Nur mit Musik Milliardär zu werden ist ein Kunststück, das bislang erst einer Person gelungen ist: Taylor Swift (35) steht auf der Bühne seit sie ein Kind ist und hat so ziemlich jeden Rekord der Popgeschichte gebrochen. Ihr neues Album trägt den Titel "The Life of a Showgirl" und erregte hitzige Debatten unter ihren Fans.
Als Ikone des Feminismus und erklärte Vertreterin der amerikanischen Demokraten sind es gewisse Textzeilen, die die Debatte entfachten, ob Swift einen konservativen Turn vollzogen hätte. Auf einmal singt sie, dass sie an die Ehe glaube, Treue schwören und Kinder kriegen wolle. Ob das an ihrer Verlobung mit Footballstar Travis Kelce liegt oder gar an einer inneren Annäherung an das MAGA-Lager, ist tatsächlich Gegenstand hitziger Online-Debatten unter "Swifties".
Der Sängerin übergroßen Konservativismus oder gar Prüderie nachzusagen, hieße aber, ziemlich viele andere Textzeilen des neuen Albums zu übersehen. "The Life of a Showgirl" ist randvoll mit sexuell expliziten Formulierungen. Dennoch bleibt die Frage im Raum, warum Swift sich auf einmal der klassischen Familienvorstellung näher zu fühlen scheint und warum die Reaktionen darauf so irritierte sind.
Der gefährliche "Jesus Glow"?
Es ist kein amerikanisches Phänomen allein. In Deutschland beschäftigen sich Reportagen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit dem "Jesus Glow", also der besonders perfekt inszenierten positiven Ausstrahlung junger "Christfluencer", deren Makel darin erkannt wird, dass sie neben Schönheit und Jesus eben auch traditionelle Rollenvorstellungen bewerben.
Millionen Follower und dabei konservative Familienbilder: An dieser Vorstellung scheint etwas höchst Beunruhigendes zu sein. Unter einem Instagram-Post der SZ, in dem Victoria Bonelli erzählt, warum sie als sechsfache Mutter gerne zu Hause bei ihren Kindern bleibt, gibt es unzählige kritische Kommentare mit tausenden von Likes.
Es mutet seltsam an, dass der Wert der Selbstbestimmung der Frau offenbar nur dann hochgehalten und gefeiert wird, wenn die Frau sich zu einem bestimmten Lebensmodell entscheidet.
Das Gespenst einer "Tradwife"-Bewegung geht um. Gemeint ist, dass junge Frauen auf einmal ihre Liebe zum Backen, Kochen, Kinderkriegen und Hausfrauendasein entdecken könnten.
An den irritierten, bisweilen fast panischen Reaktionen auf den kleinen, aber wahrnehmbaren Trend fällt zweierlei auf. Zunächst mutet es seltsam an, dass der Wert der Selbstbestimmung der Frau offenbar nur dann hochgehalten und gefeiert wird, wenn die Frau sich zu einem bestimmten Lebensmodell entscheidet. Wählt sie (freiwillig!) ein anderes, wird dies als rückständig, unverantwortlich und bemitleidenswert gelabelt. Erwartet wird von jungen Frauen eine andere Entscheidung. Doch waren es nicht genau die fixierten Rollenerwartungen, gegen die der Feminismus rebelliert hatte? Oder ist Selbstbestimmung nur dann gut, wenn sie zu einer ganz bestimmten Entscheidung führt, die von der Mehrheitsgesellschaft goutiert wird?
Auffällig ist zweitens, dass die Kritik spornstreichs den "Christfluencern" gilt, während eine deutlich rigorosere Quelle traditioneller Rollenbilder als Elefant im Raum oft unadressiert bleibt.
Hanna Hansen ist Ex-Kickboxerin und bewirbt auf TikTok und Instagram mit jeweils einer Viertelmillion Followern den salafistischen Islam. Bei ihr und den zahlreichen anderen islamischen Influencern bleibt es nicht beim Kuchenbacken und Kinderkriegen: hier geht es um unbedingten Gehorsam dem Ehemann gegenüber ebenso wie um die Pflicht zur Vollverschleierung. Hier gäbe es für den Feminismus noch einiges zu hinterfragen.
Natürlich kann auch das ein Trend sein, der jungen Menschen mit verletzlichem Ich die Ausflucht in eine einfache, aber konstruierte Gruppenidentität bietet; alle Ideologien arbeiten so.
Und dennoch ist die Kritik an "Jesus Glow" und "TradWive" auch nicht ganz unberechtigt. Natürlich kann auch das ein Trend sein, der jungen Menschen mit verletzlichem Ich die Ausflucht in eine einfache, aber konstruierte Gruppenidentität bietet; alle Ideologien arbeiten so. Wenn wir ehrlich sind, leben wir jedoch alle ein Stück weit im Zeitalter der inszenierten Identitäten. Wer sich auf den sozialen Medien bewegt, kann sich diesem Sog kaum entziehen.
Worauf es ankommt
Die Klärung der eigenen Identität, der eigenen Werte und Vorstellungen, ist eine gewichtige Aufgabe. Ob Taylor Swift wirklich anders über die Ehe denkt oder sich einfach an einen zumindest in den USA drehenden Zeitgeist anpasst, wird ebenso schwer zu beantworten sein wie die Frage, ob junge Leute, die sich für traditionelle Lebensentwürfe entscheiden, das aus Freiheit heraus tun oder weil sie blind einem Trend hinterherlaufen.
Freilich mutet es eigenartig parteiisch an, wenn im Folgen des einen Trends überhaupt nichts Bedenkliches gesehen wird, in einem anderen aber schon. Am Ende bleibt die Frage für uns alle aktuell, ob wir echt sind, oder eben nur eine Rolle spielen. In dieser Hinsicht ist der Titel von Swifts Album vielleicht ein Anlass zur Selbstreflexion: "The Life of a Showgirl".