Nordafrika zählte, anders als viele heutzutage vermuten würden, aufgrund seiner landwirtschaftlichen Güter, die die Städte Rom und Konstantinopel mit Getreide versorgten, zu den reichsten Provinzen des Römischen Reiches. Die Eroberung durch die Vandalen um 435 n. Chr. stellte daher auch einen markanten Einschnitt für die weströmische Reichsregierung dar. Erst 534 n. Chr. konnte Ostrom unter Kaiser Justinian (reg. 527–565) Nordafrika, das zuvor immer Teil der westlichen Reichshälfte gewesen war, für weitere zwei Jahrhunderte bis zur Ankunft der Araber für den römischen Osten «zurückerobern».
Die neue oströmische bzw. byzantinische Regierung unter Justinian und seinen Nachfolgern setzte in den Regionen des heutigen Maghreb ein großflächiges Bauprogramm in den nordafrikanischen Städten um, das vor allem auf die Errichtung von Stadtmauern, Festungen und Zitadellen ausgerichtet war. Der Historiker Prokop, der Teil des oströmischen Invasionsheers unter magister militum Belisar gewesen war, bemerkte in seinem Buch de Aedificiis (zu dt. «Die Bauten») hierzu: «Schließlich hat Justinian das auf allen Seiten von Barbaren bedrohte Römerreich durch eine Menge Soldaten gestärkt und seine sämtlichen Grenzgebiete durch Errichtung von Wehranlagen befestigt» (Prok. Aed. I, 1).
Eine befestigte Landschaft entsteht
Die byzantinischen Festungen, die viele Regionen und Städte in Algerien, Tunesien und Libyen bis in die Gegenwart prägen, werden heute als Teil eines größeren Transformationsprozesses verstanden, der den Mittelmeerraum und weite Teile des Römischen Reiches in der Spätantike betraf: die Umgestaltung der Städte und der Siedlungsweise der Bevölkerung im ländlichen Raum. Viele Städte, die bis in das 4. Jh. ein beinahe kontinuierliches Wachstum erfahren hatten, zeigen im archäologischen Befund Verkleinerungstendenzen. Zudem lässt sich ein Rückgang in der Errichtung oder Instandhaltung zentraler öffentlicher Bauten wie Foren, Theater, Thermen und Tempel beobachten, die bis dahin im Aufgabenbereich der städtischen Eliten lagen. Die Ursachen und Hintergründe dieser Entwicklungen sind komplex und werden von der Forschung seit Langem diskutiert.
Auch nach dem Ende der Vandalenherrschaft stand Ostrom in Nordafrika vor weiteren Herausforderungen. Neben militärischen Aufständen und Unruhen sowie der justinianischen Pest in den 540er-Jahren bereiteten vor allem berberische Militärverbände der oströmischen Regierung Probleme. Bereits in den letzten Generationen der Vandalenherrschaft beschränkte sich das faktische Einflussgebiet der hasdingischen Königsdynastie zunehmend nur noch auf die ehemalige römische Provinz Africa proconsularis. Randgebiete wie Tripolitanien, Numidien und Mauretanien machten sich unter berberisch-römischen Nachfolge- reichen, die bis heute kaum erforscht wurden, eigenständig. Nach der schnellen Zerschlagung der Vandalen lieferten sich vor allem diese poströmischen regna und Militärverbände am Rande und innerhalb der römischen Provinzen jahrzehntelange Auseinandersetzungen mit dem byzantinischen Heer. Die Errichtung der zahlreichen Militärfestungen, Stadtmauern, zivilen Fortifikationen und Höhensiedlungen dürften unter anderem auf diese Entwicklungen zurückzuführen sein, wenngleich auch zahlreiche weitere Faktoren dafür verantwortlich waren.
Abb. 2 Plan der byzantinischen Festung und römischen Bauten auf dem Forum von Thugga.
