Interview zur Ausstellung in Speyer»Tausend neue Superhelden pro Jahr«

Geschichte ist überall: Sogar die Historie der Superhelden-Comics und -Filme hat eigene Zeitalter. Welche das sind, verrät Henrike Serfas, Kuratorin der neuen Ausstellung »Superheroes« im Historischen Museum der Pfalz in Speyer.

Aquarell: Thor mit seinem Hammer
Thor: Er gehört seit 1962 zum Marvel-Universum. Dieses Original-Aquarell von Zeichner Nic Klein ist in der Ausstellung zu sehen.© Historisches Museum der Pfalz/Nic Klein

Porträtfotografie einer jungen braunhaarigen Dame
Ausstellungsmacherin: Dr. Henrike Serfas, 34, hat für ihre Promotion in Marburg über Aufklärungsrezeption und Gegenwartsliteratur geforscht. Die Kuratorin will mit der interaktiven »Super­heroes«-Ausstellung neben Wissen und Kreativität auch demokratische Werte vermitteln. © Historisches Museum der Pfalz

 

Wann beginnt die Geschichte der modernen Superhelden?
Dr. Henrike Serfas: In den 1930ern mit Superman, dem allerersten Superhelden. Erschaffen wurde die Comicfigur von Joe Shuster und Jerry Siegel, zwei jüdischen Migrantenkindern im US-Bundesstaat Ohio. Die beiden jungen Männer haben mit Superman sozusagen ihre eigene Lebensgeschichte weiterentwickelt.

Inwiefern? 
Superman, der vom Planeten Krypton kommt, ist ebenfalls ein Migrant. Er symbolisiert Hoffnung, Stärke und den amerikanischen Traum, den die beiden leben wollen. Was ihnen letztlich auch gelingt: Als nach jahrelangen vergeblichen Versuchen 1938 ein Verlag endlich ihre Superman-Geschichten veröffentlicht, werden diese eine riesige Erfolgsstory.

Wann kamen die nächsten Superhelden?
Auf Superman folgt schon 1939 Batman und 1941 Wonder Woman. Man kann hier von einem Dreigestirn sprechen: Die drei Figuren gehören zum Verlag Detective Comics, kurz DC, und sie bilden die Basis für alle weiteren Figuren im Golden Age der Super­heroes, also dem Goldenen Zeitalter der Superhelden.

 

Das Magazin-Cover von "Action Comics" zeigt Superman als Comic, wie er ein grünes Auto hochhebt
Der erste Superhelden-Comic: 1938 tritt Superman in dem Band »Action Comics #1« vom Verlag Detective Comics (DC) erstmals auf. Er trägt bereits den blauen Anzug mit rotem Cape und Überhose, hat aber noch überschaubare Kräfte und kann nicht fliegen. © AKG/Fototeca Gilardi

 

Wann war dieses Goldene Zeitalter?
Es dauerte von den ersten Superman-Comics bis Mitte der 1950er-Jahre. Das Genre erlebt in dieser Zeit einen Boom. Zahlreiche neue Superhelden entstehen, die Geschichten haben eine ganz klare, einfache Struktur: Gut gegen Böse. Die Autoren und Zeichner sind übrigens fast alle jüdischer Herkunft, bis weit in die 1970er hinein.

Da war das Goldene Zeitalter längst vorbei.
Richtig. Um 1956 ist der Boom vorbei, die alten Rezepte funktionieren nicht mehr. Nun beginnt das Silver Age, das Silberne Zeitalter der Superhelden. Die Figuren werden vielschichtiger, komplexer, sie erhalten Hintergrund­geschichten und ein Privatleben mit persönlichen Konflikten. Maßgeblich für den Erfolg in den 1960ern sind die Autoren Stan Lee und Jack Kirby. Die beiden entwickeln zusammen praktisch alle Marvel-Superhelden, die wir heute noch kennen: die Fantastic Four, Iron Man, Thor, Hulk, Spider-Man, die X-Men und viele mehr.

Gab es dafür Vorbilder?
Ein wichtiges Vorbild der Superheroes allgemein ist Herkules mit seiner übermenschlichen Kraft. Er ist aber bei Weitem nicht die einzige mythische Vorlage: Der Superheld Thor bezieht sich natürlich auf den Donnergott Thor in der nordischen Mythologie. Wonder Woman von DC kommt aus der griechischen Mythologie, ihre Mutter ist die Amazonenkönigin Hippolyta.

Was unterscheidet die Superhelden von den mythischen Vorbildern?
Humor und charakterliche Tiefe. Beides braucht es in den Mythen nicht, dort sind die Charaktere sehr flach. Die Comics und Filme müssen da mehr bieten. Sie übernehmen die Fähigkeiten und Symbolik der Vorbilder und erschaffen ansonsten die Charaktere neu. Ein wichtiger Unterschied zwischen Superheld und Held ist zudem die Geheimidentität: Herkules lebt offen als Herkules. Superman hingegen versteckt seine wahre Identität hinter seinem Alter Ego Clark Kent. Jeder Superhero hat diese Doppelidentität.

Iron Man macht kein Geheimnis aus seiner wahren Identität Tony Stark.
Das ist korrekt. Bei der Vielzahl an Superheroes finden wir die eine oder andere Ausnahme.

 

Aquarell: Thor mit seinem Hammer
Thor: Er gehört seit 1962 zum Marvel-Universum. Dieses Original-Aquarell von Zeichner Nic Klein ist in der Ausstellung zu sehen. © Historisches Museum der Pfalz/Nic Klein

 

Wie viele Superhelden gibt es denn insgesamt?
Was schätzen Sie?

