Alles ist eine Frage der Perspektive, und manchmal hilft es, die Perspektive zu wechseln, um klarer zu sehen. Ein echter Augenöffner war für mich das Buch »Die ewige Supermacht« von Michael Schuman, das die Weltgeschichte aus chinesischer Sicht erzählt. Vieles, was wir Europäer für selbstverständlich halten, stellt sich für die Chinesen ganz anders dar. So teilen sie die Geschichte nicht in Antike, Mittelalter und Neuzeit ein, denn diese Epochen ergeben in China wenig Sinn. Das Römische Reich, sein Untergang, Renaissance und Reformation – all das ist dort unbedeutend im Vergleich zur Gründung des chinesischen Kaiserreichs und den Wechseln der Dynastien.
Die Sichtweise im Reich der Mitte erklärt Michael Schuman so: Für die frühen Chinesen bestand die Welt aus konzentrisch angeordneten, ringförmigen Zonen. In der Mitte stehen ihr Kaiser und sein Herrschaftsgebiet. Je weiter entfernt davon eine Zone liegt, umso barbarischer sind die Völker darin. China bildet also das Herz der Zivilisation, und es ist fast seit Anbeginn der Geschichte die führende Supermacht, kulturell, wirtschaftlich und technologisch. Bis eines Tages die Barbaren des westlichen Ozeans – die Europäer – auftauchen und ab dem 19. Jahrhundert das Zivilisationsgefüge zerstören. Nach vielen Wirren sieht sich China heute wieder auf dem Weg dorthin, wo es nach eigener Auffassung seit jeher hingehört: an die Spitze der Weltordnung.
Ihr
Dr. Christian Pantle, Chefredakteur