Pörksen, Bernhard: Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen.
München: Hanser 2025. 329 S. Gb. 24,–.
Den Medienwissenschaftler interessiert die Frage, wie und wann es zu Kipppunkten kommt, an denen sich Taubheit und Abwehr in Zuhörbereitschaft verwandeln. Er erzählt die Geschichte der jungen Kiewer Unternehmerin Misha Katsurin, die mitten in der Endlosschleife von Desinformationen ein Gesprächs- und Dialogprojekt entwickelt hat; berichtet von Begegnungen mit den kommunikativen Chancen und Fallen des Digital-Utopismus im Silicon Valley; ringt anlässlich der Klimakrise mit der Frage, wie es möglich sein kann, viel zu wissen und doch nicht vorausschauend zu handeln. Schließlich stellt er sich allen Rezepten entgegen, die meinen, öffentliche Kommunikation steuern zu können: „Am Ende dieser Erkenntnis- und Wahrnehmungsreise erscheint mir im Ringen um Offenheit die Absage an das Rezeptdenken als das entscheidende Rezept“ (48). Vielmehr kommt es auf die Qualität des Hörens an.
Das Paradebeispiel für die Fragestellung des Buches ist der spektakuläre Wandel kollektiver Zuhörbereitschaft ausgehend von 1999, dem Jahr der ersten Veröffentlichung des sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule, die auf taube Ohren stieß, bis 2010, als von einem Tag auf den anderen Journalistinnen und Journalisten hohe investigative Energie zu denselben, nicht neuen Enthüllungen entwickelten. Pörksen zieht die Verbindung der Aufklärungsgeschichte an der Odenwaldschule mit derjenigen am Canisiuskolleg nicht abstrakt, sondern erzählerisch. Dadurch werden neue Zusammenhänge sichtbar, die ich vorher noch nicht so dargestellt gesehen habe. Pörksen hat mit den Protagonisten des Jahres 2010 gesprochen. Es sei die „eigentümliche, sich selbst verstärkende Magie des Zuhörens“ (76), die sagbar machte, was gerade noch unsagbar schien, und zwar in einem Prozess, den er in drei Phasen einteilt: „Zum einen müssen sich die Betroffenen austauschen, verbünden, um schließlich ihre Interessen zu artikulieren. Zum anderen ist es nötig, dass die Vertreter der Institution sich öffnen … Und schließlich besitzt die journalistische Skandalisierung eine unverzichtbare Funktion“ (73).
Pörksen räumt radikal mit allen Formen von „Diskursalarmismus“ und „Diskursidealismus“ auf. Das Buch ist sehr persönlich geschrieben, ohne die Mühe des Begriffes zu scheuen. „Hagiographische Differenz“ zuzulassen und deren mächtiges Abwehrpotential zu überwinden, das ist für Pörksen das „Wunder“, das durch Zuhören ausgelöst wird. „Wunder“ würde er vielleicht nicht sagen, aber staunend darf man mit ihm mitgehen in die Abgründe, Fallen und auch heilenden Tiefen des Hörens mit dem „Du-Ohr“ (25-32), da, wo die unentscheidbaren Fragen entschieden werden, denn „wenn man eine unentscheidbare Frage entscheidet, dann wird die eigene Verantwortung deutlich, man kann die Entscheidung nicht an irgendeine übergeordnete Instanz … delegieren“ (40). Und nur das Zuhören, das in die Verantwortung geht, bewahrt vor einem Dezisionismus, der sich eben diese Mühe des Zuhörens erspart.
Klaus Mertes SJ
Füssel, Kuno / Lis, Julia / Ramminger, Michael (Hgg.): Warum die Theologie nicht klein und hässlich sein muss. Politisch-theologische Anfragen an die Zeitenwende und Rückfragen aus unserem messianischen Erbe.
Münster: Edition ITP-Kompass 2024. 266 S. Kt. 19,80.
Der Titel des Buches greift auf eine Bemerkung von Walter Benjamin zurück, in der er die Theologie als „klein und häßlich“ bezeichnet hat, so dass sie sich nicht blicken lassen dürfe. Auch heute ist die Theologie vielfacher Kritik ausgesetzt – bis dahin, dass z.B. ihr Status an der Universität angefochten wird. Sie steht somit vor der Herausforderung, den Nachweis zu erbringen, dass sie über ein argumentatives und performatives Potenzial verfügt, das mit Blick auf den aktuellen Zustand der Welt wahrgenommen zu werden verdient. Doch worin besteht dieses?
