Vom Skorpion gestochen – vom Wildesel getretenRömische Artillerie im Experiment

Viele Fragen der Altertumswissenschaften lassen sich nur mit Experimenten beantworten. Auf diesem Feld wird seit Jahren an der Friedrich‐Alexander‐Universität Erlangen‐Nürnberg gearbeitet. Hier die neuesten Erkenntnisse.

Scorpio bei Ausgrabungen geborgen in Ampurias im Nordosten Spaniens: Aufgrund dieses alten Fundes wurde 2017 / 18 erstmals ein römisches Geschütz nachgebaut.
Scorpio bei Ausgrabungen geborgen in Ampurias im Nordosten Spaniens: Aufgrund dieses alten Fundes wurde 2017 / 18 erstmals ein römisches Geschütz nachgebaut.© P. Conolly, Die römische Armee, Hamburg 1976, S. 67

In der Professur der Alten Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wird seit 2016 systematisch versucht, untergegangenes Wissen durch historisch fundierte Rekonstruktion und methodisch konsequente Leistungsprüfung wiederzugewinnen. Angesichts der Tatsache, dass aus der griechisch- römischen Antike gerne 90 Prozent aller Überlieferung – sowohl literarisch als auch materiell – verloren ist, ist diese Vorgehensweise sowie ihre Publikation in ihrer Konsequenz wegweisend: Aufbauend auf diesen Ergebnissen können weitere Initiativen unsere Erkenntnisse über Transport, Militär und Lebensführung vertiefen.

Mit einigen Initiativen sind Rekonstruktionen und Leistungstests bis zum Jahr 2020 schon veröffentlicht worden, etwa auf dem Gebiet der römischen Seefahrt: so der Bau der »Fridericiana Alexandrina Navis« F. A. N. nach den Funden von Oberstimm und der »Danuvina Alacris« nach dem Vorbild von Wracks, die man in Mainz ausgegraben hat (dazu AiD 4 / 2018, S. 64). Andere Initiativen galten der antiken Malerei auf vergänglichem Material und der römischen Artillerie. Seither sind die Tests vorangeschritten, besonders erfolgreich auf dem Gebiet der Artillerie. Beigetragen haben erfahrene Sportschützen, Militärwissenschaftler und Historiker, um unser Verständnis für römische Militärgeschichte auszubauen. Zum Arsenal gehört ein spätrepublikanisch- frühkaiserzeitliches Torsions-Bolzen-Geschütz, ein Scorpio, der nach den unvergänglichen Resten eines Fundes im spanischen Ampurias nachgebaut wurde. Der Nachbau erfolgte 2017 / 2018. Das 60 kg schwere Geschütz wird als »Fridericiana Alexandrina Spina« (FAS I) bezeichnet. Die Rekonstruktion stützt sich auf eine Beschreibung bei Vitruv, eines römischen Architekten zur Zeit Caesars (Vit. de architectura X 10,1).

Am 13. Oktober 2023 wurden Nachbauten der römischen Geschütze am Altmühlsee ausgiebig getestet.
Am 13. Oktober 2023 wurden Nachbauten der römischen Geschütze am Altmühlsee ausgiebig getestet. A. Werner

Geschütze montiert auf Karren

Der Scorpio gehörte zur Standardausrüstung der Armee und konnte sowohl auf Befestigungen und als auch im Feld – etwa auf Karren (carroballista) – eingesetzt werden. Er ist uns aus zahlreichen Illustrationen und Hollywoodfilmen bekannt, so etwa aus Ridley Scotts Gladiator aus dem Jahr 2000. Jede Legion hatte nach Vegetius (II 25) 55 dieser Geschütze. Der Nachbau eines weiteren Torsionsgeschütz vom Typ Orșova nach einem Fundort in Rumänien wird als FAS II bezeichnet. Das 80 kg schwere Geschütz war später in Nutzung: Archäologische Nachweise beginnen im 2. Jh. n. Chr., zudem stammen Darstellungen auf der berühmten Trajanssäule aus dieser Zeit. Die Funde reichen bis in das 4. Jh. Auch dieses Geschütz hat man nicht nur auf Befestigungen eingesetzt, sondern auch im Feld, etwa auf dem erst 1990 entdeckten Schlachtfeld am Harzhorn bei Göttingen aus dem Jahr 235 n. Chr.

