Schule und SmartphoneEs muss sich etwas ändern

Ein Lehrer warnt: Smartphones zerstören Aufmerksamkeit, Beziehungen und psychische Gesundheit. Ein Plädoyer gegen die Resignation – und für mutige Regeln in Schulen.

Smartphone
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Im zurückliegenden Schuljahr ereiferte sich eine Dreizehnjährige bei einem Gespräch, dass ihre Eltern ihre mobilen Daten auf acht Stunden täglich reduziert hätten. Was das Mädchen als anmaßende Einschränkung empfand, war dem Umstand geschuldet, dass sich für viele Jugendliche ein beträchtlicher Teil ihres Lebens inzwischen im digitalen Raum abspielt.

Diese Entwicklung geht an Schule natürlich nicht vorbei. In den vergangenen Monaten kam (selbst) in Deutschland die Diskussion auf, ob man bestimmte Plattformen für Jugendliche verbieten und ob die Nutzung von Handys an Schulen untersagt werden solle. Die einen fordern gesetzliche Regelungen und Beschränkungen, die anderen sehen dahinter das hilflose Aufbäumen der ewig Gestrigen, die eben die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hätten. Man könne das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Die Welt sei nun mal so, wie sie inzwischen ist.

Vor ein paar Jahren habe ich als Lehrer und Schulseelsorger begonnen, mich mit diesen Fragen intensiver auseinanderzusetzen. Angestoßen wurde diese Auseinandersetzung nicht durch die Medien, sondern durch Beobachtungen und Erlebnisse in der Schule selbst.

Wer in die Studienlandschaft blickt, der erkennt, dass die Anzahl der psychischen Erkrankungen unter Jugendlichen seit 2010 beständig und in einem besorgniserregenden Maße zugenommen hat.

Die ersten Seelsorgegespräche an dem Gymnasium, an dem ich seit inzwischen zehn Jahren tätig bin, führte ich gleich in meinem ersten Jahr dort. Zu Beginn waren es etwa zwei oder drei in der Woche. Inzwischen sind es bis zu sechs. Dieser Zuwachs ist kein ortsbezogenes Phänomen und hat auch nichts mit mir zu tun. Wer in die Studienlandschaft blickt, der erkennt, dass die Anzahl der psychischen Erkrankungen unter Jugendlichen seit 2010 beständig und in einem besorgniserregenden Maße zugenommen hat. Stellvertretend für viele sei hier das Werk des US-amerikanischen Psychologen Jonathan Haidt, dessen Buch "Generation Angst. Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen" 2024 auch auf Deutsch erschien. Er setzt sich darin mit dem Niedergang der spielbasierten Kindheit und dem Aufstieg der smartphonebasierten Kindheit auseinander, wobei er die Studien vieler anderer renommierter Psychologen, Ärzte und anderer Wissenschaftler einbindet.

Wie es begann

Lange bevor ich mich mit Haidt auseinandersetzt hatte, fiel mir in der Begleitung junger Menschen in der Seelsorge etwas auf, das mich beunruhigte. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, all die verschiedenen Phänomene zu nennen, doch die wichtigsten seien erwähnt. Ich musste erleben, dass es vielen Jugendlichen zunehmend schwerfiel, sich mit sich und in sich selbst wohl zu fühlen. Mit sich zufrieden zu sein. Das eigene Erscheinungsbild in der ständigen Konfrontation mit oftmals unerreichbaren Idealen aus dem Netz noch als schön zu bezeichnen.

Wenn in der Jugend die Hinwendung zu den Gleichaltrigen stärker wird – und damit die Lösung von den Eltern –, gewinnt das an Bedeutung, was Menschen außerhalb der Familie von einem denken und über einen sagen. Ich sehe, dass in meiner eigenen Jugend der Kreis derer, von denen verbal oder nonverbal Rückmeldung kam, noch wesentlich übersichtlicher war als heute, wenn sich die Jugendlichen über die sogenannten sozialen Medien austauschen und auf ihren Plattformen aufhalten. Leider sind die Hemmungen, jemandem gegenüber etwas Negatives oder Verletzendes zu äußern, in der scheinbaren Anonymität des Internets viel geringer. Wenn ich die Wirkungen meiner Handlung nicht direkt sehe, ist es einfacher, jemanden zu beleidigen, als wenn ich zusehen muss, wie die Wucht meiner Worte in meinem Gegenüber einschlägt.

Und so hat auch das Mobbing eine neue Qualität angenommen. Korrekt: Mobbing gab es auch schon früher und bevor im Jahr 2007 das erste iPhone in den Handel kam. Doch Qualität, Quantität und Reichweite sind anders, wenn man etwas über den Streber in der ersten Reihe auf einen Zettel schreibt und im Klassenzimmer kursieren lässt. Wer heute ein Meme über die verhasste Person aus der ersten Reihe generiert, der kann in Windeseile ein großes Publikum erreichen. Und während der Zettel mit den bösen Zeilen oder dem bösen Bild schnell in den Papierkorb wandern kann, vergisst das Netz nichts.

