Editorial

Er war ein Herrscher der Superlative: Karl der Große regierte – ein wenig aufgerundet – ein halbes Jahrhundert lang das Fränkische Reich, was für die Menschen des Mittelalters eine biblisch lange Zeit gewesen sein muss. Schließlich betrug die damalige Lebenserwartung im Schnitt nur gut 35 Jahre. Als König verdoppelte er sein Territorium und führte das Reich zu seiner größten Machtentfaltung. Und ganz gleich, ob es um Bildung, Architektur, Kunst, Bürokratie, Rechtsprechung, Finanzwesen oder Lebensführung ging: Alles versuchte er durch tiefgreifende Reformen dauerhaft zu verbessern.

Jahrzehntelang reiste er umher, von Pfalz zu Pfalz, von Schlacht zu Schlacht. Mehrfach ritt er über die Alpen bis nach Rom. Schätzungen zufolge soll Karl der Große sagenhafte 40 000 Kilometer zurückgelegt haben; das wäre nicht weniger als einmal um die Erde. Und schließlich war Karl der Große auch noch der erste westeuropäische Herrscher, dem nach dem Untergang des Weströmischen Reiches die Kaiserwürde angetragen wurde.

Man darf über seine Leistungen staunen, doch manches bleibt auch widersprüchlich: Wie etwa kann man sich als einen christlichen Herrscher inszenieren, sich aber weder im Privatleben noch in seiner Kriegsführung um die christlichen Werte scheren? So eine Frage drängt sich jedenfalls heutzutage auf, aber sie verdeutlicht auch den Unterschied zum Mittelalter: Was wir als einen Widerspruch erkennen, galt vor 1200 Jahren als konsequent. Vielleicht sind es gerade solche kaum auflösbaren Spannungen, die zur Faszination von Geschichte beitragen.

Ihr

Dirk Liesemer
Redakteur

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