Die Römer sind nicht die Erfinder dieser Torsionsgeschütze, die sowohl Bolzen als auch Steine mit einem Gewicht von bis zu 90 kg über erhebliche Distanzen und mit großer Treffsicherheit abschießen konnten. Die Entwicklung begann Anfang des 4. Jh. v. Chr. und erreichte, auch damals schon mittels wissenschaftlicher Forschung optimiert, einen Höhepunkt in hellenistischer Zeit von 330 bis 30 v. Chr. Der römische Beitrag war die Bereitstellung dieser Geschütze in großer Zahl auf hohem technischem Niveau mit einer bisher unerreichten Einsatzsicherheit. Genau dies gilt es zu testen: Frequenz, Treffsicherheit und Reichweite. Das gilt nicht nur für den Scorpio, sondern auch den Onager: eine spätantike Steinschleuder, von der keinerlei materielle Funde erhalten sind, aber über die Ammianus Marcellinus genau berichtet. Sowohl Onager (Wolfgang Wilsch, 2023 / 2024) als auch FAS II (Alexander Hauenstein, 2021 / 2022) wurden im Rahmen von Masterarbeiten nachgebaut und erstmalig im Herbst 2023 getestet.

Onager – spätantike Steinschleuder, rekonstruiert nach Angaben des spätantiken Historikers Ammianus Marcellinus und im Herbst 2023 getestet.
Onager – spätantike Steinschleuder, rekonstruiert nach Angaben des spätantiken Historikers Ammianus Marcellinus und im Herbst 2023 getestet. A. Werner

Alle fünf Sekunden ein Schuss

Torsionsgeschütze der Typen FAS I und II lassen sich mit Übung in etwa zehn Minuten einsatzfertig machen. Die Torsionsbündel bestehen aus Einzelschlaufen – so können sie leichter ersetzt werden. In den Tests wurden bei der FAS I mit einer Buchsenhöhe von 55 cm 7 × 10 mm (also insgesamt 14) Hanfschlaufen für beide Spannbuchsen eingesetzt, im Falle der FAS II 10 × 8 mm (also insgesamt 20) Schlaufen bei einer Buchsenhöhe von 50 cm. Historische Alternativen zum Hanf waren Pferdehaare oder Tiersehnen. Tatsächlich kommen Tiersehnen beim Abzug zum Einsatz: Die Zugkraft auf die selbstgefertig ten Sehnen von 18 ineinander gedrehten Einzelfäden ist direkt abhängig vom Gewicht des Torsionsmaterials. Das Gewicht der Hanfseile war in beiden Fällen fast gleich (210 g / 225 g). Die FAS I schießt wegen des kürzeren Auszugs mit drei Personen als Geschützmannschaft schneller als die FAS II. Die sichere (!) Frequenz mit geübter Mannschaft beträgt zwölf Schuss pro Minute bei der FAS I und bei dem Innenschwinger FAS II neun Schuss pro Minute, ohne dass darunter bei Voreinstellung die Treffsicherheit leidet. Die durchschnittliche Austrittsgeschwindigkeit der 125 g bis 140 g schweren und 38 cm langen Bolzen mit Eisenspitze beträgt bei der FAS I 55 m pro Sekunde, bei der FAS II sogar 77 m pro Sekunde bei vollem Auszug und in letzterem Fall 170 kg Zuggewicht.

Bootsbau nimmt bei den Experimenten der FAU einen großen Raum ein: im Vordergrund die Danuvina Alacris nach spätantiken Vorbildern, im Hintergrund die F. A. N., Nachbau eines Bootes aus Oberstimm aus der Zeit um 100 n. Chr.
Bootsbau nimmt bei den Experimenten der FAU einen großen Raum ein: im Vordergrund die Danuvina Alacris nach spätantiken Vorbildern, im Hintergrund die F. A. N., Nachbau eines Bootes aus Oberstimm aus der Zeit um 100 n. Chr. A. Werner

Das bessere Sichtfeld der FAS II ermöglicht sichere Treffer bei 50 m Entfernung, wobei immer ins schwarze Feld getroffen wurde und die Durchschlagskraft mit Sicherheit tödlich wirkte. Die FAS I steht nicht weit zurück. Bei der FAS II betrug mit elf Schlaufen, allerdings nicht bei vollem Durchzug, um das Material zu schonen, die höchste Austrittsgeschwindigkeit 77 m pro Sekunde, also 277,2 Stundenkilometer, mit einer Reichweite von etwa 600 m. Das entspricht einer Energie von 444 Joule, wie bei einer modernen Pistole vom Kaliber 9 mm. Die rekonstruierten Bolzen erzeugen wegen des höheren Gewichts größeren Schaden (Querschnittsbelastung): Unsere FAS II konnte mit einem Dummy-Bolzen ohne Eisenspitze eine Styrodorwand von 60 cm Dicke bis 40 cm durchdringen. Auch mit dem Onager erfolgten ab dem Herbst 2023 Tests mit guten Ergebnissen, nachdem der Wurfarm verstärkt und die Anzahl des Torsionsmaterials von ursprünglich 15 auf schließlich 24 Hanfschlaufen (48 Seile) erhöht wurde.

