Im Schatten der GroßenC. W. Ceram

«Götter, Gräber und Gelehrte». Sind dies die drei Hauptzutaten der Archäologie? Dies lässt zumindest der 1949 von C. W. Ceram veröffentlichte «Tatsachenroman» vermuten. Im Deutschland der Nachkriegszeit ist der «Roman der Archäologie», so der Untertitel, ein Bestseller und bringt die Archäologie Lesern aller Altersgruppen näher.

Abb. 2 Kurt Wilhelm Marek, 1965.
Abb. 2 Kurt Wilhelm Marek, 1965.© akg-images

Laut dem Wissenschaftshistoriker Carsten Kretschmann erhöhen «Krisensituationen die Nachfrage nach popularisiertem Wissen». Er erklärt, dass in «Momenten beschleunigten sozialen Wandels […] die Notwendigkeit der Wissenspartizipation besonders dringlich» hervortrete. In ihnen erfülle «die Wissenspopularisierung ein existentielles Bedürfnis, indem sie Lösungen auf ungeklärte Fragen, Expertisen für komplexe Situationen, kurz: Routine in gesellschaftlichen Krisen verspricht». Eine solche Blütezeit für die Wissen(schaft)spopularisierung, im Besonderen auch der Archäologie, findet sich im Europa der Zwischenkriegs- wie auch der Nachkriegszeit. Dabei liefern in den Zwanziger- und Dreißigerjahren neue Medien wie Tonfilm und Radio sowie die rasche Entwicklung des Fotojournalismus besondere Anstöße.

Cerams «Roman» kam also, zumindest gemäß dieser Theorie, genau zum richtigen Zeitpunkt in die Buchläden und erreichte 1951 eine Auflage von 100 000 Exemplaren. Sein «Abenteuer der Vergangenheit» bot Lesern sowohl Erklärungen als auch Eskapismus, also Realitätsflucht – beides wohl hochgeschätzte Lösungen nach den Kriegsjahren, der Besatzungszeit und während des Aufbruchs in die Zeit des Wirtschaftswunders. Aber loslösen von genau dieser Vergangenheit – dem Zweiten Weltkrieg – lässt sich die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte dieses Buchs nicht (Abb. 1).

Abb. 1 Titelblatt der Originalausgabe von «Götter, Gräber und Gelehrte», erschienen beim Rowohlt Verlag 1949.
Abb. 1 Titelblatt der Originalausgabe von «Götter, Gräber und Gelehrte», erschienen beim Rowohlt Verlag 1949. gemeinfrei

C. W. Ceram war das Pseudonym des Schriftstellers, Journalisten und Verlegers Kurt Wilhelm Marek (1915– 1972) (Abb. 2). Geboren in Berlin, begann er mit achtzehn Jahren eine Ausbildung als Verleger und veröffentlichte nebenbei Literatur- und Filmkritiken in verschiedenen Zeitschriften wie dem Berliner Börsen-Courier, der Berliner Illustrirten und Koralle. In der Zeit vor Kriegsausbruch fand er, so seine «Selbstbiographie», seine Leidenschaft für Fakten, v. a. kulturhistorischer Natur, und für den Versuch, sie so anzuordnen, dass sie zu interessanten literarischen Konstruktionen führen würden.

Der Krieg und der Wehrmachtsdienst unterbrachen seine Karriere, jedoch nicht seine Schreibtätigkeit. Marek diente als Infanterist bei der Flakartillerie und in einer Propagandakompanie und veröffentlichte 1941 das Buch Wir hielten Narvik, welches auf seinen Tagebucheinträgen während dieses Einsatzes beruhte. Von April bis Juni 1940 kämpften die Deutschen und alliierte Truppen hart um den norwegischen Hafen, welcher für den Export von Eisenerz große Bedeutung hatte. Erst nach Beginn des Westfeldzugs und dem deutschen Einfall in die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich und der Niederlage britischer Truppen in Dünkirchen zogen sich die Alliierten aus Norwegen zurück. Norwegen kapitulierte am 10. Juni 1940 (Abb. 3).

