Beziehungen leben – Bindungen stärken – Miteinander wachsen

Bindungen und Beziehungen sind aktuell ein bedeutender Knackpunkt in Hinblick auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Sie müssen in den Familien mehr gefördert und unterstützt werden, aber auch außerhalb davon. Besonders im präventiven Bereich rückt dabei die Rolle der außerfamiliären Betreuung in den Fokus: Sie bietet wertvolle Chancen, stabile, unterstützende Beziehungen aufzubauen und zu fördern.

Beziehungsqualität als Schlüssel zum kindlichen Wohlbefinden

Im Mai dieses Jahres veröffentlichte das UNICEF-Forschungsinstitut Innocenti die Studie „Kindliches Wohlbefinden in unsicheren Zeiten“. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie: Die Lebenszufriedenheit von Jugendlichen und ihre schulischen Kompetenzen sinken – auch in Deutschland. In der öffentlichen Debatte werden häufig soziale Medien als Hauptursache für die mentale Belastung von jungen Menschen genannt. Doch die Studie widerspricht dieser Annahme: Entscheidend für das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ist vor allem die Qualität ihrer Beziehungen. So zeigen Kinder, die täglich mit ihren Eltern im Gespräch sind, eine deutlich höhere Zufriedenheit (79 Prozent) als jene, die nur ein- bis zweimal pro Woche mit ihnen sprechen (68 Prozent). Auch Mobbingerfahrungen wirken sich stark auf das emotionale Erleben aus. 

Beziehung ganzheitlich denken – über die Fachkraft-Kind-Dyade hinaus

In der außerfamiliären Betreuung liegt der Fokus bislang häufig auf der Beziehung zwischen Fachkraft und Kind – zu Recht: Wir wissen aus zahlreichen Studien, wie bedeutsam diese Beziehung für die kindliche Entwicklung ist. Angesichts der wachsenden Herausforderungen im Bereich der mentalen Gesundheit von Kindern braucht es jedoch einen erweiterten Blick: Auch die Beziehungen zwischen Kindern verdienen mehr Aufmerksamkeit. Frühzeitig gelingende Gruppenprozesse zu begleiten, Sozialkompetenz zu stärken sowie eine konstruktive Streit- und Diskussionskultur zu fördern, sind wichtige präventive Ansätze. Sie helfen, gesunde Gruppenstrukturen zu etablieren und Mobbing wirksam vorzubeugen. 

Gemeinschaft macht stark – Kind-Kinder-Interaktionen fördern

Mit zunehmendem Alter gewinnt die Gruppe der Gleichaltrigen als Lern- und Erfahrungsraum für Kinder mehr und mehr an Bedeutung. Um sich in sozialen Gefügen sicher bewegen zu können, brauchen sie die Möglichkeit, Gruppenregeln nach und nach zu verinnerlichen und eigenständig anzuwenden. Lernen allein in dyadischer Beziehung zu einer erwachsenen Bezugsperson reicht nicht aus – Kinder müssen sich auch als aktiver Teil einer Gemeinschaft erleben dürfen.
Dazu braucht es einen entwicklungsorientierten Rahmen: Anfangs geben Fachkräfte durch ihr Vorbild und klare Orientierung den nötigen Halt. Sie schaffen ein Umfeld, das Sicherheit bietet und soziales Verhalten modelliert – gerade für Kinder, die aus ihren familiären Kontexten wenig Erfahrung mit kooperativem Miteinander mitbringen.
Schrittweise kann dieser Halt in eine begleitende Rolle übergehen: durch Reflexionsimpulse, gezielte Sensibilisierung und eine Haltung des Zutrauens. So lernen Kinder, sich gegenseitig zu trösten, Konflikte auszuhandeln und soziale Verantwortung füreinander zu übernehmen – mit der Fachkraft als unterstützende Ressource im Hintergrund. Zur Stärkung des Gruppengefühls und sozialer Kompetenzen können kooperative Spiele, Bewegungs- und Synchronisationsspiele, Tänze oder gemeinsames Singen wirkungsvoll beitragen.
Je älter die Kinder werden, desto mehr können sie soziale Prozesse selbstständig gestalten, wofür Fachkräfte den Raum bieten sollten.

Erziehungspartnerschaft mit Kompass – Fachkräfte als Lots*innen

Elternarbeit in der außerfamiliären Betreuung bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen dem Woher, also den individuellen familiären Rahmenbedingungen, und dem Wohin, also den Entwicklungsmöglichkeiten und Potenzialen des Kindes. Nicht alle Kinder wachsen in einem Umfeld auf, das optimale Bedingungen für ihre gesunde Entwicklung bietet, wie auch die eingangs zitierte Studie deutlich macht. In solchen Fällen ist es Aufgabe der Fachkräfte, diese Herausforderungen feinfühlig wahrzunehmen und gemeinsam mit den Familien Wege zu suchen, um das Kind bestmöglich zu begleiten. Dabei übernehmen pädagogische Fachkräfte eine wichtige Lotsenfunktion, wenn sich Hinweise auf körperliche oder psychische Belastungen zeigen. Neben vernachlässigenden Strukturen rücken heute auch Überfürsorge, elterliche Ängstlichkeit oder starke Kontrolle in den Blick, die sich ebenso hemmend auf die gesunde Entwicklung von Autonomie und psychischem Wohlbefinden auswirken können.
Es braucht daher einen differenzierten Blick: einen Blick, der sowohl Beziehung und Nähe stärkt als auch Selbständigkeit und Freiheit ermöglicht – in der Familie wie auch in der Einrichtung. Der gemeinsame Fokus von Eltern und Fachkräften sollte dabei stets auf der individuellen Entwicklung des Kindes liegen. Besonders im Übergang zur Schule ist es entscheidend, begonnene Prozesse zu sichern und weiterzuführen durch gute Übergangsgestaltung, verlässliche Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis kindlicher Bedürfnisse.

Bindungsstärke als pädagogischer Leitstern

Kinder brauchen verlässliche, tragfähige Beziehungen – in der Familie ebenso wie in pädagogischen Einrichtungen. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und wachsender Belastungen in vielen Familien kommt der außerfamiliären Betreuung heute eine immer bedeutendere Rolle zu: als Ort der Beziehungsgestaltung, der Prävention und der Resilienzförderung. 
Pädagogische Fachkräfte begleiten nicht nur einzelne Kinder in ihrer Entwicklung, sondern gestalten aktiv soziale Gruppenprozesse, unterstützen Eltern einfühlsam und wirken in vielfacher Hinsicht orientierend und stärkend.
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, braucht es nicht nur fachliches Wissen, sondern auch Raum für Reflexion, kollegiale Kooperation – und eine klare Haltung. Bindung in all ihren Dimensionen muss gerade jetzt zum Leitbild werden, mehr noch: zu einem Leitstern der pädagogischen Arbeit.

 
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin, Familienbegleiterin, freiberufliche Referentin in der Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften sowie Autorin.
 


 

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