„Ihr Evangelischen könnt einfach nicht feiern,“ brummte neulich ein katholischer Kollege am Rande eines ökumenischen Treffens. Mit einem energischen Kopfnicken wies er zu den beiden schmucklos zusammengeschobenen Tischen an der Wand des evangelischen Gemeindesaales und dem dort dargebotenen Snack. Der Kollege schloss die Augen, seine Lippen flüsterten: „Was ich sehe: Trockene Brezeln (bestimmt schon heute früh gekauft, oder noch älter und dreimal aufgebacken), Wasser Medium (in kleinen Plastikflaschen; wetten, dass das Haltbarkeitsdatum seit mindestens vier Monaten abgelaufen ist?!), und die Krönung des Ganzen: Als Alternative zum Wasser bitterer Kaffee (und das am Abend, ich danke auch schön).“
„Aber das geht ja noch,“ fuhr er mit Gesichtszügen fort, die Schmerzlinien ahnen ließen, „zur ökumenischen Bibelwoche gab es in einer eurer Gemeinden nur dünnen Blümchentee aus Kaffeekannen, mit entsprechender Kaffeenote im Geschmack, und dazu muffige aschgraue Kekse.“ Er ließ jeden Vokal im Aschgrau nachklingen. Sein Blick ruhte missbilligend auf mir. Ich musste kurz an meine Katze denken und ihre allmorgendliche Botschaft „Schande über dich“, die sie mit ihrem Blick ausstrahlt, wenn ich mich nicht schnell genug für sie erhebe.
Der katholische Kollege klopfte mir auf die Schulter und schloss: „Da ist schon viel Schönes. Ihr werdet langsam besser.“ Dann ging er, sein Sarkasmus blieb bei mir stehen. Er ging, bevor ich überhaupt irgendetwas sagen konnte, bevor ich als ein im Widerspruch gestählter Protestant einwenden konnte: „Moment, Moment, das ist ja heute auch mehr Gespräch als Feier, und du müsstest mal das Kuchenbuffett bei unserem Seniorennachmittag sehen oder die Mahlzeiten zum Weltgebetstag! Da tropft dir der Zahn.“ Das hörte er nicht mehr. Und vor meinem geistigen Auge sah ich nur sein müdes Abwinken: „Und? Gibt’s bei uns Katholiken jede Woche.“
Ist das so? Hat er recht? Können wir Evangelische alles, nur nicht feiern? Dann ist das Heftthema „Zeit zum Feiern“ krass im Thema verfehlt. Setzen, sechs.
Anders gefragt: Wann haben wir denn das Feiern verlernt? Angeboren ist ein derart diagnostiziertes Festleiden ja bestimmt nicht. Jesus galt keineswegs als Kost- und Feierverächter, Luther noch viel weniger, dann können es ja nur das Zeitalter des Pietismus und die Preußen gewesen sein mit ihren hageren, langen Kerls und mit ihrer grimmigen Siegesfreude bei jeder Form von schmerzlicher Enthaltsamkeit, die uns bis heute prägt und uns die Laune am Feiern nachhaltig genommen hat.
Je länger der katholische Kollege mich über solcherlei Unsinn sinnierend in der Ecke des Gemeindesaals stehen ließ, umso milder wurde mein Urteil über ihn. Ja klar, wer hat es nicht schon selbst erlebt: Dünner Blümchentee aus Kaffeekannen mit Geschmack nach Kellertreppe; unvergessen die um Contenance bemühten Gesichter nach dem ersten Schluck. Und das alles eben nicht im Jugendcamp fernab aller Zivilisation, sondern in einer ganz normalen Gemeindeveranstaltung mit intakter umliegender Infrastruktur.
Und ja, Vorbereitungssitzungen für kleine oder größere Festlichkeiten in evangelischen Kirchengemeinden sind nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Bis zur Heiserkeit kann da um jeden Cent für Essen und Trinken und jeden weiteren Teebeutel in den Kannen (was, mehr als zwei Beutel? Und auch noch fair gehandelt willst du; weißt du eigentlich, was das kostet?!) gerungen werden, als hinge das wirtschaftliche Überleben der ganzen Kirchengemeinde von diesem einen sparsamen Einkauf ab. Ist dieser Punkt dann jedoch erst einmal abgehakt, werden am selben Abend noch Gelder in ungeahnter Höhe für irgendeine irrelevante Bautätigkeit im hinteren Teil des Friedhofs einfach so durchgewunken. Einfach so. Ja, das gibt es. Natürlich gibt es das.