Die Anzahl der Jugendlichen, die mit einer Essstörung bei mir in der Begleitung auftauchen, hat deutlich zugenommen. Die Weitervermittlung an therapeutische Stellen ist nicht immer einfach, da diese Entwicklung nicht nur an unserer Schule stattgefunden hat. Therapieplätze sind oftmals rar.

Die Fähigkeit, sich über längere Zeit auf eine Sache, einen Text etwa, zu konzentrieren, ist in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen.

Als Lehrer beobachte ich noch weitere Entwicklungen. Die Fähigkeit, sich über längere Zeit auf eine Sache, einen Text etwa, zu konzentrieren, ist in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen. Wer es gewohnt ist, auf der Plattform TikTok von einem Kurzvideo nach dem anderen unterhalten zu werden, der gewöhnt sich an schnell wechselnde Reize und teils auch starke Stimuli. Dies lässt sich im Übrigen auch ganz einfach an der Entwicklung von Filmen und Serien ablesen, wo es im Laufe der Jahre zu immer schnelleren Schnitten und Szenenwechseln kam. Das Problem bei vielen Jugendlichen: Die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit ist kleiner und kleiner geworden. Haidt drückt es etwas krasser aus: Die Leute werden dümmer.

Darüber hinaus, wer immer weniger Zeit von Angesicht zu Angesicht mit Freunden zu tun hat, der läuft auch Gefahr, bestimmte soziale Fähigkeiten einzubüßen. Einen Großteil der Informationen darüber, wie sich mein Gegenüber fühlt, wie es ihm geht, kann ich aus Körperhaltung, Mimik und Gestik erschließen. Dies ist durch Emojis nicht zu ersetzen.

Kein wirkliches Zusammensein mehr

Viele Jugendliche haben in Gesprächen schon ihre Enttäuschung darüber ausgedrückt, dass auch dann, wenn sie sich in einer Gruppe treffen, es kein wirkliches Zusammensein gibt. Nicht selten sitzt die Gruppe zwar zusammen, doch jeder versinkt mehr oder minder in seiner eigenen Welt, um nur ab und an den anderen etwas zu zeigen, was er oder sie gerade entdeckt hat. Eine Jugendliche erzählte, sie habe bei den Besinnungstagen die Hoffnung gehabt, dass hier wirklich mal wieder echte Begegnungen stattfinden könnten. Schließlich sei klar gewesen, dass der Empfang mies sei und es kaum Netz gebe. Das führte jedoch leider dazu, dass viele ihre Zeit damit verbrachten, den Ort zu suchen, an dem doch noch ein einigermaßen brauchbarer Empfang zu finden war.

Da die Betreiber Geld damit verdienen, wenn möglichst viele Leute möglichst viel Zeit auf ihren Plattformen verbringen, sind diese so gestaltet, dass sie abhängig machen

Die Bindungskräfte der Plattformen sind enorm. Da die Betreiber Geld damit verdienen, wenn möglichst viele Leute möglichst viel Zeit auf ihren Plattformen verbringen, sind diese so gestaltet, dass sie abhängig machen. Die Mechanismen, die hier zur Anwendung kommen und welche Rolle das Dopamin dabei spielt, sind inzwischen hinlänglich erforscht. Jugendliche sind in den allermeisten Fällen entwicklungspsychologisch noch nicht zu der Affektkontrolle fähig, die nötig wäre, um sich hier eine andere Richtung zu geben, was von den Plattformbetreibern ausgenutzt wird.

Was denken die Jugendlichen selbst?

Studien sind das eine, doch ich fragte mich, was die Jugendlichen selbst denken. Deswegen habe ich in vielen Klassen unterschiedliche Unterrichtseinheiten sowohl in Reli als auch in Deutsch durchgeführt. In Reli beispielsweise habe ich etwas vorgestellt, was nicht erst seit Ignatius von Loyola als "Unterscheidung der Geister" bekannt ist. Leicht abgewandelt sollten sich die Jugendlichen fragen, was in ihrem Leben einen guten, positiven Effekt auf sie hat, was sie freier macht und ihr Leben reicher. Es ging also um "eudaimonische" Dinge, Dinge, denen ein guter Geist innewohnt. Auf der anderen Seite standen die Sachen, welche die Gefahr mit sich bringen, Besitz von einem zu ergreifen. Das Leben enger zu machen. Daimonische Dinge.

Als ich die Jugendlichen mit diesen Fragen losschickte, waren sie frei. Die Fragen und Impulse waren auch nicht eingebettet in eine Unterrichtseinheit zur Digitalisierung oder ähnlichem. Es ging vielmehr um Lebensgestaltung. Ausgangspunkt war das Jesuszitat aus Joh 10,10: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben." Die Frage war also: Wo gewinnt mein Leben Fülle? Wo wird es eingeschränkt? Wo laufe ich Gefahr, von mir selbst entfremdet zu werden?