Mehrere Hundert bestimmt.
Es sind 110 000 Superhelden, etwa 80 000 von Marvel und 30 000 von DC.

Krass.
Ja, diese Zahlen haben mich auch überrascht. Sie bedeuten, dass seit der Erfindung Supermans vor 87 Jahren im Schnitt jedes Jahr mehr als 1000 neue Superhelden erschaffen wurden.

Spielen andere Verlage dabei auch eine Rolle?
Natürlich haben auch andere versucht, Superhelden-Comics herauszubringen, aber die bedeutenden wurden von Marvel oder DC im Laufe der Zeit aufgekauft.

Wie geht es nach dem Silver Age weiter?
Ende der 1960er sind die Leute übersättigt, es kommt eine Flaute, und um 1970 beginnt ein neues Comic-Zeitalter: das Bronze Age, gefolgt in den 1980ern vom Dark Age – wobei sich beide wenig unterscheiden, weshalb es Sinn macht, sie zusammenzufassen.

Was zeichnet das Bronze Age aus?
Die Superheroes kämpfen nicht nur gegen das Böse, sondern plötzlich auch mit sich selbst: Viele haben psychische Probleme, manche kämpfen mit dem Alkohol und düsteren Charaktereigenschaften. Wegweisend ist Frank Millers Comicbuchreihe von 1986 »The Dark Knight«, auf Deutsch »Der Dunkle Ritter«. Batman ist hier ein gealterter, gebrochener Mann, im Grunde nur noch ein Schläger. Nun werden Superhelden populär, die eigentlich Antihelden sind, wie auch der Punisher und Deadpool.

Damit fließt soziale Kritik in die Comics ein.
Genau. Alle Superhelden-Zeitalter spiegeln die realen politischen und gesellschaftlichen Hintergründe wider – das macht sie historisch so interessant. Im Golden Age spielt der Zweite Weltkrieg eine große Rolle: Superman kämpft gegen Nazis, Captain America verpasst Hitler einen Kinnhaken. Im Silver Age werden Atomtechnik und Raumfahrt große Themen, im Bronze Age Arbeitslosigkeit, Drogenpolitik, soziale Verwerfungen.

In welchem Superhelden-Zeitalter befinden wir uns jetzt? 
Im Modern Age, also dem Modernen Zeitalter. Das ist seit den 2000er-Jahren besonders geprägt durch die Kinofilme.

Superhelden-Filme gab es schon vorher.
Aber seither dominieren die Kinofilme unser Bild der Superheroes, nicht mehr die Comics. Es beginnt mit dem ersten X-Men-Film 2000, den Spider-Man-Filmen ab 2002, der Batman »The-Dark-Knight«-Trilogie ab 2005, um nur einige zu nennen. Seither kommen jedes Jahr mehrere große Filme heraus. Marvel hat dabei einen riesigen Hype entwickelt und DC abgehängt.

Inzwischen sind es so viele Filme – tritt da keine Übersättigung auf?
Man kann jetzt schon erkennen, dass die Filme nicht mehr die Besucherzahlen haben wie in ihrer Hochphase, als Marvels »Avengers: Endgame« 2019 alle Einnahmerekorde brach. Um einer Flaute entgegenzuwirken, versuchen Marvel und DC, neue Zielgruppen zu erschließen: Sie machen Minderheiten sichtbar oder geben den Frauen starke Rollen. Die Superheldinnen-Filme »Wonder Woman« und »Captain Marvel« waren enorm erfolgreich. Aber sie bilden noch eine Ausnahme: Als ich nach lebensgroßen Figuren für unsere Ausstellung gesucht habe, waren nur diese beiden Frauenfiguren im Angebot, ansonsten gab es allein Männerfiguren.

Was will die Ausstellung in Speyer den Besuchern vermitteln?
Die Superheroes stehen für Fantasie, Freiheit und Stärke. Sie kämpfen für Gerechtigkeit und auch für unsere Demokratie. Wir wollen die Besucher mit interaktiven Stationen dazu bewegen, sich ihren eigenen Superhelden zu erschaffen und mit anderen Superheroes eine Mission zu erfüllen – bei der sie unter anderem virtuell durch Hochhausschluchten fliegen. Dabei können sie ihre eigenen Stärken ergründen und reflektieren: Was ist eigentlich meine Superkraft und wie kann ich die einsetzen?

Was wäre denn eine Superkraft, die ein normaler Mensch haben kann?
Empathie! Für mich ist die Empathie die Basis jedes Superhelden: sich in die andere Person hineinzuversetzen und zu sehen, was sie braucht und was ich bieten kann.

 

Spider-Man posiert vor einem schwarzen Hintergrund.
Spider-Man © Hans-Georg Merkel

 

Infos zur Ausstellung "Superheroes"

Die Erlebnisausstellung im Historischen Museum der Pfalz am Domplatz in Speyer zeigt auf 1000 Quadratmetern über 300 Objekte. In 25 interaktiven Stationen kann man etwa in einem Batmobil Schurken durch Gotham City jagen, ein Comic-Cover gestalten und auf einer eigens kreierten Superhelden-Mission die persönlichen Fähigkeiten erforschen.

Von 21. 12. 2025 bis 18. 10. 2026, Tickets und Besucherinfos auf www.museum.speyer.de

G/GESCHICHTE ist Medienpartner der Ausstellung.

 

 

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