Abb. 3 Bild der Schlacht um Narvik aus der nationalsozialistischen Propaganda, 1940.
Abb. 3 Bild der Schlacht um Narvik aus der nationalsozialistischen Propaganda, 1940. © akg-images / Fotoarchiv für Zeitgeschichte

1943 gab Marek ein zweites Buch heraus: Rote Spiegel – Überall am Feind. Von den Kanonieren des Reichsmarschalls. Die Roten Spiegel sind in diesem Zusammenhang Kragenspiegel, also am Kragen angebrachte Rangabzeichen, welche für die Flak (Flugabwehrkanone) roter Farbe waren. Für dieses Buch sind keine Verkaufs- oder Auflagezahlen erhältlich, Wir hielten Narvik jedoch erreichte mit zwei Auflagen 80 000 Exemplare. Die Einkünfte aus diesem Buch waren es denn auch, welche Marek nach dem Krieg den Wiedereinstieg ins Berufsleben sowie eine gewisse finanzielle Sicherheit boten.

1945 wurde er aus einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Italien entlassen und landete in Oldenburg, wo der Stalling Verlag, welcher seine zwei Kriegsbücher veröffentlicht hatte, beheimatet war. Dort hatten sich Tantiemen von 19 700 Reichsmark (ca. 60 000 €) angehäuft, auf welche er zurückgreifen konnte, und er bekam gleich auch noch eine Stelle bei Stalling als Lektor. Ab dann ging es steil aufwärts mit Mareks Karriere. Dass er nie Parteimitglied der NSDAP gewesen war, half ihm in dieser Zeit sicher ebenso wie seine Vorkriegserfahrungen in der Publizistik. 1946 wurde er Feuilleton-Redakteur bei der von der britischen Militärregierung gegründeten Zeitung Die Welt, Cheflektor beim Rowohlt Verlag und leitender Mitarbeiter des Nachtprogramms des Nordwestdeutschen Rundfunks.

Nebenbei schrieb er den fast 500 Seiten umfassenden Bestseller Götter, Gräber und Gelehrte, welcher am 15. November 1949 bei Rowohlt in einer Auflage von 12 000 Exemplaren erschien. Man muss sich bei dieser Zahl, welche heutigen Autoren erfolgreicher Sachbücher vielleicht eher kümmerlich erscheint, jedoch die Zeitumstände vor Augen führen. 1949 wurden sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik Deutschland gegründet und die Besatzungszeit beendet. Der Beginn der Verarbeitung der Verbrechen der NS-Zeit war ein ungeheures Projekt für beide Länder, vom Wiederaufbau der Wirtschaft, ganzer Städte, der Infrastruktur, der Industrie oder von Kulturinstitutionen ganz zu schweigen Dass ein Buch über archäologische Entdeckungen in dieser Zeit solchen Erfolg hatte, und die erste Auflage innerhalb von fünf Wochen ausverkauft war, erstaunt nur schon angesichts der noch bis 1951/1952 bestehenden Papierrationierung. Bis 1973 waren 1 849 000 deutsche Exemplare verkauft, bis heute weltweit fast 5 Mio. Exemplare in ca. 30 Sprachen.

«Eine ungeheure historische Parallele»

Anlässlich eines Interviews im Rahmen der Reihe «Fragen an den Autor» des Saarländischen Rundfunks wurde Marek 1969 zu den Gründen für den Erfolg seines Buchs befragt. Neben dem Eskapismus und der Freude am Glanz des Alten hob er auch hervor, dass das Buch Lesern wohl eine «Bestätigung, dass das alles schon einmal dagewesen war» biete, «dass nicht nur die eigene Kultur, in der wir damals lebten, zerschmettert war, sondern dass alle Kulturen einmal zerschmettert worden sind … Eine ungeheure historische Parallele, die eine gewisse Befriedigung verleiht.»