Ammianus Marcellinus gibt uns anlässlich des Ostfeldzuges seines Idols Julian Apostata (23,4,4 – 9) über das Aussehen der Waffe Auskunft. E. Schramm, Artillerieoffizier des deutschen Kaiserreichs, baute Anfang des 20. Jh. einen Onager nach, der nicht mehr erhalten ist. Theoretisch hat sich Altertumswissenschaftler Eric William Marsden dem Bau solcher Onager mit kleineren Modellen gewidmet. Unsere Baupläne basierten auf dem Bericht des Ammianus Marcellinus, der aber nicht immer eindeutig ist und nie eine Bauanleitung geben wollte. Alternative Konstruktionen müssen geprüft werden. Der Onager war weniger eine Waffe der klassischen Feldschlacht, sondern viel eher für Belagerungen geeignet, sobald eine Stadt gestürmt werden musste oder die Verteidiger die Belagerungsmaschinen der Angreifer zerstören wollten. Bei den früheren Steinschleudern wurde die Kraft aus zwei vertikalen Torsionsbündeln geliefert, aber die Beschleunigung durch Torsion in der Horizontalen, mit der auch größere Steingeschosse befördert werden konnten, war von Anfang an bekannt. Der Höhepunkt der Verwendung des Onagers dürfte jedoch im 4. Jh. n. Chr. gewesen sein, als Ammianus Marcellinus und Vegetius über diese Geschütze berichteten.

Geschützbolzen nach dem Vorbild von Funden aus Dura Europos in Syrien mit drei Holzfinnen, bis zu etwa 38 cm lang.
Geschützbolzen nach dem Vorbild von Funden aus Dura Europos in Syrien mit drei Holzfinnen, bis zu etwa 38 cm lang. A. Hauenstein

Es gibt viele Belege für die Vorteile, die die Römer durch Technologie und Effizienz hatten. Wir stellen aber fest, dass sich im Laufe der Zeit die Rolle der römischen Armee und dann auch der Einsatz und die Rolle der Artillerie veränderten. Nicht umsonst wurden die leichtesten Maschinen wie die Scorpiones bevorzugt eingesetzt, als die römische Armee am mobilsten war. Mit dem Ausbau gerade der Verteidigungsfähigkeiten scheinen sich auch die eingesetzten Artilleriegeschütze hinsichtlich ihres Gewichts verändert zu haben, nicht ohne eine gewisse Ambivalenz. Dies zeigt sich bereits im 2. Jh., beispielsweise auf der Trajanssäule, als die Torsionsmaschine, die durch Überreste aus Orșova für das 4. Jh. belegten belegt sind, bereits im Einsatz war. Nach dem Bildprogramm der Trajanssäule wurde diese Torsionsmaschine in den Dakerkriegen 101 / 102 und 105 / 106 nämlich sowohl auf Feldzügen offensiv – transportabel auf Karren montiert – mitgeführt als auch zur Stärkung der Defensive in Befestigungen und Belagerungswerken aufgestellt.

Das Orșova-Geschütz wurde aber auch später, bei Northeim, mobil eingesetzt, im Scharmützel von 235, als die Römer angreifende Germanen abwehren konnten. Zu dieser Zeit verfügte das römische Heer vielleicht nicht mehr aufs Ganze gesehen über die Beweglichkeit und Schlagkraft der augusteischen Zeit, hatte aber auch andere als nur defensive Aufgaben zu erfüllen: Gleichwohl war die Möglichkeit einer großräumigen Eroberung des rechtsrheinischen Germanien vielleicht gar bis zum Ozean weder ad acta gelegt worden noch fehlte es an spezialisierter Technik und trainierten Truppen, so etwas durchzuführen, wie etwa die Feldzüge unter Mark Aurel bis 180 n. Chr. von Carnuntum oder unter Maximinus Thrax 235 n. Chr. von Mainz aus (in letzterem Fall sowohl literarisch als auch am Harzhorn archäologisch belegt) demonstrieren. Aber auch der Onager wurde auf Herz und Nieren geprüft: Wir verwendeten dafür drei Kategorien von Geschossen aus Granit: mit 20 cm Durchmesser und 10,6 kg Gewicht, 15 cm Durchmesser mit 4,3 kg und 10 cm Durchmesser mit ca. 1,6 kg. Die konstante Spannung wurde durch 24 × 20 mm Hanfseilschlaufen (48 Seile, 720 kg Zuggewicht) erzeugt.

Trajanssäule, Szene 46: Im Zentrum des Bildes bedienen zwei Soldaten eine Geschütz, zwei weitere Geschütze sind auf der Mauer links oben erkennbar.
Trajanssäule, Szene 46: Im Zentrum des Bildes bedienen zwei Soldaten eine Geschütz, zwei weitere Geschütze sind auf der Mauer links oben erkennbar. www.trajans-column.org

Onager – für die Mannschaft nicht ungefährlich

Schramm behauptet, etwa 600 m mit seinem nicht mehr erhaltenen Katapult geschafft zu haben. Ammianus Marcellinus berichtet, dass eine Feldbesatzung von neun Soldaten nötig war, um einen solchen Onager zu bedienen. Bei unserem ersten Test mit unserem Onager von 500 kg Gewicht und 1,5 m Breite erreichten wir Mitte Oktober 2023 noch mit 15 Spannseilen Kräfte von 400 Kilopond oder 4000 Newton. Mit dem Einsatz von vier Personen auf jeder Seite kamen wir auf 100 m mit dem kleinen Geschoss. Wir mussten in dem Moment aufhören, als klar wurde, dass der Spannhebel nicht stabil genug war.

Für die neuen Tests Mitte November wurden vier zusätzliche Schleifen hinzugefügt, also jetzt 19 × 20 mm dicke Schleifen – denn wir stellten fest, dass das Gesamtgewicht der Torsionsschleifen einen direkten Einfluss auf das Beschleunigungspotenzial hat. 15 Torsionsschleifen, die bis zum ersten Versuchstag im Einsatz waren, wogen 8,5 kg (eine Schleife wiegt 0,579 kg). Die vier zusätzlichen Torsionsschleifen wiegen 2,5 kg. Daraus ergibt sich ein Gesamtgewicht von 11 kg. Mit dieser Ausrüstung begannen wir im Novem- ber neue Versuche mit einer Vorspannung von fast zwei Windungen der 19 Hanfseilschlaufen. Am Ende lag die Spannkraft zwischen 570 und 650 kg, wir schossen also mit etwa 5700 bis 6500 Newton. Mit dem 1,6 kg schweren Granitgeschoss erreichten wir Reichweiten von 130 m. Aber die Maschinen sind gefährlich für die Besatzung und materialintensiv im Einsatz. Nach nur sechs Versuchen brach der Wurfarm und die Ösen der Lederschlinge rissen. Der Versuch musste für diesen Tag beendet werden.

Das Artilleriearsenal in der Werkstatt: im Vordergrund links Torsionsgeschütz Typ Orșova, rechts frühkaiserzeitlicher Scorpio, im Hintergrund Onager, davor Wolfgang Wilsch und Christof Schindler mit einer Arcuballista.
Das Artilleriearsenal in der Werkstatt: im Vordergrund links Torsionsgeschütz Typ Orșova, rechts frühkaiserzeitlicher Scorpio, im Hintergrund Onager, davor Wolfgang Wilsch und Christof Schindler mit einer Arcuballista. B. Dreyer

Anfang 2024 konnten wir die Anzahl der Schlaufen noch einmal erweitern, auf 24 (15 kg), das Zuggewicht stieg auf 720 kg. Die erreichten Weiten übertrafen die Erwartungen, 300 m mit einer Kugel von 1,6 kg Gewicht. Die Zuverlässigkeit auch dieser bereits beeindruckenden Leistungen muss allerdings noch erhöht werden. Dazu sind noch weitere Tests nötig. Aber schon die bisherigen Tests zeigen uns, dass die römische Armee ein breites Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten auf militärische Herausforderungen hatte, und das bei einem hohen, reproduzierbaren Effizienzniveau. Die Organisation und Disziplin der Einheiten sowie die zuverlässige Versorgung und reproduzierbare Spezialisierung trugen wesentlich zur römischen Überlegenheit bei. Demnächst wird eine Arcuballista (Armbrust) unser Arsenal verstärken.

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