Kürzlich wurde in der Sonntagsmesse aus dem 21. Kapitel des Lukas-Evangeliums die folgende Prophezeiung Jesu gelesen:
"Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen. Aber bevor das alles geschieht, wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen um meines Namens willen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch also zu Herzen, nicht schon im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen."
Die Christenverfolgungen haben eine lange Geschichte, aber noch nie war die Lage so bedrohlich. Verschiedenen Berichten zufolge ist das Christentum heute die weltweit am stärksten unterdrückte Religionsgemeinschaft. Das christliche Hilfswerk "Open Doors" gibt an, dass weltweit mehr als 360 Millionen Christen in etwa 60 Ländern wegen ihres Glaubens von Folter, Gefängnis oder Tod bedroht seien. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich unsere Öffentlichkeit von diesem Faktum sonderlich beunruhigen lässt.
Ich erinnere mich an den gewaltigen Erfolg, den der englische Schriftsteller Graham Greene (1904–1991) mit seinem Roman "Die Kraft und die Herrlichkeit" vor etlichen Dezennien erzielt hat. Die Taschenbuchausgabe, die ich mir damals gekauft habe, trägt den Vermerk "214. – 225. Tausend, Mai 1961".
Die "Guerra Cristera" in Mexiko
Es geht in dem 1940 erstmals erschienenen Roman um die Christenverfolgung in Mexiko, als in den dreißiger Jahren ein kommunistisches Regime Gottesdienste verbot und die Priester zum Heiraten zwang. Der letzte Priester, der noch die Messe feiert und die Sakramente spendet, lebt in steter Todesgefahr. Und doch ist er kein leuchtendes Vorbild. Man nennt ihn den "Schnapspriester", weil er meist betrunken ist. In einer schwachen Stunde hat er ein Kind gezeugt. Aber so sehr er auch am Sinn seines Widerstands zweifelt, er glaubt an Gott. Und als er zu einem Sterbenden gerufen wird, ahnt er, dass man ihm eine Falle stellt, geht trotzdem hin und segnet ihn, während ihn draußen vor der Hütte die Soldaten erwarten. Am Ende wird er erschossen.
Graham Greene, der 1926 zum Katholizismus konvertiert war, reiste in den dreißiger Jahren nach Mexiko und erlebte dort die Folgen der "Guerra Cristera", als sich linke Revolutionäre und kirchentreue Bauern einen mörderischen Kulturkampf lieferten.
Man merkt dem Roman an, dass Greene Mexiko gut gekannt hat. Die erzählerische Wucht, mit der er die unerträgliche Hitze schildert, die Armut der indigenen Landbevölkerung und die allgemeine Korruption, ist wahrhaft bedrückend. Die Akteure tragen zumeist keine Namen, Ort und Zeit werden nur angedeutet.
Der Leutnant, der den Priester verfolgt, ist überzeugter Kommunist. "Er erinnerte sich an den Weihrauch in den Kirchen seiner Kindheit, an die ungeheuren Forderungen, die vom Altar herab gestellt wurden, von Männern, die nicht wussten, was Opfer bedeutete. Die alten Bauern knieten dort vor den Heiligenbildern, die Arme gekreuzt; müde nach dem langen Arbeitstag in der Plantage, zwangen sie sich zu einer weiteren Kasteiung."
Der Leutnant veranlasst eine Razzia in einem der Dörfer, wo er den Priester vermutet. Der steht unerkannt unter den Dorfbewohnern. Zu ihnen sagt der Leutnant: "Ihr seid Narren, wenn ihr noch immer glaubt, was euch die Priester einreden. Die wollen nichts als euer Geld. Was hat Gott für euch je getan? Habt ihr genug zu essen? Anstatt von Nahrung sprechen sie zu euch über den Himmel. Ja, alles wird gut sein, wenn ihr tot seid, sagen sie. Ich sage euch: Alles wird gut sein, wenn sie tot sind." Doch die Bauern bleiben stumm, sie verraten den Priester nicht.
Die Worte und die Weisheit
An der Stirnwand der Aula des Hamburger Johanneums, wo meine Kinder zur Schule gingen, steht in griechischen Versalien: DOSO YMIN STOMA KAI SOPHIAM, "ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben." Mir ist die Bedeutung dieses Satzes erst durch die Lektüre des Romans aufgegangen. Er zeigt, dass die verfolgten Christen – wider alle Wahrscheinlichkeit – im Besitz "der Worte und der Weisheit" sind, auch und gerade dann, wenn sie schweigen. Darin zeigen sich "die Kraft und die Herrlichkeit", von denen der Titel spricht.
Ich frage mich, ob ein solcher Roman heute noch geschrieben werden könnte und ob er ähnlich viele Leser fände.