Biblische Texte exegetisch verantwortet in Leichte Sprache übertragenLeicht, aber nicht simpel

Um allen Menschen das Lesen der Bibel als Grundlage unseres Glaubens zu ermöglichen, sind Übersetzungen in die jeweiligen Sprachen notwendig. Für Menschen mit Beeinträchtigungen, die Schwierigkeiten mit dem Verstehen von Texten haben, bietet eine Übertragung in Leichte Sprache einen Zugang. Doch damit sind einige Herausforderungen verbunden.

Fazit

Die Regeln für Leichte Sprache sind teilweise schwer mit den Eigenheiten biblischer Texte zu vereinbaren, was eine Übertragung erschwert. Die Vielstimmigkeit und Interpretationsoffenheit der Bibel dürfen zudem nicht simplifiziert und banalisiert werden. Die Übertragenden haben daher große Deutungsmacht, tragen aber auch hohe Verantwortung. Doch es lohnt sich, vielen Menschen durch Leichte Sprache Zugang zur Bibel zu ermöglichen.

Das Übersetzen von Texten ist gar nicht so einfach, auch wenn heute die KI dabei helfen kann. Doch wenn Sie jemals einen Text übersetzt haben, wissen Sie, dass es fast nie eins zu eins geht. Immer müssen Überlegungen angestellt werden, wie bestimmte Begriffe am passendsten in die andere Sprache gebracht werden können. Noch schwieriger ist das, wenn die Texte und ihre Sprachen so weit von unserem heutigen Deutsch entfernt sind wie die antiken hebräischen, aramäischen oder griechischen Bibeltexte. Nicht nur Vokabular und Grammatik, sondern auch Vorstellungen, Bilder oder rhetorische Ausdrucksformen der alten Texte können sich stark von unseren unterscheiden. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Bibelübersetzungen, die einen näher am Urtext, die anderen freier in unsere Alltagssprache übertragen, je nach Verwendungszweck und Zielgruppe. Eine besondere Zielgruppe hat die Übertragung von Bibeltexten in Leichte Sprache im Blick – und sie hat es mit besonderen Herausforderungen zu tun.

Leichte Sprache und biblische Sprache

Um Menschen mit Beeinträchtigungen das Lesen und Verstehen von Texten leichter zu machen oder gar erst zu ermöglichen, wurden aus der Praxis bestimmte Richtlinien erarbeitet. Dazu zählen unter anderem folgende Hinweise:

  • Kurze Sätze mit einfachem Satzbau
  • Aktive statt passive Formulierungen
  • Keine (rhetorischen) Fragen
  • Eindeutige Begriffe
  • Keine abstrakten Begriffe und Fremd- oder Fachwörter
  • Keine bildliche Sprache und Redewendungen

Leichte Sprache ist aber keine Kindersprache. Sie soll Sachverhalte nicht simplifizieren oder verkürzen, sondern verständlich darstellen. Das ist bisweilen schon bei Nachrichten eine Herausforderung, auch wenn diese schon in einer klaren, sachlichen Sprache verfasst sind. Biblische Texte haben jedoch oft Eigenschaften, die denen der Leichten Sprache geradezu widersprechen, zum Beispiel enthalten sie

  • poetische und bildhafte, metaphorische Sprache,
  • rhetorische Fragen,
  • theologische Fachbegriffe und altertümliche Begriffe,
  • fremde, ferne Namen und Bezeichnungen,
  • plötzliche Wechsel und Brüche, komplexe theologische Inhalte und uneindeutige Aussagen.

Eindeutigkeit versus Deutungsoffenheit

Eines der Hauptprobleme bei der Übertragung biblischer Texte in Leichte Sprache ist, dass die Bibel über schwer greifbare Themen spricht, die nicht eindeutig benennbar sind. Wie soll man über Gott, die Menschen und ihre Beziehung zueinander reden? Die Bibel ist kein Lehrbuch, sie kann das Geheimnis Gottes nur vielfältig umschreiben und verwendet dafür immer neue Bilder und Vergleiche. Dazu kommt, dass in der langen Entstehungszeit teils widersprüchliche Aussagen in den Texten enthalten sind, oft sogar unmittelbar nebeneinander (vgl. etwa die Anzahl der Tiere in der Fluterzählung). Zudem ist nie „die eine“ Aussage eines biblischen Textes zu erschließen, vielmehr sind die Texte offen für vielfältige Interpretationen. Das erschwert jede Übersetzung, denn oft muss man in der Zielsprache einer bestimmten Bedeutung den Vorzug geben. Die Übersetzenden erhalten dadurch eine große Deutungshoheit, denn sie müssen viele Entscheidungen treffen und sich zwischen der Treue zum Urtext und der notwendigen, aber auch bis zu einem bestimmten Grad bewusst gewählten Freiheit positionieren.

