Paragraf 175 StGB in der jungen Bundesrepublik - Verfolgung und staatliche Repression
(Gebundene Ausgabe)
Baden-Württemberg im Fokus eines sich wandelnden Sexualitätsdiskurses 1945-1969
- wbg Academic in der Verlag Herder GmbH
- 1. Auflage 2025
- Gebunden mit Schutzumschlag und Leseband
- 528 Seiten
- ISBN: 978-3-534-64308-0
- Bestellnummer: P3643087
„175er“ – Schwule Männer in Westdeutschland, 1945–1969
Die staatliche Repression und Verfolgung homo- und bisexueller Männer in der jungen Bundesrepublik wurden bisher wissenschaftlich kaum untersucht. Dabei war die Homosexuellenverfolgung in Westdeutschland bis 1969 erheblich: Gegen mehr als 100.000 Männer wurde ein Ermittlungsverfahren angestrengt und mehr als 50.000 wurden strafrechtlich verurteilt. Die Bezeichnung „175er“ leitete sich in weiten Teilen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft aus dem Strafrechtsparagrafen 175 selbst ab. Allgemein bekannt war die Umschreibung „175er“ für schwule Männer, die noch in den 1960er Jahren hinter vorgehaltener Hand Bekannte und Nachbarn stigmatisierte.
Das NS-Sonderstrafrecht für Homosexuelle wurde nach 1945 nicht abgeschafft, sondern bestand bis zur Strafrechtsreform 1969 unverändert fort. Die Betroffenen sind heute oft hochbetagt. Mit der Untersuchung ihrer Verfolgungsgeschichte gilt es ein neues Schlaglicht auf die Geschichte der jungen Bundesrepublik zu werfen. Dabei werden Kontinuitäten ebenso beleuchtet wie das spezifisch Neue der staatlichen Verfolgung und Repression unter demokratischem Vorzeichen. In den 1960er Jahren erfolgte schließlich ein gesellschaftlicher Normwandel, ohne die öffentliche Debatte zu beenden. Speziell im deutschen Südwesten war die Verfolgung überproportional. Die hiesige Situation hatte einen beachtlichen Einfluss auf die Bundesentwicklung, woraus sich der Fokus der Studie auf die Region des heutigen Baden-Württembergs begründet, ohne jedoch darin aufzugehen. Wie in einem Brennglas zeigt sich hier die Verfolgungsgeschichte homo- und bisexueller Männer in der jungen Bundesrepublik.
Zentrale Verfolgungsfelder
Aus der Perspektive der kulturwissenschaftlichen Geschichtswissenschaft werden maßgebliche verfolgungsspezifische Felder untersucht: Wird zunächst die politische und rechtshistorische Entwicklungsdimension im Umgang mit homo- und bisexuellen Männern entfaltet, richtet sich der Blick dann auf Justiz, polizeiliche Verfolgungspraxis sowie auf Medizin und Psychiatrie. Völlig neu hierbei ist etwa die umfangreiche semantische Analyse von Strafprozessakten und der damit verbundenen Sprache, speziell der Richter, über homosexuelle Männer und zum § 175, aber auch die staatliche Zerstörung von queeren Lebenswelten am Vorabend der Liberalisierung. Die Monografie zeigt, dass auch demokratische Staaten vor der Verfolgung sexueller Minderheiten nicht gefeit sind; und sie ist ein Weckruf für eine wehrhafte Demokratie.
Autor/in
J. Noah Munier, Dr. phil., ist Akademische Mitarbeiter:in an der Universität Stuttgart. Munier forscht am Historischen Institut, Abt. Neuere Geschichte seit 2016 zur Geschichte von LSBTTIQ* in Baden und Württemberg. Im Mittelpunkt stehen die Lebenswelten, staatliche Verfolgung und Repression queerer Menschen im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland.