FachkräftemangelPerspektiven zwischen Wandel und Wirklichkeit

Fehlt es an ausgebildetem Personal, dann merken das nicht nur Eltern oder Kinder. Der Fachkräftemangel geht auch an Fachschulen, Trägern und Kolleg:innen nicht spurlos vorbei, wie diese Statements zeigen.

Perspektiven zwischen Wandel und Wirklichkeit
© Roman Samborskyi/shutterstock.com

Wenn es um das Thema Fachkräfte in der Kita geht, dann wird der Diskurs zumindest sprachlich schnell sehr sachlich und wenig menschlich. Dann geht es etwa darum, wie Fachkräfte gewonnen, gebunden oder gesichert werden können. Dahinter aber stehen Emotionen, Bedürfnisse und Erwartungen ganz unterschiedlicher Beteiligter.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien, nicht konfessionell gebundenen Ausbildungsstätten für Erzieher:innen (BöfAE) hat sich kürzlich in Frankfurt am Main getroffen und zum Thema Fachkräftegewinnung und Fachkräftebindung ausgetauscht. Ihre Themen waren dabei unter anderem der Übergang zwischen Ausbildung und Beruf, die Zusammenarbeit von Praxisort und Fachschule, die langfristige Bindung von Fachkräften, die Rolle der Träger und die Entwicklung von Fachkarrieren. Die Perspektiven auf diese Gelingensbedingungen in Bezug auf die Fachkräfte sind dabei sehr unterschiedlich, wie die Statements der Teilnehmer:innen der Diskussion verdeutlichen.

Sigrun Lennert (Erzieherin) sieht ihren Beruf als Berufung und hat als Quereinsteigerin mit drei eigenen Kindern eine hohe Motivation. Ihre Weiterbildung in der Fachschule habe sie als gut strukturiert erlebt, sie wünscht sich allerdings eine klarere Struktur vonseiten der Praxis, etwa einen Leitfaden oder einen Aufgabenkatalog. Die Träger sollten ein eigenes Konzept dafür entwerfen und genügend Zeit für die Praxisbetreuung zur Verfügung stellen. Sie möchte, dass ihre Ideen für die Arbeit gehört werden, und sie möchte bei Veränderungen gefragt werden. Außerdem wünscht sie sich eine bessere Feedbackkultur. Die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen seien derzeit desolat. Oftmals sei sie im Alltag auf sich allein gestellt. Sie wünsche sich von den Trägern mehr Austausch, auch an der Basis, sowie mehr Anerkennung und Wertschätzung. „Ich brauche nicht viel, aber einfach mal nachfragen oder ein kleines Dankeschön“, so Lennert. Die Ermöglichung von Fachkarrieren wäre für sie eine tolle Aufwertung der bisherigen Ausbildung. Sie findet es wichtig, dass es Expert:innen für bestimmte Bereiche in der Kita gibt.

Thorsten Kuschmann (Träger) berichtet von seinen Aufgaben beim kommunalen Träger „Kita Frankfurt“. Derzeit zähle man dort 200 Ausbildungsverhältnisse mit fünf Fachschulen für Sozialpädagogik in und um Frankfurt im Rahmen der praxisintegrierten Ausbildung (PiA bzw. PivA in Hessen). Das Motto seiner Einrichtung sei „wir verwalten nicht, sondern entwickeln uns weiter als lernende Organisation“. Nach Kuschmanns Meinung müssen die Träger erkennen, dass sie sich im Hinblick auf das Thema Fachkraftbindung bewegen müssen. Studien zum Verbleib von Erzieher:innen würden zeigen, dass gut jede vierte Fachkraft in den ersten vier Jahren nach der Ausbildung das Arbeitsfeld verlasse. Eine Maßnahme für Fachkräftebindung sei es bei der „Kita Frankfurt“, Leitungen weiterzubilden. Kompetente Leitungen seien der Schlüssel für zufriedene Mitarbeiter:innen, so Kuschmann. Überdies habe der Träger einen eigenen Qualitätsanspruch für die Professionalisierung im Bereich Praxismentoring, Supervision und Coaching sowie ein Onboarding Konzept für neue Mitarbeiter:innen. Kuschmann räumt aber auch ein, dass trotz dieser guten Maßnahmen die Mitarbeiter:innen in der „Kita Frankfurt“ im Tagesgeschäft durchaus an ihre Grenzen kommen.