Deutschland war also nur eines in einer langen Reihe von Reichen und Kulturen, welche untergegangen waren. Dass das «Dritte Reich» der Ursprung und Hauptverursacher dieser Zerstörung gewesen war und Marek als Soldat und Kriegsberichterstatter direkt daran mitbeteiligt, darum mussten sich Lesende nicht weiter kümmern, sondern konnten Trost im mit Ägyptern, Babyloniern, Assyrern, Mayas oder Azteken geteilten Schicksal finden. Es finden sich aus buchgeschichtlicher Sicht noch weitere Parallelen zu früheren Zeiten. Denn trotz der vermeintlichen Zäsur des Jahres 1945 als Ende des Kriegs oder auch als Neuanfang halten sich weder die Gesellschaft noch kulturelle Trends oder Entwicklungen an solche für Historiker praktische Daten.

Marek nannte zwei Vorbilder für seinen Tatsachenroman: Paul de Kruifs Mikrobenjäger (auf Deutsch 1927 erschienen) über die Geschichte der Mikrobiologie, und Anne Terry Whites Lost Worlds. Adventures in Archaeology (1941). In beiden werden Forschungsprozesse und Entdeckungen in den Zusammenhang der Biografien der Forscher gestellt. Marek übernahm von diesen Büchern auch die Hervorhebung der durch die Forschung ausgelösten Gefühle (Staunen, Freude, Enttäuschung, etc.) als wichtiges Element der wissenschaftlichen und entdeckerischen Tätigkeit.

Hier wählte er, vielleicht bewusst, zwei nicht-deutsche Vorbilder, denn auch während der NS-Zeit feierten populärwissenschaftliche Bücher (auch als Wissenschaftsromane bekannt) Auflagen bis zu 1 Mio. In diesen wurden die Errungenschaften deutscher Erfinder und Industrieller (v. a. der Chemie-, Metall- oder Elektroindustrie) in romanhafter Weise dargestellt und als Beiträge zur deutschen Unabhängigkeit und Aufrüstung gefeiert. Sachbuchforscher wie David Oels oder Tobias Schneider sehen diese Kontinuität einer während des Dritten Reichs ausgebildeten Konvention als weiteren Grund für den Erfolg von Sachbüchern in den fünfziger Jahren.

Marek – Ceram

Auch der Entschluss, unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, dürfte nicht ganz loszulösen sein von Mareks Vergangenheit. Er selbst gab als Grund an, dass man ihn, den bekannten Publizisten und Kritiker, entweder nicht ernst nehmen würde als Sachbuchautor oder dass Kritiker und Leser voreingenommen sein könnten, wenn sein Name auf dem Umschlag stünde. Aber auch ein bewusster Bruch mit der eben erwähnten NS-Literatur als auch mit dem eigenen Erbe als Propagandaautor während des Kriegs dürften das Ihrige zu diesem Entschluss beigetragen haben (Abb. 4).

Abb. 4 Kriegsberichter einer Propagandakompanie der deutschen Wehrmacht auf einem Militärfahrzeug beim Schreiben seines Berichtes in Bulgarien, März 1941.
Abb. 4 Kriegsberichter einer Propagandakompanie der deutschen Wehrmacht auf einem Militärfahrzeug beim Schreiben seines Berichtes in Bulgarien, März 1941. © akg-images / Fotoarchiv für Zeitgeschichte

Neben diesen externen Erklärungsansätzen und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen für den Erfolg dürfen das Buch selbst und das Talent des Autors nicht vergessen werden. Marek konnte, wie dargestellt, auf eine lange Karriere zurückblicken und war mit vielen verschiedenen journalistischen und literarischen Genres vertraut. Die Wahl des Formats, der Gliederung, des Titels und der verwendeten Ausdrucksform sind deshalb von größter Bedeutung. Der eingängige, vermeintlich alliterative, dreiteilige Titel tat sein Eigenes und laut Marek wurden in den fünf Jahren nach der Erstausgabe 230 weitere Bücher mit dreiteiligen Titeln veröffentlicht.

