König Saul ist als hoher Militär. Ein hoher Beamter Sauls denunziert David und die, die ihn unterstützten beim König. Vor dieser falschen Zunge sucht David Schutz bei Gott.

Bibel
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David hatte als junger Hirt mit einfachsten Mitteln den Philister Goliat geschlagen (1 Sam 17) und machte darauf eine militärische Karriere unter König Saul. Seine Erfolge machten den König eifersüchtig und David musste fliehen (1 Sam 19). Er flieht zu den Priestern von Nob. Der Priester Ahimelech rüstet David aus – auch weil er nicht weiß, dass Saul sich mit David überworfen hatte. In 1 Sam 20 heißt es:

8 Damals hielt sich dort im Heiligtum des HERRN gerade einer von den Knechten Sauls auf, ein Edomiter namens Doëg; er war der Oberste von Sauls Hirten. 9 David fragte Ahimelech: Hast du einen Speer oder ein Schwert zur Hand? Denn ich konnte weder mein Schwert noch andere Waffen mit-nehmen, weil der Auftrag des Königs so dringend war. 10 Der Priester antwortete: Das Schwert des Philisters Goliat, den du im Terebinthental erschlagen hast, liegt hier, in einem Mantel eingewickelt, hinter dem Efod. Wenn du es nehmen willst, nimm es! Außer diesem gibt es keines hier. David sagte: Kein anderes kommt ihm gleich; gib es mir!

Doëg war kein Israelit, sondern Edomiter. Könige haben damals gerne Ausländer angestellt für die Verwaltung ihrer Viehwirtschaft (vgl. 1 Chr 27,30f., Gen 47,6). Doëg wird Augenzeuge der Hilfe Ahimelechs für David. Als König Saul sich kurz darauf bei seinen obersten Beamten beschwert, dass sie David nicht bespitzeln, sieht Doëg seine Gelegenheit gekommen:

9 Da antwortete der Edomiter Doëg, der bei den Dienern Sauls stand: Ich habe den Sohn Isais gesehen, wie er gerade nach Nob zu Ahimelech, dem Sohn Ahitubs, kam. 10 Ahimelech befragte für ihn den HERRN und gab ihm Verpflegung; auch das Schwert des Philisters Goliat gab er ihm.

"Gekommen ist David zum Hause Ahimelechs"

Saul richtet daraufhin unter den Priestern, die David halfen, ein Massaker an (1 Sam 22). Nur ein Priester entkommt, Abjatar. Dieser flieht zu David und berichtet ihm von Sauls Mord an den Priestern. In 1 Sam 22,22 heißt es:

Da sagte David zu Abjatar: Ich wusste schon an jenem Tag, als der Edomiter Doëg dort war, dass er Saul bestimmt alles berichten werde. Ich selbst bin schuld am Tod all der Leute aus dem Haus deines Vaters.

Die Überschrift von Ps 52 verortet den Psalm in dieser Situation im Leben Davids:

1 Für den Musikmeister. Ein Weisheitslied von David. 2 Als Doëg der Edomiter kam und bei Saul anzeigte und zu ihm sagte: "gekommen ist David zum Hause Ahimelechs."

In den V. 3-7 spricht David (vielleicht nur im zornigen Selbstgespräch) den miesen Verräter Doëg direkt an:

3 Was rühmst du dich der Bosheit, du Supermann? Die Loyalität Gottes (gilt) den ganzen Tag! 4 Vernichtung plant deine Zunge wie ein gewetztes Messer, du, der handelt (in) Falschheit! 5 Du liebst Böses mehr als Gutes, Lüge mehr als recht zu reden. Sela. 6 Du liebst alle Reden des Verschlingens, du falsche Zunge! 7 Doch Gott wird dich zerstören, dauerhaft! Er wird dich wegholen und dich herausreißen aus dem Zelt und dich entwurzeln aus dem Land der Lebenden!

David klagt Doëg an wegen seiner bösartigen Tat, von der er glaubt, sie sei ein schlauer Schachzug – daher ironisch "Supermann". Und sofort stellt er diesem Scheintriumph die Loyalität Gottes gegenüber, die verlässlich und wahr ist, nicht verlogen und trügerisch. So gibt V 3 den Inhalt des kommenden Psalms an, handeln doch die V. 3-7 von Doëgs Bosheit und V. 8-11 von Gottes verlässlicher Hilfe. Die V. 8-9 besingen das Scheitern des Verräters, die V. 10-11 den Triumph Davids.

Loyalitätsbekundung oder Schmähung?

Das Wort für Gottes Loyalität (hebr. chesed) hat ein Homonym (ein gleichlautendes Wort mit völlig anderer Bedeutung, ein "Teekesselchen") chesed, welches "Schmähung", "Schande" bedeutet (Spr 14,34; Lev 20,17). V. 3b redet also zuerst von der immerwährenden Loyalität Gottes (wie am Ende in V. 10-11), klingt aber auch nach einer Schmähung Gottes:

Was rühmst du dich der Bosheit, du Supermann, der Gottesschmähung den ganzen Tag? Du rühmst dich der Bosheit und das ist in Wahrheit eine Schmähung Gottes.

