Der Grenzkomplex von Haithabu und Danewerk steht seit 2018 auf der Welterbeliste der UNESCO. Um als solches zu gelten, muss mindestens eines von zehn Kriterien erfüllt sein. Haithabu und Danewerk erfüllen zwei: Wegen ihres reichen und gut erhaltenen archäologischen Materials sind sie fundamental für unser Verständnis der Wikingerzeit; zudem sind sie Musterbeispiel für ein frühstädtisches Handelszentrum in einem Grenzraum, das mit einem weiträumigen Verteidigungssystem verbunden war.
Haithabu und das Danewerk zeichnen sich durch ihre Authentizität und Integrität aus, die von der UNESCO anerkannt und geschützt werden. Da die archäologischen Stätten an ihren ursprünglichen Entstehungsorten liegen, sind sie mit ihren Originalfunden und -befunden als historisch echt, also authentisch, zu definieren. Für heutige Vermittler und Denkmalpfleger bedeutet das, nicht nur physisch Strukturen und Artefakte aus der Vergangenheit zu erhalten, sondern diese auch möglichst korrekt zu rekonstruieren und zu präsentieren, um Besuchern ein annähernd authentisches Erlebnis der Wikingerzeit zu bieten.
Dahingegen bezieht sich die Integrität auf die Vollständigkeit und Unversehrtheit archäologischer Stätten. Es geht um die Frage, wie gut die bauzeitliche Substanz der Welterbestätte erhalten ist. Im Falle von Haithabu und Danewerk zählen hierzu alle Wallstrukturen, Funde und Orte, welche die Werte des Kulturguts repräsentieren und die lange Geschichte des Komplexes samt allen Umbauphasen und der stetigen Weiterentwicklung der Verteidigungsanlagen und der Handelsstätte widerspiegeln.
Insgesamt sind Authentizität und Integrität entscheidende Kriterien für die Anerkennung als UNESCO-Welterbestätte. Der Schutz dieser Aspekte gewährleistet nicht nur die Bewahrung des kulturellen Erbes, sondern ermöglicht es auch zukünftigen Generationen, die historische Bedeutung von Haithabu und dem Danewerk zu verstehen und zu würdigen.
Haithabu und das Danewerk lagen im Zentrum der wichtigsten Land- und Seehandelsrouten des 8. bis 11. Jh. Viele ihrer Strukturen, Landschaftselemente und Artefakte sind erhalten und stehen in ihrer ursprünglichen Beziehung zueinander.
ALSH
Pulsierendes Herz der Wikinger: Haithabu
Inmitten einer malerischen Landschaft an der Schlei gelegen, entfaltet Haithabu seine Geschichte als Handelsmetropole der Wikingerzeit. Im 19. Jh. entdeckt, bietet die archäologische Stätte heute ebenso faszinierende wie lebendige Einblicke in das Leben vor mehr als 1000 Jahren Häuser aus der Zeit der Blüte Haithabus, aber auch mithilfe von Living-History-Darstellern.
Die Bedeutung Haithabus reicht weit über die Region hinaus. Als Handels- und Kulturknotenpunkt spielte die Siedlung eine Schlüsselrolle im Ostseeraum. Fundstücke wie Schmuck, Waffen und Werkzeuge bieten nicht nur Einblicke in die Handelsbeziehungen, sondern auch in die Kunstfertigkeit der Menschen. Haithabu war ein Schmelztiegel der Kulturen, ein Ort des Austauschs und der Innovation.
Ende des 11. Jh. trat Schleswig die Nachfolge Haithabus an. Das verlassene, von einem Wall umgebene Gelände des Handelszentrums wurde nie überbaut. Der größte Teil der Siedlung (ca. 95 Prozent) liegt daher noch geschützt unter der Erde. Dies bietet der archäologischen Forschung vielfältige Möglichkeiten, diversen kulturhistorischen Fragen nachzugehen. So nimmt Haithabu eine Schlüsselposition in der Erforschung der Wikingerzeit ein.
Im Gegensatz zu Haithabu liefert das Danewerk wenig Fundmaterial. Dieser Spaten erinnert jedoch an die Menschen, die am Bau der mächtigen Grenzanlage beteiligt waren.
ALSH
Schutzwall und Machtsymbol: Danewerk
Haithabu war mit dem als Grenzwall dienenden Danewerk verbunden, das über Jahrhunderte von dänischen Königen ausgebaut wurde. Als System von Verteidigungsanlagen war es Schutzwall gegen Angriffe aus dem Süden durch Slawen, Ostfranken oder Sachsen. Es wurde bereits im 5. Jh. in der Völkerwanderungszeit errichtet. Von wem, ist bislang unbekannt. Sicher ist, dass das Danewerk im Laufe der Jahrhunderte in mehreren Bauphasen und -abschnitten errichtet wurde. Neben seiner Rolle der Verteidigung und Grenzkontrolle diente es als politisches Machtsymbol. Im Zuge der Deutsch-Dänischen Auseinandersetzung von 1864 reaktivierten es die Dänen durch den Bau von Schanzen (Bastionen), welche sich deutlich von den älteren Teilen des Walls unterscheiden.
Angesichts der Größe und des Alters dieser Welterbestätte sind die Herausforderungen für die Denkmalpflege beträchtlich. Erhaltungsmaßnahmen erfordern sowohl finanzielle Mittel als auch eine sorgfältige Abwägung zwischen der Erhaltung des Originalzustands und der Zugänglichkeit für Besucher. Der Einsatz moderner Technologien wie 3D-Modellen und Augmented Reality trägt dazu bei, die Geschichte lebendig zu halten, ohne die empfi ndlichen Überreste zu gefährden. Nur sehr wenige Bereiche des Danewerks (ca. 3 Prozent) wurden bisher durch Ausgrabungen untersucht.
Der Living-History-Darsteller Reinhard Erichsen zeigt den Besuchern von Haithabu den Umgang mit dem Bogen.
Stiftung Schleswig- Holsteinische Landesmuseen
Zwischen Erkenntnis und Missbrauch
Doch Haithabu ist mehr als eine archäologische Perle: Es ist Zeugnis einer langen Forschungsgeschichte, die das Verständnis der Wikingerzeit stetig vertieft hat. Seit ihrer Entdeckung wird archäologisch an der Freilegung und Erforschung der Überreste gearbeitet. Akribische Ausgrabungen haben neben den städtischen Strukturen Haithabus auch wertvolle Artefakte zutage gebracht.
Leider war die Forschungsgeschichte nicht immer von wissenschaftlicher Integrität geprägt. Während der Zeit des Nationalsozialismus missbrauchten die Machthaber die Wikingerzeit und Haithabu für ihre ideologischen Zwecke. Es kam zu einer problematischen Rezeption der Wikinger als vermeintliche Vorläufer einer »germanischen Herrenrasse« und Haithabu wurde als nationalsozialistisches Propagandainstrument missbraucht. Diese Verfl echtung von Wissenschaft und Ideologie hinterließ Spuren, die bis heute refl ektiert werden müssen. Herausfordernd hierbei ist, die legitime wissenschaftliche Erforschung Haithabus von den ideologischen Verzerrungen zu trennen und die Erkenntnisse in einem neutralen, ethisch verantwortungsvollen Kontext zu präsentieren. Moderne Archäologen sind sich dieser historischen Belastung bewusst und setzen sich dafür ein, die Wissenschaft von politischen Agenden zu befreien, um die historische Bedeutung und Vielfalt der Wikingerzeit zu vermitteln.