Die Tätowierungen von Eis-Mumien der Pazyryk-Kultur sind von entscheidender Bedeutung für die Archäologie Sibiriens, da sie ein tieferes Verständnis für die Kultur und das Leben der Menschen in dieser Region während der Eisenzeit ermöglichen. Bislang gab es jedoch nur wenige detaillierte Untersuchungen der Tätowierungen, da hochauflösende Bilddaten lange Zeit fehlten. Ein internationales Forschungsteam um Dr. Gino Caspari von der Universität Bern und vom Max Planck-Institut in Deutschland hat die Tattoos nun in bisher unerreichter Bildschärfe untersucht. Auf diese Weise konnten die Forschenden auch die handwerklichen Hintergründe der Tätowierungen identifizieren. Die Ergebnisse der Studie wurden soeben in der Fachzeitschrift Antiquity publiziert.
Erste hochauflösende dreidimensionale Aufnahme einer Eis-Mumie
«Die Tätowierungen der Pazyryk-Kultur faszinieren Archäologinnen und Archäologen seit Langem durch ihre aufwändigen, lebhaften Darstellungen», sagt Gino Caspari, der am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern und am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena (D) forscht. So haben sich frühere Studien vorwiegend auf schematische Zeichnungen gestützt und sich auf stilistische und symbolische Aspekte konzentriert.
Für eine umfassendere Analyse der tätowierten Haut erstellte das Forschungsteam eine dreidimensionale Aufnahme einer Eis-Mumie und nutzte dazu digitale Infrarotfotografie mit Submillimeter-Auflösung. In Zusammenarbeit mit einem zeitgenössischen Tätowierer analysierten die Forschenden die Tattoos im Detail – und konnten so spezifische Werkzeuge und Techniken identifizieren, die bei der Anfertigung verwendet wurden. So wurde festgestellt, dass eine Punktierungstechnik mit verschiedenen Werkzeugen zur Anwendung kam.
Ähnliches Tattoo-Handwerk wie heute
Bei den Analysen zeigte sich, dass die Tätowierungen am rechten Unterarm feiner und technisch anspruchsvoller waren als jene am linken Unterarm. Dies liefert einen Hinweis, dass unterschiedliche Tätowierende beteiligt gewesen waren oder dieselbe Person in verschiedenen Phasen ihrer Ausbildung tätowiert hat.
Illustrationen des Tattoos vom linken Unterarm: A) in seinem aktuellen Zustand B) rekonstruiert, um fehlende Elemente zu ergänzen und Hauttrocknung zu berücksichtigen C) idealisierte künstlerische Darstellung
Daniel Riday
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Tätowieren in der Pazyryk-Kultur nicht nur ein ästhetisches Ausdrucksmittel war, sondern ein spezialisiertes Handwerk, das technisches Geschick, ästhetisches Empfinden und formale Schulung erforderte.
«Die Studie eröffnet neue Perspektiven auf individuelle Handlungsspielräume in der prähistorischen Körpergestaltung», sagt Caspari. «Durch unsere Studie tritt Tätowieren nicht nur als symbolische Verzierung in Erscheinung, sondern als ein komplexes Handwerk, das der modernen Tätowierkunst in nichts nachsteht.» Caspari fügt hinzu: «Es fühlte sich an, als könnten wir den Menschen hinter der Kunst zum ersten Mal wirklich begegnen – sehen, wie sie gearbeitet, gelernt und auch Fehler gemacht haben. Die Bilder begannen lebendig zu werden.»
Meldung Universität Bern
Originalpublikation:
Gino Caspari, Aaron Deter-Wolf, Daniel Riday, Mikhail Vavulin & Svetlana Pankova (2025). High-resolution near-infrared data reveal Pazyryk tattooing methods. Antiquity, 99 (407).
DOI: https://doi.org/10.15184/aqy.2025.10150