Rezensionen: Wissenschaft & Bildung

Knobloch, Stefan: Wohin steuern wir? Theologische Aspekte zur digitalen Welt.
Ostfildern: Grünewald 2024. 128 S. Gb. 16,–.

Nicht erst Papst Leo XIV. hat Künstliche Intelligenz (KI) als ein Thema für Kirche und Theologie entdeckt. Stefan Knobloch legt eine kompakte Hinführung zu theologischen Fragen rund um KI und Digitalität vor. Nach einer kurzen Einführung in die vernetzte Realität der digitalen Welt sowie der Entstehungsgeschichte der KI-Forschung stellt der Verf. mit Rückgriff auf Donna Haraway post- und transhumanistische Anthropologien vor. Die Begriffe bleiben unscharf, aber ein Unterscheidungskriterium wird benannt: Es brauche eine Anthropologie, die fähig ist, „humane Strukturen des Lebens zu stärken und zu fördern“ (72).

Die binäre Logik algorithmischer Systeme könne die Komplexität und Mehrdeutigkeit menschlichen Lebens nicht gerecht werden: „das, was die Algorithmen erfassen, [bildet] in keiner Weise die Totale unserer Welt in ihrer Mehrdeutigkeit, in ihrer Wandelbarkeit“ ab (23). Mit Michel de Certeau SJ betont Knobloch die Notwendigkeit einer Sprache, die ringt und dadurch glaubwürdig sei. Mystik zeige, dass sich „das Gesuchte, das irgendwie Unaussprechbare nicht in Worte fassen kann“ und „sich entzieht“ (113).

Auch die scharfe Trennung zwischen Natur und Kultur verblasse: „Nicht weniges spricht heute für einen Paradigmenwechsel [ …] zu ihrer Versöhnung“ (63). Knobloch warnt vor der „Deformation des Menschen“ (80), der nur noch zum Träger von Informationen und Daten gemacht werde. Gleichzeitig gehe es nicht um eine Verteufelung von Technik: „Technik darf nicht als menschliche Anmaßung gegenüber dem Schöpfer ausgelegt werden. In ihr bringt der Mensch sein Streben und sein Vermögen zum Ausdruck, das Leben zu gestalten, zu erleichtern und auf sichere Bahnen zu lenken“ (70).

Den „KI-Visionären“ unterstellt Knobloch drei Hintergrundmotive, die er ausführlicher in den Blick nimmt und theologisch auf sie reagiert: Der Sehnsucht nach Unsterblichkeit durch die Verschmelzung von Mensch und Maschine begegnet er mit Karl Rahner SJ, der den Tod als Grenze sieht, an der die „Erfahrung der letzten Absurdität oder der Unendlichkeit des Geheimnisses der Liebe“ (87) am Horizont aufscheint (vgl. 84-87). Den Traum einer körperlosen Zukunft bringt er ins Gespräch mit Bruno Latour, der die Bedeutung des Körpers für das Menschsein, vor allem auch für Erfahrungen von Liebe, unterstreicht (vgl. 88-93). Dem Ideal der Unverwundbarkeit hält er die Vulnerabilität als Bedingung für Berührbarkeit entgegen (vgl. 93-96).

Um Dialogfähig zu sein, müsse die Theologie „die Wagenburg-Mentalität des Alles-besser-Wissens verlassen und bedenken, dass sie selbst auch nur eine partikuläre Position vertritt“ (115). Fragilität könne zum „Markenzeichen des Glaubens/der Theologie“ (117) werden: Der Substanz des christlichen Glaubens kommen wir „im Prozess der Subsistenz näher, indem wir die christliche Botschaft aus den Kontexten und Subtexten unseres Lebens deuten“ (115).

Ein Nachteil, den der Verf. selbst benennt, ist die fehlende Auseinandersetzung mit dem Bereich Social Media. Dennoch: Das Buch ist lesenswert und bietet eine theologisch reflektierte Annäherung an Fragen von KI und Menschenbild.

                Dag Heinrichowski SJ

Wessels, Susanne (Hg.): Einhundert. Festschrift zum Jubiläum der Bundesarbeitsgemeinschaft katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher (BAG KAE).
Karlsruhe 2025. 148 S.