Wikimedia Commons / Furfur / Karldupart
Das seit 2020 laufende Dissertationsprojekt untersucht die Auswirkungen dieser überregional verbreiteten Transformationsprozesse in den Städten und den ländlichen Siedlungen der Region Thugga in Nordtunesien, die im 6. und 7. Jh. zur Entstehung einer befestigten Landschaft führten (Abb. 1). Grundlage bildet ein Survey, der seit dem Ende der 1990er-Jahre in der Region unter Prof. Dr. Mariette de Vos Raaijmakers (Universität Trient) geleitet wurde. Daneben wurden zahlreiche Grabungen seit dem Ende des 19. Jhs. in den Städten der Region durchgeführt. Auch der Blick auf den Baubefund der vielen Befestigungen in der Region erlaubt Rückschlüsse auf die Herkunft des Baumaterials zu ziehen und welche öffentlichen Bauten aus den vorherigen Jahrhunderten dafür abgetragen wurden.
Abb. 3 Die byzantinische Festung von Thugga mit dem Kapitol und zahlreichen Spolien im Mauerwerk.
Philipp Margreiter
Ein UNESCO-Weltkulturerbe
Die Stadt Thugga liegt in der Hohen Tell-Region im tunesischen Binnenland, etwa zwei Stunden südwestlich von Tunis. Das nördlich liegende Medjerda-Tal ist bis heute das landwirtschaftliche Kerngebiet Tunesiens. Beide Regionen waren in der römischen Kaiserzeit (27 v. Chr. bis 435 n. Chr.) mit zahlreichen Städten und großen Landgütern übersät. Viele davon befanden sich im Besitz der Kirche, senatorischer Familien oder des Kaisers. Während der vandalischen Herrschaft wurden diese Personenkreise enteignet und deren Besitz für den Unterhalt der vandalischen Elite, des Heeres, des homöischen Klerus und des Königshauses genutzt. Es verwundert also nicht, dass neben den vertriebenen senatorischen Familien Justinian vor allem dem kaiserlichen Fiskus und der katholischen Kirche zahlreiche Besitzungen zurückerstattete.
Abb. 4 Das Osttor von Thubursicum Bure (Téboursouk) mit dem wiederverwendeten severischen Ehrenbogen und der fragmentierten Bauinschrift aus der Regierungszeit des Justin II.
Denys Pringle
Die Stadt Thugga gehört heute zu den bekanntesten archäologischen Parks in Tunesien und ist UNESCO-Weltkulturerbe. Seit den 1890er-Jahren wurde der Fundort durchgehend erforscht und zahlreiche Areale bereits früh ausgegraben. So auch das Forum von Thugga, das dortige Kapitol und der daran angrenzende Platz der Windrose. Noch heute ist das Forum durch die byzantinische Festung, die laut Prokop unter Kaiser Justinian in den 530er-Jahren errichtet wurde, zweigeteilt (Abb. 2). Die Festung besitzt einen kleinen unregelmäßigen Grundriss (70 × 52 m und 0,28 ha), der durch den Einbezug kaiserzeitlicher Vorgängerbauten wie dem Kapitol, der westlichen Portikus und den dazugehörigen Räumen entstand. Dass nicht nur Vorgängerbauten abgetragen wurden, die der Festung unmittelbar im Weg waren, kann auch durch die zahlreichen kaiserzeitlichen Inschriften entlang der Festungsmauern nachvollzogen werden, die dort als Spolien verbaut wurden. Durch sie wissen wir, dass weitere Tempelbauten des Forumsplatzes wie der Merkurtempel, das Macellum oder der Fortunatempel als Steinbruch dienten (Abb. 3). Auch pagane Grabstelen wurden für die Errichtung der Festung verwendet.
Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Tempel und andere öffentliche Bauten von Thugga erst für die Errichtung der Festung abgetragen wurden oder ob ihre Bauteile nicht schon vorher in einem Materiallager der Stadt gelandet waren. Neben der Festung besitzt Thugga auch eine Stadtmauer aus byzantinischer oder früharabischer Zeit, die sich jedoch in ihrer Bauart von der Festung auf dem Forum unterscheidet. Für die Errichtung der Stadtmauer wurden im Süden der Stadt Wohnhäuser abgetragen oder in den Verlauf der Mauer integriert. Sogar die großen Thermenanlagen der Stadt dienten als Materialquelle. In den nördlichen Wohngebieten auf dem Stadtplateau wurden hingegen zwei numidische Turmgräber Teil der Stadtmauer.