In allen Klassen wurde von den Jugendlichen selbst das Handy/Smartphone als daimonisches Ding genannt. Als ich sie nach den negativen Folgen fragte, nannten sie vieles, was in den Studien der Psychologen so auch zu finden wäre.

Die meisten wissen oder ahnen recht genau, wie schädlich und gefährlich das ständige und lange Abtauchen in digitale Welten ist. Doch es ist alles andere als einfach, sich dieser Macht zu entziehen.

Als ich die Jugendlichen dann fragte, wieso sie trotzdem so viel Zeit auf den Plattformen zubrächten, nannten sie viele Mechanismen, die von den Plattformen verwendet werden, um die Leute möglichst lange zu halten. Dies ging vom sogenannten FOMO (fear of missing out, der Angst, etwas zu verpassen) über die Verknappung von Inhalten (wenn beispielsweise Inhalte nur eine kurze Zeit sichtbar sind), Zeitdruck (wenn z. B. bei BeReal innerhalb von zwei Minuten geantwortet werden muss) bis zu diversen Belohnungssystemen. Die Jugendlichen kannten sich hier natürlich viel besser aus als ich. Es zeigte sich: Die meisten wissen oder ahnen recht genau, wie schädlich und gefährlich das ständige und lange Abtauchen in digitale Welten ist. Doch es ist alles andere als einfach, sich dieser Macht zu entziehen.

Was tun?

Der Psychologe Jonathan Haidt stellte nach seiner intensiven Beschäftigung mit den negativen Folgen des Smartphone-Konsums für Jugendliche folgende Forderungen auf:

  • Smartphones erst ab 14 Jahren
  • Keine sozialen Medien vor einem Alter von 16 Jahren
  • Smartphonefreie Schulen
  • Viel mehr unüberwachtes Spiel und Unabhängigkeit in der Kindheit

Dies, um den von ihm sogenannten vier Grundübeln des digitalen Konsums entgegenzuwirken: soziale Deprivation, Schlafmangel, Fragmentierung der Aufmerksamkeit und Abhängigkeit.

Mit meinem Anliegen, unsere Schule zu einem Ort zu machen, an dem die Jugendlichen wieder mehr direkt miteinander zu tun hätten, an dem mehr echte Begegnungen stattfinden könnten, wurde ich vorstellig vor der erweiterten Schulleitung, dem Elternbeirat, dem Schülerrat und dem Gesamtlehrerkollegium. Das Gymnasium hat sich inzwischen auf einen Weg gemacht; es wurde eine Woche ohne Smartphone durchgeführt. Dazu wurde vom Kreismedienzentrum ein Podcast erstellt. Wohin die Reise geht? Man wird sehen. Die Kräfte, die eher bremsen auf dem Weg, die Schule zu einem Schutzraum für mehr analoge, echte Begegnungen zu machen, sind interessanterweise nicht bei den Eltern zu suchen, sondern bei der Schulleitung.

Doch ich weiß, dass die Haltung, man könne ja doch nichts ändern, die Welt sei nun mal so, wie sie sei, nirgendwohin führt. Ich habe zu viel Leid gesehen, als dass ich mich mit dieser Floskel zufriedengeben könnte. Zudem ist diese Haltung zutiefst unchristlich.

Wenn sich also die Schule gleich der katholischen Kirche in Reformsachen mitunter nicht schnell, sondern etwas langsam bewegt, so bleibt doch das, was wir selbst tun können. Wie oft sehe ich, dass viele junge Menschen mit ihrem Verhalten letztlich nur die logische Folge dessen sind, was die Erwachsenen tun. Es macht etwas mit einem Kleinkind, wenn die Mutter lieber auf FaceTime unterwegs ist, als sich mit ihrem Zögling auseinanderzusetzen. Wenn man Kinder stillstellt, indem man sie vor ein iPad setzt. Es macht etwas mit Jugendlichen, wenn beim gemeinsamen Essen in der Familie Mami und Papi selbst ständig am Handy sind.

Trotz der beschriebenen Entwicklungen habe ich viele tolle junge Menschen kennengelernt, denen es gelungen ist, zu einem guten Umgang mit dem Handy zu finden.

Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich die Dinge noch zum Besseren wenden können. Trotz der beschriebenen Entwicklungen habe ich viele tolle junge Menschen kennengelernt, denen es gelungen ist, zu einem guten Umgang mit dem Handy zu finden. Die kreativ sind, sprachbegabt. Die in so vielem zeigen, dass sie nicht nur Konsumopfer sind und nicht das Endergebnis irgendeiner Mode, die kürzlich viral ging.

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