Festschriften zu Jubiläen fristen in der Regel ein Mauerblümchendasein in der Publikationswelt. Dabei lohnt es sich genauer hinzuschauen, zum Beispiel bei der hier anzuzeigenden Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum der BAG KAE (zur Geschichte der BAG ausführlich 82-92). Allein schon die eindrucksvolle Überschau auf die insgesamt 73 Fachschulen (74-80) ist eine „Landkarte der Hoffnung“ im Sinne des jüngsten Schreibens von Papst Leo XIV. zu 60 Jahren gravissimum educationis; sie macht deutlich, dass es hier nicht um ein Nebenthema kirchlicher Präsenz in säkularer Gesellschaft geht. Erzieher- und Erziehrinnenausbildung ist Multiplikatorenausbildung für einen Dienst in der Gesellschaft (Peter Nothaft, 30-33), ein Dienst, nach dem immer dringenderen Bedarf besteht (Stichwort: Fachkräftemangel, Lehrkräftemangel).

Die bundesweite Vernetzung schafft besonders günstige Bedingungen für fachlichen Austausch und Profilentwicklung (Barbara Remmlinger, 34-37). Die Träger können an den spirituellen Traditionen der Orden anknüpfen, die oft am Anfang der Gründungen standen (Dorothea Rumpf, 38-41). Die Aufarbeitung von Missbrauch hat dafür gesorgt, dass die Anliegen des Kinderschutzes in die Konzeption der Ausbildung auf eine Weise integriert wurde, von der sich staatliche Institutionen eine Scheibe abschneiden könnten (Jörg Maywal, 49 f.). Die Integration von Migrantinnen gelingt auf unkomplizierte Weise (Susanne Wessels, 61-63). Timo O. Meister beschreibt anhand der eigenen beruflichen Biografie, ergänzt durch statistische Belege, die Entwicklung des Erzieherberufes vom typischen Frauenberuf hin zu einer höheren, aber immer noch zu geringen Männerbeteiligung (108-112).

Überhaupt kann man am konkreten Beispiel, etwa an dem der Geschichte der heutigen Fachakademie für Sozialpädagogik Nördlingen (94-97) ermessen, wie Ausbildungsstätten für Erziehung nicht zuletzt Wegbereiter für Frauenbildung wurden. Schließlich garantiert ein gelungenes Layout (von Marc Dietz) von der ersten bis zur letzten Seite Einblicke, die das Leseerlebnis gut ergänzen.

Die Kirche zieht sich aktuell aus dem Bildungsbereich zurück. Schulen werden geschlossen oder an den Staat abgegeben, die Bischofskonferenz löste kürzlich die Kommission VII (Schule und Bildung) als eigene Kommission auf, zuletzt wurden die Zuschüsse für die katholische Elternschaft Deutschlands (Anne Embser, 24) ab 2027 auf null gesetzt. Eine Festschrift wie die vorliegende ist ein kostbarer Hinweis darauf, was an Präsenz und Dienst der Kirche mitten in säkularer Gesellschaft verlorengeht, wenn DBK (und ZdK) bei ihren offensichtlich anders gelagerten thematischen Prioritäten, die ja auch Geld kosten, bleiben.

                Klaus Mertes SJ

Ammerer, Heinrich / Anglmayer-Geelhaar, Margot / Hummer, Robert / Oppolzer, Markus (Hgg.): Utopien im Unterricht: Theoretische Verortungen. Fächerperspektiven. Praktische Beispiele (Salzburger Beiträge zur Lehrer/innen/bildung: Der Dialog der Fachdidaktiken mit Fach- und Bildungswissenschaften 14).
Münster und New York: Waxmann 2024. 219 S. Kt. 34.90. Kostenfrei auf: <https://eplus.uni-salzburg.at/obvusboa/content/structure/11306361>.