Die größte Festung des Tals
Nur wenige Kilometer östlich von Thugga liegt die moderne Stadt Téboursouk, das antike Thubursicum Bure. Die Stadt erhielt in byzantinischer Zeit die größte Festung der Region. Von der fünfeckigen Festung sind heute allerdings nur noch zwei Seiten mit wenigen hunderten Metern Länge erhalten. Der Rest der Anlage, die bis dahin als Stadtmauer fungierte, verschwand seit dem 19. Jh. hinter neu errichteten Wohnhäusern. Téboursouk war auch in arabischer Zeit die größte Stadt der Region. Andere römische Städte wurden verlassen oder schrumpften zu kleinen Dörfern. Von der byzantinischen Festung ist heute noch das Osttor erhalten, bei dem es sich um einen kaiserzeitlichen Ehrenbogen aus severischer Zeit (193–235 n. Chr.) handelt (Abb. 4). Eine Bauinschrift aus der Regierungszeit Kaiser Justin II. (reg. 565–578), dem Nachfolger Justinians, ist heute noch fragmentiert erhalten. Der Ehrenbogen wurde im Zuge der Errichtung der Festung verkleinert und mit einem neuen Tor versehen, das heute mehrheitlich unter dem modernen Straßenniveau liegt.
Wenig erforschte ländliche Fortifikationen
Neben den großen, definitiv militärisch genutzten Festungen, die auch in Städten wie Thignica (Abb. 5), Agbia oder Mustis errichtet wurden, gibt es noch zahlreiche kleinere Fortifikationen im ländlichen Raum, die frühe französische Kolonialarchäologen im 19. Jh. kartierten. Eine detaillierte Auseinandersetzung, geschweige denn Ausgrabungen fanden an diesen Fundorten jedoch nie statt. Ihre Größe und Aufbau sind uneinheitlich. Auch ihre Funktion oder Nutzung sind nicht wirklich bekannt. Durch den Survey der Universität Trient kann an allen Fundstellen jedoch eine byzantinische Nutzung durch Keramikfunde nachgewiesen werden, die oftmals bis in die arabische Zeit weiterlief. Manche dieser Fortifikationen wurden in größeren dorfähnlichen Weilern errichtet. Andere häufen sich im Bereich von Verarbeitungsanlagen, sog. torcularia, für die Olivenölproduktion oder im Umfeld ländlicher Kirchenbauten.
Abb. 5 Die byzantinische Festung von Thignica (Aïn Toung am nördlichen Oued Khalled).
Philipp Margreiter
Zu den ländlichen Siedlungen, in denen in byzantinischer Zeit eine Fortifikation errichtet wurde, gehört der Fundort Bir Tersas (auch Henchir et Terssas genannt) im nördlichen Oued Khalled. Die dortige Siedlung bildete während der römischen Kaiserzeit das Zentrum eines reichen Großgrundbesitzes, den praedia Rufi Volusiani. Aus den Inschriftenfunden wissen wir, dass sie zu den Ländereien zweier senatorischer Familien gehörte. Die Familie des Caius Passienius Septimus stiftete im 1. und 2. Jh. zahlreiche Bauten in der Region. Zu Beginn des 4. Jhs. übernahm die Familie des Ceionius Rufus Volusianus die Besitzungen. Im Verlauf des 6. oder spätestens im 7. Jh. wurde im Zentrum der Siedlung, die bisher nicht ausgegraben wurde, eine Fortifikation auf den Mauern des Hauptgehöfts oder sogar einer Villa errichtet (Abb. 6).
Abb. 6 Der Fundort Bir Tersass von Nordwesten aus betrachtet. In dessen Zentrum liegt die byzantinische Fortifikation (unten rechts).
Philipp Margreiter
In den Mauern der Fortifikation wurden zahlreiche Spolien wie Elemente von Ölpressen, Sarkophage und sogar die Grabinschrift aus dem Mausoleum des Caius Passienius Septimus verbaut. Die französischen Kolonialarchäologen Ernest Babelon, Louis Carton und Charles Diehl erwähnen in ihren Berichten aus dem Ende des 19. Jhs. sogar eine von Türmen umgebene byzantinische Festungsanlage. Heute ist allerdings unklar, ob es sich dabei um die kleine Fortifikation handelt, die noch erhalten ist und keine Turmbauten besitzt. Da wir aus dem 19. Jh. keine Pläne, Zeichnungen oder gar Fotografien von Bir Tersas besitzen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine weitere kleinere Festungsanlage gänzlich dem Steinraub zum Opfer gefallen ist.
