Digitale BildungZeichnen, löschen, neu malen

Was passiert mit Stift, Schere und Papier, wenn Kinder stattdessen mit Tablets malen? Digitale und klassische Werkzeuge müssen kein Widerspruch sein – das zeigen die Kinder aus dem Kinderhaus „Baubergerstraße“ in München.

Ein Kind sitzt an einem Tisch und zeichnet ein Mandala auf einem Tablet.
© Lisa Rutzmoser, München

Am Tisch sitzen sechs Kinder und malen gemeinsam Mandalas an. Eine alltägliche Situation, die so in jeder Kita stattfinden könnte. Das Besondere: Diese Mandalas haben die Kinder am Vortag selbst am Tablet entworfen. Durch die intuitive Bedienbarkeit von Tablets und die verhältnismäßig einfache Handhabung von Apps können Kinder selbst zu Gestalter:innen werden. Der Stellenwert eines selbst entworfenen Mandalas ist dabei ein anderer als der einer vorgefertigten Vorlage aus dem Malbuch oder Internet.
Wenn Kinder ihre eigenen Ideen und Formen gestalten, erleben sie eine tiefere Selbstwirksamkeit und schöpferische Freiheit. Beim Entwerfen und Anmalen können sie ihre innere Welt, ihre Vorstellungen und Interpretationen zu Papier bringen. Das Ausmalen des eigenen Werks wird so zu einem bedeutungsvollen und individuellen Erlebnis. Je mehr Emotion im Spiel ist, desto intensiver sind die Lernprozesse. Dabei lernen die Kinder nebenbei, was ein Mandala ausmacht, wie es entsteht und dass sie ihre eigenen Ideen mit digitalen Geräten umsetzen können. Alle klassischen Fähigkeiten, die beim anschließenden analogen Ausmalprozess gefördert werden, kommen noch dazu.

Ein Atelier mit unendlich vielen Möglichkeiten

Beim ersten Kontakt mit der Zeichen-App war noch nicht daran zu denken, dass einmal Mandalas entstehen würden, die Details und feine Linien brauchen. Zunächst steht auch im digitalen Bereich die Erkundung der Möglichkeiten an – und die sind riesig. Das heißt: Alle Pinsel ausprobieren, das gesamte Farbspektrum austesten und so lange mit dem Finger über die digitale Leinwand malen, bis kein weißer Fleck mehr frei ist. Es ist praktisch, ein ganzes Atelier in dem Gerät zu haben. So schön, wie die Farbe direkt aus dem Finger kommt, der dabei nicht einmal bunt wird. Vor allem die Jüngeren müssen am Anfang immer wieder ihre Finger untersuchen, um zu sehen, wo die Farbe jetzt eigentlich herkommt.
Haben die Kinder genug getestet, schauen wir uns ein klassisches Mandala an. Wir sehen feine schwarze Linien. Wir suchen die schwarze Farbe, testen, welcher Stift eine klare Linie zeichnet, und stellen die passende Dicke ein.
Jetzt kommt der Spiegelachsen-Effekt ins Spiel. Beginnend mit einer Spiegelachse auf unserem digitalen Blatt, einem richtigen Spiegel und einem analogen Blatt wird den Kindern erklärt, was diese Achsen bewirken. Alles ist auf einmal doppelt da! Dann kommen noch mehr Spiegelachsen dazu. Das Tablet wandert im Kreis, und jedes Kind kann dem Mandala einen Strich hinzufügen. Das Staunen ist groß: Nur ein Strich gemalt und wie von Zauberhand sind acht Striche auf dem Papier. Nun darf jedes Kind nacheinander sein eigenes Mandala erstellen, was im Handumdrehen gelingt. Einige sind vor allem von der direkten Interaktion zwischen ihren Bewegungen und den Reaktionen der App fasziniert. Sie experimentieren mit verschiedenen Strichen und beobachten gespannt, wie sich das digitale Bild verändert. Andere konzentrieren sich mehr auf das Endergebnis, zeichnen bewusst ihre Linien, löschen sie wieder und malen erneut, bis sie mit ihrem Mandala zufrieden sind. „Ich habe eine Blume gemalt. Eine richtig große, schöne Blume!“
Sind die Kinder mit ihren Ergebnissen glücklich, wird das Mandala ausgedruckt. Nun kann analog Farbe ins Spiel kommen. Ob großformatig gedruckt und mit Wasserfarben ausgemalt oder klassisch als Ausmalbild für Holzstifte – eins ist sicher: Die neuen, eigenen Mandala-Vorlagen sind so individuell wie die Kinder selbst.

Kreativ sein mit virtuellen und realen Hilfsmitteln

Digitales Malen? Ja, bitte! Am besten in Kombination mit analogen Elementen und als Ergänzung zum herkömmlichen Malen mit Stift und Papier. So können Lernpotenziale maximal ausgeschöpft werden und die Kinder können dabei beobachten, wie sie ihre Kreativität jenseits scharfer Grenzen von digitaler und analoger Welt entfalten. Wer in der Kita über ein Tablet verfügt, kann die Möglichkeiten einfach austesten. Die Begeisterung der Kinder spricht für sich. Es ist immer wieder überraschend, was daraus entsteht, wenn Kinder ihre Ideen frei umsetzen können.

Tipps für das digitale Skizzieren, Malen und Zeichnen

1) Die App „Sketchbook“ ist sowohl für Android- als auch für iOS-Geräte kostenlos erhältlich. Mit einem In-App-Kauf für 2,99 Euro können beispielsweise weitere Pinsel freigeschaltet werden. Die Basisversion ist jedoch bereits sehr umfangreich und für den Gebrauch in der Kita mehr als ausreichend.
2) Mit der Spiegelachsenfunktion lassen sich auch mit nur einer Spiegelachse spannende Projekte gestalten. Die Kinder können Symmetrie erkunden und beispielsweise Insekten und Schmetterlinge malen. Das ist eine schöne Ergänzung zur analogen Abklatschtechnik, die häufig zur Erstellung von Schmetterlingsbildern genutzt wird.
3) Für detaillierte Zeichnungen auf dem Tablet können Tablet-Stifte hilfreich sein. Zum Einstieg reicht jedoch auch ein Kugelschreiber mit Soft-Touch-Beschichtung am hinteren Ende. Richtige Tablet-Eingabestifte gibt es ab etwa 25 Euro.
4) Vor allem bei jüngeren Kindern können die vielen Funktionen manchmal störend sein und zu ungewünschten Klicks führen. Um einzelne Bereiche zu deaktivieren, kann bei iOS-Geräten der sogenannte geführte Modus eingesetzt werden.

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