Erleben wir eine leise Rückkehr der Religion? "Sie kommen durch die Fenster, nicht durch die Türe". Mit diesem Bild brachte der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz Kardinal Jean-Marc Aveline vor Kurzem sein Erstaunen auf den Punkt, dass sich in seinem Land immer mehr Jugendliche und junge Menschen dem Glauben zuwenden. Von der Kirche unerwartet.
Dabei hatte sich die katholische Kirche in Frankreich mit ihrem Verschwinden in weiten Teilen des Landes offenbar abgefunden. Trotz einiger Aufbrüche und lebendiger Klöster und mancher Bewegungen – die Resignation lag wie Mehltau auf den kirchlichen Strukturen.
Organisierte Hoffnungslosigkeit
Noch mehr scheint sich die katholische Kirche in Deutschland mit ihrem perspektivischen Verschwinden abgefunden zu haben – "runterskaliert" über die nächsten Dekaden. Nulllinie anvisiert – angefangen bei Gottesdienstbesuchern über Berufungen bis hin zur Kirchensteuer. Und: Faktoren möglicher oder vielleicht sogar wahrscheinlicher Stabilisierung – sie spielen weitgehend keine Rolle. Organisierte Hoffnungslosigkeit scheint das vorherrschende Programm pastoraler Planung.
Unterdessen finden sich in neueren demoskopischen Untersuchungen erstaunliche Zahlen über die Religiosität der Menschen in Deutschland – und die Rückkehr der Frage nach Gott. Die "Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland" (Fowid) hat eine Reihe von Befragungsergebnissen veröffentlicht, die aufhorchen lassen. Fowid wurde 2005 von der atheistischen und kirchenkritischen Giordano-Bruno-Stiftung gegründet.
Zuletzt ließ man Meinungsforscher untersuchen, wie es um die Sicht auf das Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Weltanschauung bestellt ist. Prima facie bestätigen die Zahlen, dass die Säkularisierung in Deutschland weit fortgeschritten ist: Der Aussage etwa, "Entscheidungen, bei denen es um Wertvorstellungen und Moral geht, sollten sich auf Vernunft und Mitgefühl stützen, nicht auf göttliche Gebote" stimmten 47 Prozent "voll und ganz" und 29 Prozent "eher" zu.
Ebenfalls sehr deutlich ist das Ergebnis bei der Frage nach dem, was die Studienautoren ein "naturalistisches Weltbild" nennen: "Ich meine, dass die Welt nach naturwissenschaftlichen Gesetzen funktioniert. Übernatürliche Kräfte wie etwa Götter oder Teufel haben auf unsere Welt keinen Einfluss". Insgesamt 64 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage "voll und ganz" oder "eher" zu.
Jugend mit Gott
Schaut man sich jedoch an, wie die Ergebnisse in unterschiedlichen Alterskohorten ausfallen, reibt man sich erstaunt die Augen. Während die Gruppe der über 60 Jahre alten Befragten die Vorstellung eines religiös vermittelten Sittengesetzes zu 81 Prozent ablehnten, fiel die Ablehnung in der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen mit 64 Prozent deutlich geringer aus. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Frage nach "übernatürlichen Kräften". Während bei den über 60-Jährigen 73 Prozent der Aussage, übernatürliche Kräfte hätten keinen Einfluss auf die Welt, "voll und ganz" oder "eher" zustimmten, waren es bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen insgesamt nur 59 Prozent.
Der Blick auf die Altersverteilung offenbart ein überraschendes Bild. Demnach hätte die katholische Kirche in der jüngsten Alterskohorte (16–29) ihre zuverlässigste Basis.
Fowid hat außerdem gefragt, ob die befragten Kirchenmitglieder heute wieder in ihre Religionsgemeinschaft eintreten würden. 41 Prozent aller befragten Katholiken sagen, dass sie "sicher" oder "wahrscheinlich" wieder der Kirche beitreten würden, wobei sich lediglich 18 Prozent "sicher" sind. Demgegenüber würden 54 "sicher" oder "wahrscheinlich nicht" mehr Katholiken werden wollen.