Benedikt Borker (Abteilungsleiter) betont die Rolle der Fachschule Sozialpädagogik, insbesondere in der berufsbegleitenden bzw. praxisintegrierten Ausbildung zum/zur Erzieher:in. Die Fachschulen hätten in den letzten Jahren auf den Bedarf der Träger reagiert, ihre Ausbildungskapazitäten erhöht, die Ausbildungsformate angepasst und weiterentwickelt. Die Aus- und- Weiterbildung sei hochattraktiv – in kaum einem Berufsbereich sind die Absolvierendenzahlen in den letzten Jahren so stark gestiegen wie in der Sozialpädagogik. Es gebe inzwischen viele Möglichkeiten der Finanzierung der Weiterbildung zum/zur Erzieher:in. Wer möchte, bekäme auch einen Platz in der Fachschule und eine vergütete Praxis. Die Rolle der Fachschüler:innen/Studierenden in den Einrichtungen müsse noch klarer konturiert werden. Sie seien oftmals nur Kolleg:innen und weniger Auszubildende. Für ein umfassendes Mentoring bleibe den Einrichtungen aufgrund der knappen Personaldecke oftmals kein Spielraum. Benedikt Borker betont, dass das aktuelle Ausbildungsniveau unbedingt erhalten bleiben muss, um den Bedarfen der Kinder in den Einrichtungen gerecht zu werden.

Lena Nachtigall (Jugendvertreterin) ist gewählte Jugendausbildungsvertreterin bei der „Kita Frankfurt“. Sie war schon in mehreren Einrichtungen und arbeitet aktuell in einem Stadtteil mit einem hohen Anteil an Migrant:innen. In der Einrichtung seien außerdem viele Familien, die Transferleistungen erhalten. Der Umgang mit den weltweiten Krisen fordere die Praxis heraus. Sie erlebe eine Diskrepanz zwischen Ausbildung und Realität. Auszubildende seien motiviert, demgegenüber stünden die Einrichtungen, die unter Personalmangel leiden würden. Grundlegende Erziehungsarbeit müsse häufig in der Kita erfolgen, aber der Personalschlüssel gebe dies leider nicht her. Vorbereitung und Besprechungszeiten fielen, so Lena Nachtigall, häufig aus. Die Realität in Kitas werde von der Politik nicht anerkannt. Die kollektive Belastungsanzeige müsse erkannt und ernst genommen werden. Das Konzept der Inklusion leide. Sie wünscht sich in der Praxis einen gelungen Anleitungsprozess. Das ganze Haus müsse den Ausbildungsprozess mittragen. Die Erzieher:innen in der Weiterbildung dürften nicht ausgenutzt werden. Sie ist überzeugt, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen den Trägern und den Fachschulen notwendig ist. 

Alessandro Novellinio (Gewerkschaft für Erziehung und Bildung) betont die gewachsene gesellschaftliche Bedeutung für eine gute Bildungsarbeit. Das Ausbildungsniveau sei hoch und sollte hoch bleiben. Nach seiner Einschätzung werden die sogenannten Care-Berufe von der Politik immer noch nicht mit dem Status versehen, den sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung benötigen. Es brauche eine neue Verteilungsgerechtigkeit bezogen auf die Finanzen im Bund und bei den Ländern, und das sozialpädagogische Feld müsse stärker berücksichtigt werden. Erzieher:innen müssen im Feld verbleiben. Novellinio sieht horizontale und vertikale Fachkarrieren sowie ein gutes Onboarding-Konzept als Schlüssel zum Erfolg. Zudem sollte Demokratiebildung stärker als bisher Ausbildungsinhalt werden. 

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