Ein Heiliges Jahr ist eine feine Sache, doch wenn es sich dem Ende zu neigt, wird deutlich: Es kann auch etwas anstrengend sein. Es ist nicht einfach, über Monate hinweg (Tod, Beisetzung und Wahl eines Papstes inklusive) in gehobener Stimmung zu verharren. Einmal gar nicht davon zu reden, dass ein solches Jahr seiner Natur nach ein urbanes Ereignis ist und dass das urbane Leben – in Rom zumal – anstrengend sein kann.
Eine wunderbare Kulturlandschaft
Wie gut, dass Rom in Latium liegt und dass Latium eine so wunderbare Kulturlandschaft bietet! Das deutsche Wort "Kulturlandschaft" drückt genau aus, was hier so anziehend ist: Nicht einfach das Kontrastprogramm zur Stadt, grüne Wiesen, hohe Berge, feine Sandstrände (alles das gibt es auch!), sondern im besten Sinne die Einheit von Kultur und Landschaft, nicht als geplantes Ensemble, sondern als Frucht jahrhundertelanger Koexistenz. In dieser Dichte gibt es das selbst in Italien kaum irgendwo so wie in Latium.
Ausflüge nach Frascati, Ostia, Tivoli oder Castel Gandolfo gehören noch ins Standardrepertoire gebildeter Rom-Reisen. Doch wer war schon einmal in Sutri, in Nepi, in Barbarano oder in Blera? Oder, um etwas weiter zu gehen, in Terracina, in Viterbo oder in Bolsena? Das sind alles Städte im besten historischen Sinn des Wortes: also nicht unbedingt Ansiedlungen mit hohen Einwohnerzahlen, aber Orte mit eindeutig urbaner Kultur, mit Stadtmauern, Palästen, oftmals einem eigenen Bischof und großem Selbstbewusstsein.
Nehmen wir Sutri, das sich selbst mit berechtigtem Stolz als antichissima città di Sutri bezeichnet: eine Stadt, die vielleicht älter ist als Rom, aber sicherlich über zweieinhalb Jahrtausende ununterbrochene Siedlungsgeschichte verfügt. Die Piazza del Comune mit Rathaus, Brunnen, Bars und Bäcker ist das antike Forum: seit über 2000 Jahren Mittelpunkt des städtischen Lebens. Die Biblioteca comunale ("Gemeindebücherei") ist nicht nur Treffpunkt und Arbeitsort mit Koch- und Kinderbüchern, sondern hat im Archiv auch Kaiserurkunden aus dem hohen Mittelalter.
Das liegt daran, dass Sutri an der Via Cassia liegt, die im Mittelalter zur Via Francigena wurde, Frankenstraße, auf der Könige und Pilger, Handwerker und Juristen, Dichter und Denker in die Ewige Stadt zogen oder von dort wieder zurückkamen. So kam hier auch Heinrich III. im Jahr 1046, um sich in Rom zum Kaiser krönen zu lassen. Doch in Sutri stellte er fest, dass die Situation in Rom nicht so recht klar, ja vielleicht sogar gefährlich war, denn es gab dort mehrere Päpste oder Papst-Prätendenten. So veranstaltete er die Synode von Sutri, setzte drei Päpste ab, installierte einen eigenen (Suidger von Bamberg, einen der wenigen deutschen Päpste, der sich den Namen Klemens II. gab) und ließ sich von diesem dann in Rom krönen.
In Latium ist alles weniger schick und herausgeputzt als in der benachbarten Toskana, doch landschaftlich nicht weniger anziehend, ja teilweise durch die tiefen Schluchten und die hohen Sporne noch wilder und naturbelassener.
So tritt im scheinbar Provinziellen, Abgelegenen immer wieder die Weltgeschichte vor Augen, und gerade die Begegnung mit Großem im Kleinen macht diese Landschaft so anziehend. Und natürlich auch das unmittelbar Landschaftliche: In Sutri etwa die Reihe von (meist sogenannten) "etruskischen" Gräbern in einem natürlichen Tuffabsturz direkt an der antiken Via Cassia (in Wirklichkeit wohl römische Gräber aus der Kaiserzeit), dazu auch eine kleine frühchristliche Katakombe – und der bis heute genutzte Friedhof der Stadt. Nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten haben eine Siedlungskontinuität seit 2000 Jahren.
© Gabriele Delhey, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
In Latium ist alles weniger schick und herausgeputzt als in der benachbarten Toskana, doch landschaftlich nicht weniger anziehend, ja teilweise durch die tiefen Schluchten und die hohen Sporne noch wilder und naturbelassener. Und als Kulturlandschaft noch dichter, denn es ist eben doch Umland von Rom, und wer mit offenen Augen durch Latium geht, lernt auf Schritt und Tritt auch über Rom (übrigens auch über die Heiligen Jahre) – und lebt doch entschleunigt und viel weniger anstrengend als dort.