Herausforderungen in der Praxis

Die Besonderheiten biblischer Texte widersprechen also den Anforderungen Leichter Sprache teilweise grundlegend. Wie kann eine Übertragung dennoch gelingen?
Ein Text in Leichter Sprache soll einen einfachen, leicht nachvollziehbaren Aufbau haben. Je nach Zielgruppe ist daher die Beschränkung auf eine einzelne, klare inhaltliche Botschaft nötig. Um diese Elementarisierung des Textes adäquat zu vollziehen und sich klarzumachen, worauf man sich fokussieren möchte, muss man den Text sehr gut kennen, idealerweise im fremdsprachigen Urtext. Wo das nicht geht, kann man verschiedene deutsche Übersetzungen nutzen, etwa die urtextnahe Elberfelder Bibel, und zusätzlich exegetische Literatur zu Rate ziehen. Doch auch die konkrete Zielgruppe sollte man gut kennen, um entscheiden zu können, welche Botschaft des Textes, die bei diesem Vorgang immer bereits eine Interpretation darstellt, für die Zielgruppe wichtig ist und wiedergegeben werden soll. Diese Entscheidungen zu treffen, beinhaltet eine große Fülle an Macht, die man sowohl über den Text als auch über die Zielgruppe ausüben kann – man sollte verantwortlich damit umgehen.
Kennt man den Text und die gewählte Kernaussage gut genug, kann man ihn nach und nach in Leichter Sprache entwickeln. Unbekannte Sachverhalte müssen dabei exformiert werden, das heißt vieles von dem, was implizit vorausgesetzt wird, muss explizit benannt werden. Einem Ausschnitt aus einem prophetischen Buch muss vielleicht vorangestellt werden, was ein Prophet überhaupt ist. Auch dies muss theologisch verantwortet geschehen, um nicht bei Allgemeinplätzen oder verbreiteten Missverständnissen stehenzubleiben. Was erklärt werden muss und was als bekannt vorausgesetzt werden kann, hängt immer auch von der Zielgruppe ab.
Am einfachsten lassen sich meist Erzählungen übertragen, denn hier folgen Szenen, Handlungen, Gespräche aufeinander. Manchmal jedoch werden Informationen erst nachgeschoben und müssen für die Übertragung früher eingefügt werden. Oder Abschnitte setzen sich aus mehreren Erzählsträngen zusammen, etwa Lk 7,36–50, wo zur Deutung der erzählten Begebenheit ein Gleichnis eingeschoben wird, so dass man vor der schwierigen Entscheidung steht, ob dieser „doppelte“ Erzählstrang für die Zielgruppe noch nachvollziehbar ist oder weggelassen werden muss – und ob er aus exegetischer Sicht wegfallen darf.

Vorwissen und Nuancen beachten

Manchmal lauern die Herausforderungen buchstäblich in den Details. Es könnte zum Beispiel schwer verständlich sein, warum Jakob auf seiner Flucht vor Esau seinen Kopf zum Schlafen auf einen Stein legt (Gen 28,11), was doch sehr unbequem anmutet. Der Stein ist jedoch im weiteren Verlauf wichtig, da er zum Steinmal aufgestellt und mit Öl gesalbt wird, um Grundstein eines künftigen Tempels zu werden (Gen 28,18.22). Diese theologischen Sachverhalte setzen einiges an Vorwissen über die Bibel, die damaligen Gepflogenheiten und religiöse Zusammenhänge voraus. Je nach Text, Zielgruppe und Intention wird man solche Dinge weglassen oder verständlich darstellen und gegebenenfalls erklären müssen.
Der einfache Satz „Sucht mich, dann werdet ihr leben!“ (Am 5,4) erfordert dann einen längeren Text, denn einerseits dürfte nicht klar werden, warum Gott „gesucht“ werden muss, andererseits nahm das hebräische Wort dāraš im Lauf der Zeit verschiedene Nuancen auf, die beim Lesen alle mitschwingen und das, was mit dem „Gott suchen“ ausgedrückt werden soll, prägen. Das Verb stand zunächst unter anderem für eine Gottesbefragung per Orakel und Prophet (z. B. 1 Sam  9,9), wurde dann aber zu einem Ausdruck für die Zuwendung zum Gott Israels in Abwendung von anderen Gottheiten, die sich u. a. im Hören auf Gottes Wort und Befolgen seiner Weisung zeigt (z. B. 2 Chr 14,3; 31,21) und die Voraussetzung für Wohlergehen darstellt (z. B. 2 Chr 14,6; 31,21). Das zeigt sich auch im Kontext (Am 5,10–15), in dem soziale Vergehen aufgezählt werden und dazu aufgefordert wird, das Gute zu suchen und Recht zu üben. „Gott suchen“ umfasst also die Kontaktaufnahme mit Gott ebenso wie das Befolgen seiner Weisung. Daher kann Am 5,4 in Leichter Sprache folgendermaßen lauten:

Gott sagt:
Wendet euch mir zu.
Dann lebt ihr.
Das heißt:
Gott will, dass es euch gut geht.
Hört auf das,
was Gott euch sagen will.
Schaut auf das,
was Gott euch zeigen will.
Redet mit Gott.
Tut das, was Gott von euch will.
Tut keine schlimmen Dinge.
Wenn ihr das macht,
dann geht es euch gut.
Wenn ihr das macht,
dann geht es vielen anderen gut.

