Studieren am TiberEine Horizonterweiterung

Mitten im Trubel des herbstlich ausklingenden Heiligen Jahres hat in Rom ein anderes Jahr der Hoffnung begonnen. Die Rede ist vom "anno accademico", das seit Anfang Oktober die etwa 200.000 Studierenden der Stadt samt Lehrenden wieder in die Hörsäle und Bibliotheken führt.

Sant'Anselmo
Kreuzgang von Sant'Anselmo in Rom© ElijahOwens, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Angesichts der Pilgerscharen und Touristenmassen bleiben sie von den meisten trotz ihrer großen Zahl unbeachtet: die Studierenden in Rom. Auch die Universitäten zählen nicht zu den Hotspots von Tripadvisor und anderen einschlägigen Apps, doch lohnt ein Besuch. Wenn man als Externer überhaupt hineinkommt, denn bei den privaten und kirchlichen Einrichtungen ist das meist nur in Ausnahmefällen möglich. Am besten, man kennt jemanden, der jemanden kennt – man weiß ja, wie das in Rom so ist. Noch leichter reist es sich in der Fantasie, lesend lade ich zum Besuch einer Hochschule Roms ein, die mir sehr vertraut ist.

Der Weg führt über holprige Pflastersteine, wie es sie überall in Rom gibt, ausgetreten und glatt, wenn es geregnet hat. Es geht steil hinauf zum Aventin, der zu den sieben Hügel Roms zählt, vorbei am Orangengarten, von dem man aus mit einer herrlichen Aussicht belohnt wird. Der Blick schweift über die Kirchen und Kuppeln der Stadt bis zum Verkehrsgewimmel unten am Tiber. Hier oben ist es ruhig – am Vormittag jedenfalls, wenn noch keine Touristen da sind. Die Basilika Santa Sabina und das berühmte Schlüsselloch der Malteser lassen wir aus und steuern direkt auf einen hohen Torbogen und den dahinter gelegenen Komplex zu.

Es handelt sich um die Hochschule der Benediktiner, deren Namenspatron Anselm von Canterbury als bronzene Figur im Atrium der Kirche die Besucher empfängt. Er lebte im 11. Jahrhundert, war Mönch, großer Beter und Denker, berühmt für seinen ontologischen Gottesbeweis, außerdem mutiger Bischof, liebenswürdiger Pädagoge und Rom-Reisender.

Bevor er 1720 zum Kirchenlehrer erhoben wurde, existierte im 17. Jahrhundert bereits ein Kolleg "Sant'Anselmo" für italienische Mönche in der Stadt. Auf Initiative von Papst Leo XIII. erstand es am Ende des 19. Jahrhunderts als römisches Studienhaus für alle Benediktiner wieder neu. Die Weihe der Kirche am 11. November 1900 hätte der alte Papst gerne selbst vorgenommen.

Glaube, der das Verstehen sucht

Was damals politisch nicht möglich war, holt sein Nachfolger Leo XIV. zum 125-Jahr Jubiläum heuer nach. Das Anliegen des heiligen Anselm war es, Vernunft und Glaube zu verbinden, anders gesagt: ein Glaube, der das Verstehen sucht ("fides quaerens intellectum") – heute das Motto des Päpstlichen Athenäums Sant'Anselmo.

Wie auf der ansprechend gestalteten Tafel neben dem Eingang zu lesen ist, befinden sich im selben Gebäude wie die Hochschule noch das gleichnamige Kolleg sowie der Sitz der benediktinischen Konföderation, der Dachorganisation aller Benediktiner weltweit mit Abtprimas Jeremias Schröder an der Spitze. Das Herz der Anlage bildet der große Kreuzgang; an Sonntagen ein Ort der Stille, ist er unter der Woche von Studierenden aus über 80 Ländern belebt.

Einer davon war ich während der letzten Jahre selbst, habe hier Vorlesungen und Seminare besucht und an meiner Dissertation geschrieben. So viele internationale Studierende im Doktorat für Liturgiewissenschaften wie am päpstlichen liturgischen Institut der Hochschule gibt es weltweit sonst nirgends.

In Rom studiert man nicht nur im Hörsaal, die Stadt selbst ist ein großer Lernort.

Sant'Anselmo durfte ich als einen besonderen Ort der Begegnung, des Studiums und der Gott-Suche erleben, an dem man geistig und geistlich reifen kann.

Doch in Rom studiert man nicht nur im Hörsaal, die Stadt selbst ist ein großer Lernort. Ihre lange Geschichte, die Fülle an Kunst, die Kirchenräume und Heiligen, ihre pasticcerie und pizzerie, sowie vor allem die Weltkirche, die hier greifbar wird. Für mich ist ein Wunder, dass der Glauben an Christus über alle sprachlichen und kulturellen Grenzen hinweg vereint, wofür der Papst steht. In Sant’Anselmo Tür an Tür zu wohnen und studieren mit Menschen aus Polen, Süd-Korea, Kenia, Brasilien oder Syrien weitet den Horizont. All diese Erfahrungen als Student in Rom machen mich dankbar dafür, Teil dieser großen Gemeinschaft sein zu dürfen. Und sie machen mir Hoffnung: die Kirche lebt! 

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