Eine strategisch wichtige Kreuzung
Nur 2 km nördlich von Thugga liegen mehrere Fortifikationen aus der Spätantike an einer strategisch wichtigen Kreuzung, die das Oued Khalled über die Stadt mit dem Hinterland verband. In direkter Umgebung der Kreuzung liegt der Fundort Ksar Ben Tralah (Abb. 7). Es handelt sich dabei um das kaiserzeitliche Gehöft einer wohlhabenden Familie aus Thugga. Am Rande dieses Gehöfts errichteten die Besitzer ein kleineres Turmmausoleum. Derartige Bauten sind in der Region Thugga auf zahlreichen Landgütern aber auch im Thugga selbst archäologisch belegt. In der Spätantike, vermutlich in byzantinischer Zeit, wurde das Turmmausoleum von Ksar Ben Tralah in einen Wachturm umgebaut, um die nur wenige hundert Meter entfernt liegende Kreuzung zu kontrollieren. Der Turmbau ist heute nur knapp über 1,50 m hoch erhalten. In dieser späten Umbauphase wurden Spolien aus dem umliegenden Gehöft und dem dazugehörigen Gräberfeld an mehreren Seiten des Turms in die Fassade integriert.
Abb. 7 Oben rechts: Der Wachturm von Ksar Ben Tralah, der auf einem kaiserzeitlichen Turmmausoleum eines Landguts errichtet wurde. Links: Der Wachturm mit der im Hintergrund liegenden Kreuzung und dem Kef Harrath.
Philipp Margreiter
Abb. 8 Der Kef Harrath von Thugga im Süden gesehen. Auf seinem Felsplateau befinden sich Reste einer spätantiken Fortifikation, die zusammen mit einer kleineren Anlage auf der links vorgelagerten Anhöhe den Zugang zum Hinterland von Thugga kontrollierte.
Philipp Margreiter
Die Bedeutung dieser Kreuzung, die weder von Thugga noch von Thubursicum Bure aus überwacht werden konnte, zeigt sich durch zwei weitere Fortifikationen. Diese wurden in einer Entfernung von 400 bis 500 m östlich der Kreuzung auf dem Berg Kef Harrath errichtet (Abb. 8). Zu betonen ist, dass beide Fundorte bisher nicht ausgegraben wurden. Sie verfügen über eine Vorgängerbebauung, die offenbar in der Spätantike aufgrund der topographisch-strategischen Lage auf dem Kef Harrath und dem davor liegenden kleineren Bergrücken errichtet wurden, um das landwirtschaftlich wichtige Hinterland von Thugga und Thubursicum Bure zu überwachen. Bei diesen drei Fortifikationen ist mit einer militärischen Nutzung zu rechnen. Weitere mögliche Turmbauten im gebirgigen Norden der Region Thugga dienten vermutlich als Signal- und Überwachungstürme, deren Datierung jedoch ohne zusätzliche Ausgrabungen unbekannt bleibt.
Unausgeschöpftes Vergleichspotential
Die Untersuchung der Region Thugga und ihrer Entwicklung im 6. und 7. Jh. zeigt großes Potential für die Erforschung des spätantiken Nordafrikas. Neben den komplexen Transformationsprozessen in den schrumpfenden und sich veränderten Städten zeigen sich auch im ländlichen Raum Entwicklungen, bei denen die Kirche zu den wichtigen Playern gehörte. Die Forschung um den britischen Archäologen David Mattingly konnte in den letzten Jahren Tausende von Fortifikationen in Nordafrika kartieren, die in byzantinischer und arabischer Zeit errichtet wurden. Neben großen militärischen Festungen zählen dazu auch kleinere Fortifikationen, die im Süden des heutigen Algeriens, Tunesiens und Libyens als gsur bekannt sind und deren Entstehung bis in die römische Kaiserzeit zurückverfolgt werden kann.
Es zeigt sich also, dass Befestigungen ein bisher nahezu unterschätztes Forschungsfeld in der Archäologie des spätantiken Nordafrikas darstellen. Entwicklungen, wie sie im 6. und 7. Jh. in der Region Thugga nachvollzogen werden können, dürfen so auch in anderen Mikroregionen der nordafrikanischen Provinzen einen entsprechenden Niederschlag im archäologischen Befund hinterlassen haben.