Aber was heißt das nun? Hat der genusssüchtige katholische Kollege etwa recht: Können wir Evangelischen bestimmt viel, aber feiern können wir nicht? Natürlich nicht! Natürlich hat er nicht recht, meine ich. Es gibt schließlich einen viel tieferen Grund für die gebotene Zurückhaltung bei evangelischen Feiern und ihren durchaus bewusst reduzierten Angeboten als nur die schnell ersichtliche Sparfüchsigkeit, die in dem leidigen Vorurteil Außenstehender mündet: „Bei Euch Protestanten muss selbst das Feiern wehtun, gell?“ Der Grund für die gebotene Zurückhaltung liegt tief, sehr tief. Denn nur Evangelische wissen mit ihrer krisengehärteten Lebenserfahrung und mit ihrer im Verhältnis leidlich guten Bibelkenntnis, dass im Verlauf eines Festes seit alters her erhebliche Konflikte auftreten können, die man mit etwas zurückhaltenderen Festvorbereitungen wenn schon nicht vermeiden, dann zumindest hätte abmildern können. Man darf also getrost sagen: Evangelische denken immer mit und einen Schritt weiter, denken immer ans Danach, auch und erst recht beim Feiern.
Gedichte und Songs von Tucholsky bis Max Herre beschreiben hinreichend, dass das Leben immer erst beginnt, wenn der Film endet, wenn der Abspann läuft und die Menschen halb erblindet aus dem Kino in die Welt hinaustreten. Dies gilt mindestens so sehr für das Feiern. Spätestens, wenn diese besondere Zeit, ein Film, ein Fest enden, beginnt der Vergleich mit der zurückkehrenden Lebenswirklichkeit. Und der wird in der Regel ernüchternd und krisenhaft ausfallen. Eine, ich nenne sie bewusst und stolz „protestantische Art des Feierns“, die den lebensnahen kargen Alltag von vornherein mit in das Fest hineinnimmt, gerade auch in den reduziert dargebotenen Speisen und Getränken, erleichtert erheblich den Schritt zurück in die Wirklichkeit nach der Feier und ist damit ein seelsorgerliches Gebot christlicher Lebensbegleitung. Einfach, damit der Absturz nicht zu heftig ist.
Wie überzeugend scheint mir bei der Behandlung der vorliegenden Frage gerade ein Blick in die Bibel! Es ist nicht anders zu sagen: Viele, sehr viele der hier beschriebenen Feste enden in einer Katastrophe oder drohen zumindest, eine zu werden. Warum? Weil das Fest zu üppig war und das Leben damit nicht Schritt hielt. Die Bemerkung von Jesu Mutter an ihren Sohn während einer Hochzeitsfeier: Sie haben keinen Wein mehr, zeigt schon früh das sich andeutende Konfliktpotential, das in einem guten evangelischen Haushalt von vornherein ausgeschlossen ist: Dort gibt es keinen Wein, dort werden keine Getränke gekauft, dort wird das köstliche Nass aus dem Wasserhahn als „Rohrperle“ geadelt. Jesu Antwort zu seiner Mutter: Was kümmerts dich, Frau? wirkte damals nicht unmittelbar deeskalierend. Die Situation musste schließlich durch ein Wunder gerettet werden. Das wäre uns nicht passiert.
In anderen biblischen Erzählungen kommt es noch zu wesentlich weitreichenderen und krisenhafteren Entwicklungen im Zusammenhang einer größeren Feierlichkeit: Allein die Erinnerung an Noahs nächtliche Trunkenheit und Entblößung endet in Verfluchungen, die nicht hätten sein müssen, wenn nur rechtzeitig Wasser gereicht worden wäre. Und ja, man kann Wasser durchaus noch trinken, auch wenn das Haltbarkeitsdatum die Jahreszahl des Vorjahres anzeigt. Das Siegesfest nach einer gewonnenen Schlacht lässt König Saul in der nun einsetzenden inneren Leere beim Feiern einen Speer auf den musizierenden David schleudern und uns ernsthaft fragen: Muss denn immerzu alles befeiert und besungen werden? Ist weniger nicht mehr?
Und dann erst noch all die Diskussionen rund um die Gastmahle und das Feiern im Neuen Testament. Ich denke kopfschüttelnd an die Wut Marthas, die wie wild arbeitet für ein Gastmahl, damit alle sich wohlfühlen, und die trotzdem mitansehen muss, dass ihre Schwester Maria sich einfach zu den Gästen setzt und keinen Finger mehr rührt. Hätte mal einer gesagt: Ein bisschen Brot, ein bisschen Wein, das reicht doch. Und schneide bloß nicht zu viel ab, damit der Rest ja frisch bleibt für morgen. Das geht auch schnell, und dann setz dich zu uns, Martha. Und alles wäre in Butter gewesen.
Ich denke unangenehm berührt auch an eine andere Geschichte, in der ein Mensch zu einem großen Abendessen einlädt und die Geladenen sich einer nach dem anderen entschuldigen, nicht kommen, am Ende Wildfremde am Tisch sitzen und es in der Konsequenz tiefe Verwerfungen mit den ursprünglich Geladenen gibt. Als feiersensibler Protestant möchte ich da laut ausrufen: Musste es denn so weit kommen? Hätte man den Gästen nicht einfach sagen können: Macht erst ordentlich eure Arbeit, danach setzen wir uns noch ganz kurz zusammen auf ein einfaches (betont einfaches) Vesper und einen kleinen (sehr kleinen) Absacker, und auch nicht zu lang, weil: morgen ist auch wieder ein Tag! Hätte man nicht?
Ganz zu schweigen vom Ärger des älteren Sohnes über den kleineren Bruder, der bei seiner Rückkehr ein großes Fest bekommt. Auch diese Wut hätte vermieden werden können mit etwas mehr Zurückhaltung beim Feiern, etwa mit einer Tasse verdauungsfreundlichen Tees aus Hagebutten, nur nicht zu stark, gereicht mit etwas übrig gebliebenem Gebäck aus der Weihnachtszeit. Und gut ist.
Nur eine bestimmte Feier bleibt mir dennoch unverzichtbar, auch wenn ihre Geschichte selbstverständlich wieder krisenhafte Momente in den Blick rückt wie jedes andere Fest auch. Als Jesus zum letzten (Abend-)mahl saß und er gegenüber seinen versammelten Jüngern den appetithemmenden Gedanken äußerte: Einer von euch wird mich verraten, da hat es tatsächlich keine andere Möglichkeit gegeben, als mit geteiltem Brot und Wein, wie er es tat, die Versöhnung mit seinen Menschenkindern wieder auf den Weg zu bringen. Von wegen, wir Evangelischen feiern nicht gerne. Dieses Fest der Versöhnung von Gott und Welt in Christus feiern wir überaus gerne und können gar nicht genug davon haben. Mit der Einschränkung, dass es uns doch bitte schön irgendwann gelingen mag, den verlockend billigen Gaumenspalter-Wein aus dem Discounter gegen einen samtig schmackhaften Qualitäts- Tropfen auszutauschen und auch regelmäßig frischen Nachschub aus der Hostienbäckerei zu bestellen. Nicht alles, was zehn Jahre reift, muss dabei auch geschmacklich besser werden.
Der katholische Kollege kam schließlich zurück zu mir, griff nach einer Brezel, lachte mir zu und sagte: War nur ein Witz, ist gar nicht so schlecht, die Brezel. Ich schenkte ihm einen nachdenklichen Blick.
Soweit die gesammelten Gedanken. Von wegen, wir können nicht feiern. Wir können es – mit Bedacht.
Sie finden manch feinsinnigere Texte zum Feiern in spannenden Beiträgen in diesem Heft, die wir Ihnen diesmal besonders ans Herz und auf die Zunge legen wollen. Ich ende mit dem Gruß eines Freundes, der zum Abschied immer sagte: Es ist mir ein Fest, dass es dich gibt.