„Während Dystopien in der medialen Erfahrungswelt Jugendlicher alltäglich geworden sind, ist es um Visionen einer gelingenden Zukunft vergleichsweise schlecht bestellt,“ heißt es in der ausgezeichneten Einleitung dieses von österreichischen und deutschen Pädagogikspezialisten eigentlich für PädagogInnen verfassten und von vier Salzburger Hochschuldozenten herausgegebenen Buches. Aber Angst vor der Zukunft und fehlende Utopiefähigkeit sind angesichts von Klimawandel, sich ausweitenden Kriegen, befürchteter weltwirtschaftlicher Krise und bröckelnder Demokratien heutzutage in Europa recht häufig festzustellen. Deswegen gehen die hier gesammelten Überlegungen und Vorschläge zu Verständnis und Einübung von „Utopiekompetenz“ weit über den Rahmen von Sekundarschule und Lehrerausbildung hinaus und beinhalten viele Anstöße zu Reflexion, Diskussion und sogar gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten – sowohl in analytischer Hinsicht (also kritisches Erfassen utopischer Elemente in Erzählungen, Filmen und politischen Diskursen, Evaluierung der in ihnen dargestellten Ursachen der beängstigenden Gegenwart und Begutachtung der Plausibilität von vorgeschlagenen Alternativen) als auch in synthetischer Hinsicht (also Erarbeitung visionärer Perspektiven und konkreter Gestaltungsoptionen).

Die vier Artikel des ersten Teils (17-66) bieten einen allgemeinen, mit zahlreichen nützlichen bibliografischen Belegen versehenen Zugang zur Begriffsklärung von Utopie, Eutopie, Dystopie, Mythos, Literatur (mit kurzer Erwähnung von Science Fiction und Fantasy) und zu den entsprechenden kulturhistorischen Rahmenbedingungen des Aufkommens und der Verbreitung dieser Textgattungen in Europa seit der Renaissance.

Der zweite Teil (67-216) ist mit „Fachdidaktische Beiträge“ überschrieben. Hier wird über Erfahrungen und Vorschläge berichtet, Utopie und Dystopie als kritische Denk- und Diskussionsmodelle im Deutsch-, Englisch- und altsprachlichem Unterricht sowie in den Fächern Geschichte, politische und sozioökonomische Bildung, Ethik, Kunst, Physik und Biologie aufzuzeigen und sowohl für die entsprechenden Unterrichtsbereiche als auch für die Verständlichmachung und Einübung utopischer Perspektiven zu verwenden. Jenseits der jeweils eingehend begründeten und detailliert ausgeführten didaktischen Überlegungen können sie als interessante Einladung gelesen werden, bekannte Probleme des individuellen Alltagslebens und öffentliche Diskussionen sozialer Krisensituationen im Hinblick auf meistens weitgehend ausgeblendete Möglichkeitsräume neu zu bedenken. Die Lektüre der Kapitel über die Gestaltung von Wahlen im imaginären „Votetopia“ (129 ff.), die Gegenüberstellung von aktuell ziemlich vorhersehbaren und tatsächlich wünschenswerten wirtschaftlichen Basisinstitutionen (143 ff.) oder die Anstiftung zu Fantasiereisen in natürliche Umwelten der Zukunft (205 ff.) lassen vielleicht am ehesten erkennen, was auch für die anderen genannten Daseinsbereiche gilt.

Die gegenwärtigen globalen Transformationen in allen sozialen und kulturellen Sphären verunmöglichen ja die oft noch stillschweigend favorisierte Orientierung des Schulunterrichts als anpassende „Vorbereitung“ zukünftiger Erwachsener auf die bestehenden Verhältnisse. Utopiekompetenz im Sinne der hier versammelten Beiträge in den verschiedensten Fächern zu vermitteln, eröffnet eine dringend notwendige Perspektive nicht nur für eine „qualitativ hochwertige, forschungsgeleitete und zukunftsorientierte Professionalisierung (angehender) Lehrpersonen“ (7), sondern für viele gesellschaftliche Gruppierungen. Hoffentlich gibt es bald einen weiteren Band in dieser Richtung, in der große und kleine utopische „Experimente“ analysiert werden und gegebenenfalls sogar die In­stitution Schule selbst in Betracht gezogen werden könnte.

                Stefan Krotz

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