Auch hier offenbart der Blick auf die Altersverteilung ein überraschendes Bild. Demnach hätte die katholische Kirche in der jüngsten Alterskohorte (16–29) ihre zuverlässigste Basis: 51 Prozent der Befragten sehen sich wieder mit Überzeugung der katholischen Kirche beitreten (24 Prozent "sicher", 27 Prozent "wahrscheinlich"). Mit beiden Werten sind sie Spitzenreiter, deutlich führend vor den anderen Alterskohorten.
Die älteren Generationen gelten im kollektiven Bewusstsein als besonders religiös sensibel und kirchenverbunden. Sie werden heute religionskritischer. Doch trotz eines allgemeinen Säkularisierungstrends zeigen auch andere Umfragen Veränderungen im religiösen Bewusstsein auf.
Eine Umfrage des Instituts "Insa" sieht die Verhältnisse zwischen den Generationen in einer Umkehrung: Bei den 18- bis 49-Jährigen überwiegt bei der Frage nach der Existenz Gottes die Zustimmung, bei den über 50-Jährigen die Ablehnung. Spitzenreiter ist auch in dieser Umfrage die jüngste Kohorte (18–29) mit einer Zustimmung von 46 Prozent gegenüber einer Ablehnung von 37 Prozent. Auffällig bei dieser Umfrage ist vor allem, die vorherrschende atheistische Haltung der 60- bis 69-jährigen: 49 Prozent gehen (eher) nicht von der Existenz Gottes aus, gegenüber lediglich 33 Prozent, die die Gottesfrage bejahen.
Wie reagiert die Kirche?
In die gleiche Richtung weist die Studie "Was glaubt Österreich?" des Österreichischen Rundfunks und der Universität Wien. So bejahen in Österreich 35 Prozent der 14- bis 25-Jährigen ein religiöses Selbstverständnis – gegenüber lediglich 27 Prozent in der Gesamtgesellschaft. Auch stimmen sie der Aussage, kein religiöser Mensch zu sein, mit 37 Prozent seltener zu als mit 48 Prozent in der Gesamtstichprobe. Bezüglich der religiösen Praxis beobachtet die Wiener Studie ein ähnliches Muster.
Die Untersuchung macht, was teilweise zu kritischen Reaktionen auch im kirchlichen Raum führte, außerdem eine andere Haltung gegenüber liberalen ethischen Überzeugungen aus. "Weniger permissiv als der Durchschnitt", so die Studienmacher wörtlich, "zeigt sich diese Kohorte allerdings auch in Bezug auf Homosexualität". 27 Prozent lehnten Homosexualität demnach ab, gegenüber 17 Prozent in der Gesamtstichprobe. Ähnliches gilt für die Ergebnisse zu Transidentität (30 Prozent Ablehnung) oder aktive Sterbehilfe (22 Prozent Ablehnung).
Die Kirche ringt in Deutschland mit Austrittswellen, Flügelkämpfen und innerer Erosion. Unterdessen gibt es empirische Anzeichen dafür, dass in Teilen der jüngeren Generation die Religiosität zurückkommt.
Diese Zahlen zeichnen ein paradoxes Bild: die Kirche ringt in Deutschland mit Austrittswellen, Flügelkämpfen und innerer Erosion. Unterdessen gibt es empirische Anzeichen dafür, dass in Teilen der jüngeren Generation die Religiosität zurückkommt. Ob dies eine Renaissance des Glaubens einleitet oder ob es sich lediglich um eine vorübergehende Reaktion auf eine unübersichtlicher werdende und krisengeschüttelte Welt handelt, ist eine Frage für die Religionssoziologie.
Dass nun ausgerechnet Zahlen aus dem Umfeld der Giordano-Bruno-Stiftung diese Entwicklung bestätigen, zeigt jedenfalls, dass es sich um mehr handelt, als einen Medienhype und einen herbei geschriebenen Trend.
Für die Kirche wiederum stellt sich die Frage, wie sie auf diese Entwicklung reagiert. Ist sie vielleicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt, anstatt sich der einen Frage zu stellen, die eine offenbar größer werdende Zahl junger Menschen wirklich bewegt – die Frage nach Gott, und damit nach dem Sinn und dem Ziel des Lebens?