Dieser Frage im Gespräch mit Vertretern und Vertreterinnen von Sozial- und Geisteswissenschaften nachzugehen und zu ihr Position zu beziehen, ist das Anliegen dieses Buches. Es dokumentiert die Beiträge, die auf der Tagung im Jahr 2023 aus Anlass des dreißigjährigen Bestehens des Münsteraner „Instituts für Theologie und Politik“ stattgefunden hat. Als von Universität und Kirche unabhängige Einrichtung versteht dieses sich als einen Ort freien theologischen Reflektierens und Experimentierens – und zwar auf der Linie der Neuen Politischen Theologie und der Befreiungstheologie und somit in kritischer Zeitgenossenschaft angesichts der Krisen und Katastrophen der Gegenwart. Die Aufgabe der so verstandenen Theologie lässt sich in Anknüpfung an die von J.B. Metz vorgenommene Definition von Religion als „Unterbrechung“ charakterisieren – Unterbrechung in dem Sinne, dass das Theologietreiben sich sowohl in den wissenschaftlichen Diskurs als auch in die öffentliche Debatte mit Fragen einmischt, und zwar mit Fragen grundsätzlicher Art, denen weithin zugunsten eines oberflächlich-pragmatisch ausgerichteten Denkens und Handelns ausgewichen wird – Fragen nach der conditio humana, der Zeit und Geschichte, nach Gott u.a.m., Fragen also, die aus dem Erbe der Theologie herrühren und sich als höchst aktuell erweisen. Das erkenntnisleitende Interesse zielt darauf, dass und wie angesichts ihres in vielerlei Hinsicht desaströsen Zustands die Option auf die Schaffung und Gestaltung einer für alle Menschen und sonstigen Geschöpfen bewohnbaren Welt theoretisch und praktisch verfolgt und umgesetzt werden kann.
In dem Buch ist das anschaulich auf die Weise operationalisiert worden, dass in sechs Blöcken Kategorien, die für diesen theologischen Ansatz zentral sind, erörtert werden: Katastrophismus und Apokalyptik, Transzendenz und Immanenz, narrative versus instrumentelle Vernunft, Mensch- und Subjektwerdung (mit feministischem Schwerpunkt), universale Solidarität und die Suche nach Orten eines solchen kritischen Theologietreibens. Dabei stehen jeweils theologische und nicht-theologische Beiträge nebeneinander und beziehen sich aufeinander. Darin liegt ein besonderer Reiz dieses insgesamt bemerkenswerten Unterfangens.
Norbert Mette
Teske, Alexander: Inside Tagesschau. Zwischen Nachrichten und Meinungsmache.
München: Langen Müller 2025. 292 S. Kt. 22,–.
Das Buch endet in versöhnlichem Ton: „Ein Dauerkonsum von Medien ist genauso wenig notwendig wie absolute Nachrichtenabstinenz. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn Sie die Nachrichten weiter verfolgen, in der für Sie passenden Dosis“ (287). Der Autor, langjähriger Journalist und zuletzt Redakteur bei der Tagesschau in Hamburg, vorher fünfzehn Jahre lang beim MDR tätig und auch im Privatfernsehen berufserfahren, gewährt allerdings vorher einen kritischen Einblick hinter die Kulissen der Tagesschau-Sendungen. Im ersten Teil (15-104) beschreibt er die komplizierten, Verantwortung diversifizierenden Strukturen der Außenstudios, der Zulieferredaktionen und der Zentralredaktion (dazu auch „Kleinstaaterei im ÖRR“, 116 ff.). Personen werden namentlich genannt oder verschlüsselt vorgestellt („Kollege mit der Vorliebe für Schlabberhosen“ / „Kollege mit dem Klemmbrett“). In Teil II (105-206) nimmt Teske Nachrichten der letzten Jahre in den Blick, die den im Buchtitel erwähnten Tatbestand der Meinungsmache erfüllen und nachträglich von den Verantwortlichen wider besseren Wissens weder vernehmlich zurückgenommen noch korrigiert wurden. Im letzten Teil (207-280) wird untersucht, wie sich Aktualitätszwang und Beschleunigungsdruck immer mehr auf Kosten der Qualität der Entscheidungen und damit auch der Qualität der Nachrichten auswirken.
Der Verlust des Vertrauens in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) ist eine der tieferen Ursachen für die gesellschaftliche Spaltung in unserem Lande. Die Gründe liegen nicht nur, aber auch im ÖRR selbst: Fragwürdiges Expertenwesen (70-84), Faktenchecker, die Gegenchecks nicht standhalten (122-129), Desinteresse am Osten (138-156), enge Meinungskorridore (170-184), kontraproduktive Strategien im Umgang mit der AfD (170-184), blinde Flecken beim Thema Migration (195-206), das alles immer eher links von der Mitte (22 ff.) und oft genug distanzlos mit der Politik kungelnd (60-69).
Anschuldigungen ungeprüft übernehmen; auf der neuesten Empörungswelle mitreiten; nicht nur berichten, sondern auch Meinung machen wollen; mit zweierlei Maß messen – das kann der Reputation von einzelnen Personen und auch von ganzen Menschengruppen nachhaltig Schaden zufügen, und hat es auch getan. Diese Wunden eitern und bringen Misstrauen hervor, vielleicht mehr als angemessen, aber nur schwer wieder einzuholen. Teskes Buch wäre an der einen oder anderen Stelle ja auch durchaus einen Faktencheck wert. Aber es ist im Ton sachlich und unideologisch genug geschrieben, so dass es keinen Grund für unangemessenes Misstrauen gibt, gerade auch bei denen nicht, über die es handelt.
Klaus Mertes SJ