Die Verräterstrophe 3-7 ist in V. 3 und 7 gerahmt vom Stichwort Gott (hebr. El), denn Gott hat das erste und das letzte Wort in dem Konflikt. Innerhalb dieses Rahmens ist die Strophe durchzogen von den Stichworten

Zunge – Falschheit – lieben/Rede (V. 4-5)

lieben/Rede – Zunge – falsch (V. 6, hebräische Wortstellung)

Das Wesen dieses Verleumders ist Falschheit, eine falsche Zunge, die den ganzen Tag nichts lieber tut als schwätzen, sich als Dreckschleuder zu betätigen. Diese Zunge will "verschlingen" (V. 6), vernichten. Kaum etwas ist so verderblich wie die Zunge des Menschen. Falsche Rede ist ein Hauptthema der altisraelitischen Weisheit (Spr 6,17; 10,31; 21,6.23; 26,28; Sir 5,13; 19,6.16; 20,18; 22,27; Jak 3,5-12). Jeder kennt solche Menschen. Diese Wahrheit der Bibel gilt leider bis heute.

Mancher Leute Gerede verletzt wie Schwertstiche, die Zunge der Weisen bringt Heilung. Ein Mund, der die Wahrheit sagt, hat für immer Bestand, eine lügnerische Zunge nur einen Augenblick (Spr 12,18-19).
Eine sanfte Zunge ist ein Lebensbaum, eine falsche Zunge bricht das Herz (Spr 15,4).
Tod und Leben stehen in der Macht der Zunge; wer sie liebevoll gebraucht, genießt ihre Frucht (Spr 18,21).

Ein geschrumpfter "Supermann"

V. 7 des Psalms versichert aber abschließend, dass Gott, der ein Gott der Wahrheit ist (Ps 31,6), die Ränke und Machenschaften der falschen Zunge zum Einsturz bringen wird. Die V. 8-9 bilden eine eigene Strophe, die nicht mehr den Verräter im Du anspricht, sondern im Er-Stil darstellt, wie die gerechteren Menschen das Scheitern des Verleumders wahrnehmen und kommentieren werden:

8 Dann werden schauen es Gerechte und schauern und über ihn lachen: 9 "Seht, der Mann, der nicht machen wollte Gott zu seiner starken Festung, und auf die Fülle seines Reichtums vertraute, sich stark dünkte mit seiner Vernichtung."

Sie werden es "schauen" (jir‘u) und "schauern" (jira‘u) – im Hebräischen eine Alliteration, ein Klangspiel. Der Verleumder rühmte sich in V. 3 selbst, in V. 8 wird er von allen anderen verlacht. Sie sagen: "der Mann" (hebr. geber) von dem, der in V. 3 noch ironisch als "Supermann" angesprochen wurde, als der er sich vorkam (hebr. gibbor: eine Intensivform von geber). Der Supermann ist geschrumpft zum bloßen "Mann". Er fühlte sich "stark" mit seiner negativen, destruktiven Rede. Wahre Stärke, eine "starke Festung" wäre Gott gewesen, bei dem dagegen David seine Zuflucht suchte. Der "Supermann" (V. 3), der "Vernichtung" (V. 4) suchte, wird zum geschrumpften "Mann", der sich mit seiner "Vernichtungstat" stark gefühlt hatte (V. 9). "Gott" hatte in der 1. Strophe El geheißen (V. 3 und 7), in den folgenden heißt er Elohim (V. 9.10). Fünfmal wird Gott in dem Psalm erwähnt.

Die letzte Strophe bilden die V. 10-11, in denen David mit einem betonten "ich aber" sich dem gescheiterten Maulhelden entgegensetzt und schließlich Gott selbst anredet:

10 Ich aber bin wie ein grünender Ölbaum im Hause Gottes, ich vertraue auf die Loyalität Gottes für immer und ewig. 11 Ich will dir danken in Ewigkeit, denn du hast gehandelt, und will hoffen auf deinen Namen, denn er ist gut, vor denen, die dir loyal sind.

"Ein grünender Ölbaum im Hause Gottes"

Der Verleumder wird "herausgerissen aus dem Zelt und entwurzelt aus dem Land der Lebenden" (V. 7). David dagegen wird in V. 10 "ein grünender Ölbaum im Hause Gottes" (vgl. Jer 11,16), d.h. auf dem Tempelareal. Des Verleumders Bleibe ist ein abbruchreifes Zelt, Davids Bleibe ist Gottes Haus. David selbst ist nicht entwurzelt und unfruchtbar, sondern ein lebenstrotzender Baum. Abschließend dankt David Gott und redet ihn direkt an, wodurch der Psalm zum Gebet wird. Dem Selbstruhm des Verräters in V. 3 stellt er in V. 11 den Dank an Gott gegenüber. Die Loyalität und die "Loyalen" in V. 10-11 rahmen mit der Loyalität in V. 3 das ganze Gedicht. Auch "handeln – gut" in V. 11 rahmen mit "handeln – gut" in V. 3-4 den Psalm ein, ist doch das gute Handeln das Wesen gelebter Loyalität.

Der Ausdruck "Haus" für den Tempel in V. 10 will mit dem "Haus" Ahimelechs in der Überschrift eine Klammer um das Ganze bilden. David versichert abschließend, er hoffe auf Gottes Namen, denn der lautet JHWH – "ich bin (da)" (Ex 3,14). Gottes "Name" bezeichnet seine Anwesenheit in seinem Volk (Dtn 12,11; 14,23; 16,2.6.11). Gott ist da. Das gibt David Zuversicht, und diese bewährt sich in schwierigen Zeiten.

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