Die Form des Tatsachenromans erklärte er im Vorwort folgendermaßen: «Alles, was hier erzählt wird, ist nicht etwa nur an Tatsachen geknüpft (und von der Phantasie des Autors ausgeschmückt), sondern ist im einwandfreiesten Sinne allein aus Tatsachen zusammengefügt (zu denen die Phantasie des Autors auch nicht das kleinste Ornament hinzufügte, sofern dies Ornament nicht ebenfalls von der Zeitgeschichte geliefert wurde).» Was für Marek zählte, war die Arbeit der Archäologen «in ihrer dramatischen Verknüpfung, ihrem menschlichen Gebundensein» darzustellen. Die Spannung, welche durch die literarisierende Darstellung von Entdeckungen und Ausgrabungen kreiert wird und die Schicksale der Forscher – mehr als ihre Arbeit – machen das Buch zu einer solch einnehmenden Lektüre.

Wir alle, ob Archäologen, Wissenschaftler oder Laien, können uns mit dem Auf und Ab des menschlichen Lebens mit seinen Erfolgen und Schicksalsschlägen identifizieren. Der Roman der Archäologie ist somit «ein Roman im barocken Sinn, insofern er im ältesten Sinne romantische (der Realität durchaus nicht widersprechende) Ereignisse und Lebensläufe erzählt.»

Diese Betonung des menschlichen und persönlichen Aspekts der Betätigung als Forschende verweist noch auf eine weitere klassische Erzählform: die Heldenfahrt. Kurz umrissen folgt diese stets demselben Muster (hier nach Christoph Vogler), auch wenn die Umstände und Charaktere stark variieren können:

Ein Held wird zu einem Abenteuer aufgerufen

Diesem Ruf verweigert er/sie sich zuerst, oft da er/sie sich nicht qualifiziert fühlt oder als Außenseiter verlacht wird

Er/sie wird dazu überredet, meist von einem Mentor

Eine erste Schwelle wird überschritten

Verschiedene Bewährungsproben werden bestanden, Verbündete und Feinde gefunden

Die entscheidende Prüfung wird bestanden

Auf dem Rückweg müssen mehrere Gefahren überwunden werden (meist eine Nahtoderfahrung)

Der Held oder die Heldin wird in der Heimat gefeiert/endlich anerkannt

Laut David Oels folgen Mareks Kriegsbücher über Narvik und die Flakartillerie sowie auch Götter, Gräber und Gelehrte stark diesem narrativen Ansatz, wenn auch letzteres nicht in seiner Gesamtheit, wohl aber innerhalb einzelner Kapitel diesem Spannungsbogen verpflichtet bleibt. So folgt er diesem Muster beispielsweise bei der Beschreibung Austen Henry Layards, Heinrich Schliemanns oder Howard Carters oder auch Edward Herbert Thompsons Erforschung des Cenote Sagrado, also des sog. Opferbrunnens von Chichén Itzá (Abb. 5). Darin liegt dann auch die Kunst und wohl auch der Erfolg des Buchs begraben: im Spannungsfeld zwischen Abenteuer, Wissenschaftsgeschichte und Literatur.

Abb. 5 Cenote Sagrado, Chichén Itzá. Die Maya benutzten diese natürlich geformte Sinkhöhle als Opferbrunnen für Objekte, später auch für Menschenopfer.
Abb. 5 Cenote Sagrado, Chichén Itzá. Die Maya benutzten diese natürlich geformte Sinkhöhle als Opferbrunnen für Objekte, später auch für Menschenopfer. © akg-images / Album / Oronoz

Das Jahresabonnement der ANTIKEN WELT

Nutzen Sie den Preisvorteil!

  • Abopreisvorteil (D):
    99,- € zzgl. 6,30 € Versand (D) statt 131,55 € im Einzelkauf
  • inkl. Digitalzugang
  • 11.- € pro Ausgabe im Abo
  • insgesamt 9 Ausgaben im Jahr: 6 reguläre Hefte und 3 Sonderhefte
  • ohne Risiko, jederzeit kündbar 
Jetzt gratis testen