Nicht immer bringt der Blick in die exegetische Literatur die Klarheit und Eindeutigkeit, die für Leichte Sprache gebraucht wird. Am 7,7 verwendet einen Ausdruck für ein bestimmtes Metall, der nur hier vorkommt und entweder als Zinn oder als Blei gedeutet werden kann. Dementsprechend ist das Visionsbild Am 7,7–9 als Bedrohung durch das Schwert, das aus der zinnhaltigen Bronze hergestellt wurde, zu verstehen oder aber als Messung durch ein Bleilot, das zum Vorschein bringt, dass Israel „schief liegt“. Für beide Varianten gibt es gute Argumente und die exegetische Forschung ist sich noch nicht einig geworden. In einem solchen Fall kann es auch sinnvoll sein, sich an eine Übersetzung anzulehnen, die man vielleicht sogar parallel zur Leichten Sprache verwendet, z. B. die Einheitsübersetzung. So können gemischte Gruppen gut miteinander arbeiten.
Die Visionen des Amos bergen eine weitere Schwierigkeit, denn die Androhung des Unheils kann, wenn sie ohne weitere Erläuterung übertragen wird, dazu führen, dass die alttestamentliche Darstellung Gottes sehr negativ aufgefasst wird. Die Zusammenhänge zwischen Schuld, Unheilsankündigung und Aufforderung zur Umkehr sind ja selbst vielen Bibellesenden ohne Beeinträchtigungen oft nicht präsent. Bei Amos kann deutlich gemacht werden, dass Gott mit der Unheilsankündigung darauf reagiert, dass die Menschen schlecht handeln, und er will, dass sie damit aufhören: „Dann können die Menschen endlich keine schlimmen Dinge mehr tun.“ (zu Am 7,1–6) Doch weil sie nicht reagieren und weitermachen, hat Gott schließlich keine andere Wahl, als zum Gericht zu schreiten: „Ich muss das machen. Es gibt keine andere Lösung.“ (zu Am 7,7–9 und 8,1–3) Das sind natürlich starke Hinzufügungen zum biblischen Text. Daher ist immer gut abzuwägen, wie viel Erläuterung nötig ist und was auch ohne sie verständlich ist.

Besonderheiten poetischer Texte

Besondere Herausforderungen zeigen sich bei der Übertragung poetischer Texte, zu denen neben den Psalmen unter anderem auch viele prophetische Texte zählen. Die konventionellen Regeln für Leichte Sprache lassen einen Text leicht zur bloßen sachlichen Information schrumpfen, während emotionale und affektive Dimensionen zurücktreten. Daher ist hier besondere Sorgfalt nötig, wie Sonja Hillebrand in ihrer jüngst erschienenen Dissertation herausgearbeitet hat.
Die parallele Gestaltung der Visionen des Amosbuches Am 7,1–8,3 lässt sich auch in Leichter Sprache gut übernehmen, so dass der Zusammenhang der vier Visionen zutage tritt. Der poetische Charakter von Psalmen wird durch Wiederholung eines markanten Satzes wie „Gott, du bist wie ein Hirte für mich“ (Ps 23) erkennbar. Diese Wiederholungen sind jedoch gut einzubinden, damit sie nicht redundant wirken, was ein weiteres Problem bei der Übertragung biblischer Poesie ist, die von Wiederholungen lebt. Im Beispiel von Ps 23 wird jede Wiederholung durch andere Aspekte des Beistands durch den Hirten weitergeführt. Dabei ist auch die in biblischen Texten verwendete Bildsprache zu bedenken. Die Regeln der Leichten Sprache raten von der Verwendung von Metaphern und Redewendungen ab. In einer Prüfgruppe, in der Menschen der Zielgruppe die Texte auf ihre Verständlichkeit überprüfen, wurde etwa das Bild vom „Wurm“ in Ps  22,7 nicht verstanden, was zudem zeigt, dass Leichte Sprache keine „Kindersprache“ ist, da Kinder solche Bilder in der Regel gut auffassen und sich unmittelbar einfühlen können. Bei Menschen mit Beeinträchtigungen ist das nicht unbedingt der Fall, da Begriffe meist wörtlich genommen werden. Das gilt jedoch nicht unbedingt für gut eingeführte, auch theologische Metaphern wie die von Gott als Hirte oder König, wobei es auch auf die kirchliche Sozialisation der Zielpersonen ankommt. Die letzte Entscheidung über eine Übertragung muss daher immer eine Prüfgruppe haben, der der Text unbedingt vor einer Verwendung vorgelegt werden muss.
All die nötigen Anpassungen bei einer Übertragung in Leichte Sprache können zum Vorwurf der „Verfälschung“ des biblischen Textes führen. Daher sind Übertragungen sehr sorgfältig zu durchdenken. Der Aufwand lohnt sich, um möglichst vielen Menschen einen eigenen, direkten Zugang zur Bibel zu ermöglichen.

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