Vom StaunenIn Istanbul zieht eine katholische Kirche auch Nicht-Christen an

An den Weihnachtstagen strahlt die Schönheit des christlichen Glaubens so hell, dass er auch andere erreicht. Warum vor allem dann?

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Ein Buch, das mich sehr beeindruckt hat ist "Ungläubiges Staunen" von Navid Kermani. Vor etwa zehn Jahren erschien der Blick eines Muslims auf die Welt des Christentums. Über Kunstwerke suchte er die Auseinandersetzung und fand schöne Worte, um das für ihn Unglaubliche zu beschreiben, was wir glauben.

Aus dem Staunen wäre fast Begeisterung geworden, in Rom spürte er Neid auf diesen großen Kult und gestand, dass er sich den Praktiken des Christentums womöglich "nach und nach angeschlossen hätte", wenn die Inkarnation und andere Glaubensinhalte für ihn nicht so unannehmbar wären. Genauer schreibt er,

ich "hätte die lateinische Messe besucht und wäre mit Pausen in den Singsang eingefallen, wenngleich anfangs mehr aus ästhetischen Gründen, vielleicht auch aus Faszination für die beispiellose Kontinuität einer Institution, die aus Gottes Angehörigen eine Gemeinschaft bildet. (...) So halte ich die Möglichkeit zwar weiterhin für falsch – aber erkenne, mehr noch: spüre, warum das Christentum eine Möglichkeit ist."

Christlicher Anziehungspunkt in der Türkei

Mit seiner Faszination ist er nicht allein. Ein aktuelles Beispiel: In Istanbul steht die größte katholische Kirche der Türkei, die neugotische Basilika St. Antonius. In der Advents- und Weihnachtszeit ist sie reich geschmückt, an den Festtagen gibt es ein Krippenspiel. Ein Anziehungspunkt – auch für Nicht-Christen. Weil der Andrang so groß ist, muss die Kirche sogar während der Gottesdienste für Touristen geschlossen bleiben. Ihre Architektur lädt mit ihrem hell-dunkel-Spiel zur Andacht ein, Gregorianischer Choral wird über Lautsprecher wiedergegeben und vor Heiligenbildern kann man Kerzen anzünden. Der Ort atmet Historie. Gegründet haben die Kirche einst Franziskaner, die schon seit dem 13. Jahrhundert in damals noch Konstantinopel wirkten. Verschiedene Medien haben über den großen Andrang berichtet, im Netz finden sich zahlreiche Bilder von Menschen, die vor der Kirche und den Christbäumen posieren. Darunter viele Musliminnen, wie man am Kopftuch erkennen kann.

Die Feier und Verehrung der christlichen Glaubensgeheimnisse hat sich über die Jahrhunderte so mannigfaltig ausgestaltet, dass man nicht umhin kommt, bei manchen Liedern, Bildern oder Gebetsabfolgen das Wirken des Heiligen Geistes zu vermuten, oder nicht?

Zeigt uns Weihnachten und sein Zauber nicht immer wieder aufs Neue die große Strahlkraft des Christentums? Jahr für Jahr klingt hier an, was für eine großartige Nachricht wir feiern: dass Gott Mensch wurde, in einem hilflosen Säugling, wie wir es auch einmal waren. Der sich dann auf den Weg macht ein irdisches Leben zu führen – Schmerz und Leid miteingeschlossen. Der uns in all unseren Erfahrungen so nahe kommt und damit kein Gott ist, der im Himmel auf einem Thron weilt, sondern einer, der bei uns sein will. Der uns gerade in Schmerz und Leid trösten kann, weil er dort auch schon war und ist. Natürlich: die nächste Sensation ist dann das Osterfest, sein Sieg über den Tod.

Eine Religion für alle Sinne

Die Feier und Verehrung der christlichen Glaubensgeheimnisse hat sich über die Jahrhunderte so mannigfaltig ausgestaltet, dass man nicht umhin kommt, bei manchen Liedern, Bildern oder Gebetsabfolgen das Wirken des Heiligen Geistes zu vermuten, oder nicht? Kann der Mensch das alles allein machen? Wie gelingt es, dass in der Musik, in einem Bild etwas so sichtbar, ja fühlbar wird, dass es uns ins Herz trifft? Heidegger hat einmal geschrieben, dass Transzendenz ein "Hinaussein über das Seiende" ist. Ist es nicht genau das? Etwas kommt hinzu. Und das spürt man.

Der Katholizismus ist eine Religion für alle Sinne. Das zieht an. Heute versteckt man dieses Erbe zu oft. Wir erfinden neue, einfachere Formen, um anschlussfähiger zu sein – und trotzdem kommen nicht mehr Menschen am Sonntag. Aufgeführte Messen von Mozart oder Haydn füllen Konzertsäle, die Kirchen bleiben leer. Nur an Weihnachten nicht, das Fest versprüht eben diesen besonderen Glanz, der staunen lässt – eigentlich sehnt man sich danach das ganze Jahr.

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