Inklusion in Krippe, Kita und Tagespflege umzusetzen, ist eine gemeinsame Pflicht, die mit Fragen und Unsicherheiten verbunden sein kann. Damit Inklusion im pädagogischen Alltag Eingang finden und funktionieren kann, braucht es unter anderem Denkanstöße und Anregungen.
Integration bedeutet eingliedern, das heißt: alle besonderen und „auffälligen“ Kinder in eine Gemeinschaft einzubeziehen, etwa Kinder mit Behinderung oder Entwicklungsverzögerung, aber auch Kinder mit besonderen Begabungen. Es geht noch weiter: Inklusion bedeutet einschließen, nämlich alle Kinder in eine Gemeinschaft einzuschließen. Alle Kinder sollen gleichberechtigt an allen Tätigkeiten teilhaben und mitgestalten, unabhängig von ihren Fähigkeiten, ihrer nationalen und sozialen Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrem Alter. Inklusion betrachtet den einzelnen Menschen als Teil der demokratischen Gemeinschaft, mit seiner Besonderheit und seinen individuellen Bedürfnissen. Neben der individuellen Wertschätzung eines jeden Kindes will Inklusion Bildungsgerechtigkeit für alle erzielen. Pädagogisch strebt Inklusion an, dass die Kinder und ihre Fachkräfte miteinander und voneinander lernen.1
Gleich sein oder gleich handeln
Inklusion unterteilt Kinder also nicht in Gruppen. Vielmehr sind die Unterschiede zwischen Menschen nicht ein Problem, sondern sie sind ein Teil von Vielfältigkeit („Diversity“). Die Unterschiedlichkeit und die Gleichwertigkeit der einzelnen Person ist also die Normalität.2 Die Gesellschaft ist aufgerufen, Strukturen zu schaffen, die es jedem Kind ermöglichen, sich in seinen Fähigkeiten und Leistungen zu zeigen und zu entwickeln. „Je unterschiedlicher die Kinder in einer Kita-Gruppe sind, umso mehr muss bei der pädagogischen Arbeit differenziert und individualisiert werden.“3 Das heißt: Inklusion bedeutet nicht, alle Kinder gleich zu behandeln. Ein Beispiel: Viele Kinder mit Migrationshintergrund brauchen Sprachförderung, aber nicht alle. Auch viele einsprachig aufwachsende Kinder benötigen Unterstützung. Ein anderes Beispiel: „Ist ein Kind körperbehindert und ein anderes blind, brauchen sie bei vielen Aktivitäten eine besondere Betreuung. Und ist ein Kind intellektuell hochbegabt, findet es oft nur in der Interaktion mit der Fachkraft angemessene kognitive Anregungen.“4
In der täglichen Arbeit bedeutet das: Wir können die individuellen Fähigkeiten und Bedarfe der einzelnen Kinder nur dann erkennen, wenn wir sorgfältig und regelmäßig den Entwicklungsstand jedes Kindes ansehen. Beobachtung und Dokumentation ist daher ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit, am besten mit einem standardisierten Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren.
Übergeordnet brauchen alle Krippen, alle Kitas (und alle Träger) eine Konzeption. Dort sind die Voraussetzungen für eine gelingende Inklusion festgeschrieben: eine bewusste Haltung zur Inklusion, ein etabliertes Konzept von Inklusion und pädagogischer Beobachtung und Dokumentation, eine Haltung zur kulturellen und individuellen Vielfalt, für eine vorurteilsbewusste Pädagogik, ebenso eine Auftragsklärung und ein Beschwerdemanagement.
Pädagogische Haltung
Um eine Haltung zum Thema Inklusion zu entwickeln, eignen sich gezielte Fragen zur Reflexion. Wie wäre es, wenn Sie über die folgenden Punkte innerhalb des Teams in Kleingruppen diskutieren?
1. Biografische Kompetenz und Selbstreflexion
Pädagogische Kompetenz erfordert es in besonderem Maße, dass Sie sich mit Ihrer eigenen Geschichte und Ihren Erfahrungen auseinandersetzen. Besonders die Werte und Normen, die Ihnen vermittelt wurden, haben einen großen Einfluss auf Ihre Entscheidungen und Handlungen.
2. Aktive und forschende Haltung
Ihr Alltag ist nicht von Gleichförmigkeit und Vorhersehbarkeit geprägt. Zwar gibt es Strukturen und feste Rituale, aber das Herausfordernde ist doch, dass man nie genau weiß, was einen erwartet. Oft müssen Sie spontan und situativ entscheiden, was zu tun ist, und sich dabei auf Ihr Wissen verlassen. Voraussetzungen für ein gelingendes pädagogisches Handeln sind Klarheit im Handeln und in der Sprache. Sie wirken sicher und authentisch und haben eine aktive und forschende Haltung.
3. Empathie, Responsivität und Feinfühligkeit
Empathie ist die emotionale Fähigkeit, sich in andere Menschen einfühlen zu können. Dabei ist die Erkenntnis wichtig, dass die wahrgenommenen Gefühle nicht die eigenen sind, sondern die einer anderen Person. Kinder brauchen Fachkräfte, die sie verstehen, Interesse an ihrer Entwicklung zeigen und ihnen Orientierung geben. So entwickelt das Kind Interesse an sich und seiner Umwelt, sammelt Wissen und Erfahrungen.
4. Netzwerkarbeit
Die Anforderungen an die Arbeit frühpädagogischer Fachkräfte haben sich verändert. Trotz Ihres hohen Engagements ist zu erkennen, dass Sie allein die Aufgaben der Inklusion nicht bewältigen können. Die Zusammenarbeit verschiedener Personen und Einrichtungen ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern geradezu eine Notwendigkeit.
Zur Diskussion im Team:
Wollen wir die Bezeichnung „I“-Kinder und „I“-Fachkräfte benutzen?
Genauso wenig wie Lisa immer „Prinzessin“ heißen soll oder Onur „Zappelphilipp“, so wenig soll Kevin „I-Kind“ genannt werden. Damit würde er von einem normalen Kind zu einem besonderen, herausgehobenen Kind werden. Das würde dem Geist der Inklusion widersprechen und dem Kind einen Stempel aufdrücken. Viele Kinder brauchen in der Kita gelegentlich eine zusätzliche Unterstützung, manche auch langfristig. Ein I-Kind zu sein, wäre dann eine Ausgliederung, vielleicht auch eine Diskriminierung?
Und: Diejenigen Fachkräfte, die sich bei uns besonders um Kevin bemühen, sind Frau Wieland oder Frau Peters. Doch ihre fachlichen Fähigkeiten beschränken sich nicht auf die Inklusion und sie sind zusätzlich im Austausch mit anderen Kindern. Ist der Titel I-Fachkraft der korrekte Begriff für die beiden Personen?
Haltung und Werte
Mindestens so wichtig wie gute Rahmenbedingungen, ein vielfältiges Netzwerk oder stabile Unterstützungssysteme ist die Haltung der pädagogischen Fachkraft zur inklusiven Pädagogik. Sie ist von zentraler Bedeutung, denn Inklusion beginnt im Kopf (und im Herzen). In der pädagogischen Haltung geht es um die Fähigkeit zur Gestaltung von Situationen und Prozessen, also um professionelles Handeln. Dies ist Voraussetzung für die gemeinsame Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung, aus verschiedenen Kulturkreisen und sozioökonomischen Verhältnissen. Die Werte der Inklusion sind Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt, Mitgefühl, Gleichberechtigung und -behandlung, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Teilhabe, damit auch: unveräußerliche Menschenrechte/Kinderrechte.
Chancen und Herausforderungen
Was tun, wenn unsere Einrichtung eine Anfrage zur Aufnahme eines Kindes mit einem hohen Hilfsbedarf erhält? Jedes Team sollte ehrlich sein und klären, ob es die Aufgabe erbringen kann. Es gibt Situationen, die Inklusion problematisch machen, denn Inklusion ist ein Prinzip mit Ausnahmen und Argumenten dafür und dagegen. Folgende Gründe können gegen die Aufnahme eines Kindes in Ihre Einrichtung sprechen:
- fehlende oder mangelhafte Rahmenbedingungen für Inklusion: räumlich, materiell, personell
- sehr schwere gesundheitliche Beeinträchtigung eines Kindes: Die Pflege oder Betreuung sind ohne fachliche Begleitung unmöglich, z. B. beatmetes Kind, schwer mehrfach behindertes Kind
- schwere Verhaltensstörung, z. B. mit impulsivem, aggressivem oder destruktivem Verhalten
- Kind mit selbstverletzendem Verhalten, mit Fremd- oder Selbstgefährdung
- sehr schwere Kommunikationsstörung
- behindertes Kind, zu dem die Eltern alle Auskünfte verweigern
- erhebliche Bedenken oder Ablehnung gegenüber Inklusion im Team
- nicht mit dem Team abgestimmte Zusagen zur Inklusion an Eltern durch Teamleitung oder ein Teammitglied
Nehmen Sie sich Zeit für klare Entscheidungen!
Solche Gründe zur Ablehnung müssen nicht unbedingt unüberwindbar sein. Vielleicht braucht das Team zusätzliche Informationen oder die Einrichtung braucht bauliche Veränderungen. Geben Sie einzelnen Teammitgliedern Gelegenheit, ihre Zurückhaltung zu schildern, z. B. aufgrund eigener biografischer Erfahrungen. Manchmal ergibt sich dann eine andere Sicht auf die Schwierigkeiten des Kindes und einzelner Mitarbeitender.
Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen!
- durch Ihr Mitgefühl („Da muss doch bald etwas passieren“)
- durch Druck von außen („Der Kinderarzt hat gesagt, dass das Kind schleunigst unter seinesgleichen kommen muss. Sonst versäumt es so viel.“)
- durch Ihren Träger („Wir müssen den Platz bald belegen. Sonst gehen uns so viele Einnahmen verloren.“)
- durch die Eltern („Es ist doch schon alles gemacht worden. Verlieren Sie jetzt keine Zeit mehr. Das schadet unserem Kind.“)
Eine breite und vorurteilsbewusste Diskussion im Team und gegenseitiges Vertrauen stellen die Basis für eine ehrliche und offene Entscheidung dar. Sie müssen nicht alles über eine Entwicklungsbesonderheit oder über eine Behinderung wissen. Inklusion bedeutet auch nicht, dass die Kita Therapien durchführen soll. Vielmehr ist es die Aufgabe der Kita, das Kind in eine Gruppe mit anderen Kindern einzuführen (Teilhabe), also eine soziale Aufgabe.
Jede:r kann dazu beitragen, dass unser Bildungssystem und unser Denken inklusiver werden und dass in Zukunft kein Kind aufgrund seiner Herkunft, seiner Kultur, seiner Sprache, einer Behinderung, seines Geschlechts oder seines Alters benachteiligt wird. Ziel ist es, Zugehörigkeit, gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung trotz individueller Unterschiede zu ermöglichen und auf diese Weise gleiche Chancen für alle Kinder zu gewährleisten.