Graffiti in Heiliger Stätte: Mittelalterliche Inschriften im Abendmahlsaal in Jerusalem entschlüsselt

Ein internationales Forschungsteam hat mittels digitaler Fotografie mehrere jahrhundertealte Inschriften im Saal des letzten Abendmahls Jesu in Jerusalem entziffert. Die Funde werfen ein neues Licht auf das vielfältige Pilgerwesen des Mittelalters.

Gesamtansicht des Abendmahlsaals auf dem Berg Zion.
Gesamtansicht des Abendmahlsaals auf dem Berg Zion. An der gegenüberliegenden Ecke ist eine Dokumentation einer arabischen Inschrift zu sehen.© Joshua Faudem / © Israel Antiquities Authority

Einer der heiligsten Orte Jerusalems liegt auf dem Gipfel des Berg Zions. Juden und Muslime ehren diese Stelle als das Grab des biblischen Königs David. Laut christlicher Überlieferung hat Jesus mit den Aposteln hier sein letztes Abendmahl gehalten. Der von den Kreuzrittern gebaute Saal – bekannt auch als Coenaculum – zieht bis heute Pilger aus der ganzen Welt an.

Nun konnte ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der israelischen Behörde für Altertümer (IAA) bislang großteils unbekannte Inschriften, Wappen und Zeichnungen auf den Wänden des Coenaculums dokumentieren und entschlüsseln. Die Ergebnisse sind in einem umfangreichen Fachartikel im renommierten Liber Annuus veröffentlicht, dem Jahrbuch des Studium Biblicum Franciscanum in Jerusalem.

Geschnitztes Wappen mit der Unterschrift „Altbach“.
Geschnitztes Wappen mit der Unterschrift „Altbach“. Dieses Bild ist nahezu identisch mit dem Wappen der gleichnamigen modernen Stadt in Süddeutschland. Es scheint sich um einen unbekannten Pilger aus der örtlichen Ritterfamilie zu handeln. Die über dem Wappen eingekratzten Bilder beziehen sich auf das letzte Abendmahl: Kelch, Platte und ein rundes Stück Brot. Das Loch im Brot erinnert an den berühmten Jerusalem-Bagel (ka'ak al-quds), der in der Stadt bis heute beliebt ist. Shai Halevi / © Israel Antiquities Authority

Die meisten der nun durch digitale Verfahren wieder sichtbar gemachten Inschriften datieren ins Spätmittelalter, als der Abendmahlssaal Teil eines franziskanischen Klosters war.
Im Jahr 1436 pilgerte der Erzherzog und spätere heilige römische Kaiser Friedrich von Habsburg mit Begleitung von 100 österreichischen Adeligen nach Jerusalem. Einer seiner Begleiter war der Steirer Tristram von Teuffenbach. Elemente aus seinem Familienwappen konnten an der Wand des Coenaculums identifiziert werden.

Neben dem heraldischen Wappen aus der Steiermark zählt die armenische Inschrift „Weihnachten 1300“ zu den wichtigsten Entdeckungen. Sie könnte eine seit dem 14. Jahrhundert offene Frage klären: Erreichten der armenische König Het’um II. und seine Truppen nach der siegreichen Schlacht bei Wādī al-Khaznadār in Syrien am 22. Dezember 1299 tatsächlich Jerusalem? Das Datum der Inschrift sowie ihre Position hoch oben an der Wand – typisch für die Epigraphik des armenischen Adels – sprechen dafür.

Von besonderer Bedeutung ist auch ein arabisches Inschriftenfragment, das lautet: „...ya al-Ḥalabīya“. Aufgrund der doppelten Verwendung der weiblichen Endung „ya“ schließen die Forschenden, dass es sich um das Graffito einer christlichen Pilgerin aus der syrischen Stadt Aleppo handelt – eine seltene Spur weiblicher Präsenz in der vormodernen Pilgerwelt.

Bunte Pilgergesellschaft

Bemerkenswert sind schließlich auch Inschriften und Signaturen mehrerer bekannter Persönlichkeiten der damaligen Zeit, wie der Regensburger Johannes Poloner, der 1421/22 über seine Pilgerfahrt nach Jerusalem berichtete. Auch eine Kohlezeichnung des Wappens der berühmten Berner Patrizierfamilie von Rümlingen ist dokumentiert.

Inschrift und Skorpionzeichnung zu Ehren des Sufi-Sheikhs Aḥmad al-ʿAǧamī.
Inschrift und Skorpionzeichnung zu Ehren des Sufi-Sheikhs Aḥmad al-ʿAǧamī. Der Sheikh spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Abendmahlssaals. Auf seine Bitte hin vertrieb Sultan Süleyman der Prächtige im Jahr 1523 die Franziskaner und verwandelte den Saal in eine Moschee. Shai Halevi / © Israel Antiquities Authority

Neben Armenien, Syrien und dem deutschsprachigen Raum finden sich auch Spuren aus Serbien, Tschechien und von zahlreichen arabischsprachigen Christen aus dem Osten. Damit geben die Inschriften einzigartige Einblicke in die Herkunft der damaligen Pilger. „Diese Graffiti werfen ein neues Licht auf die geografische Vielfalt und die internationale Pilgerbewegung nach Jerusalem im Mittelalter – weit über die westlich geprägte Forschungsperspektive hinaus“, erklärt Ilya Berkovich, Co-Autor der ÖAW-Studie.

Meldung ÖAW

Originalpublikation:
Shai Halevi, Ilya Berkovich, Michael Chernin, Samvel Grigoryan, Arsen Harutyunyan, ‚The Holy Compound on Mount Sion – An Epigraphic Heraldic Corpus (Part 1): The Walls of the Cenacle‘, Liber Annuus 74 (2024), S. 331–74.

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