Vom Kastell zum Bischofssitz: Konstanz

Konstanz am Bodensee ist mit über 1,1 Millionen Übernachtungen im Jahr ein Tourismusmagnet. Von der Flachwasserzone der Konstanzer Bucht bis zur spätmittelalterlichen Altstadt lassen sich Spuren aus mehr als fünf Jahrtausenden nachweisen. Ab spätkeltischer Zeit darf man mit einer kontinuierlichen Besiedlung rechnen.

Von der Seeseite dürfte das Kastell auf dem Münsterhügel einen ähnlich imposanten und beherrschenden Eindruck hinterlassen haben wie die zeitgleiche Anlage vom Lindenhof in Zürich.
Von der Seeseite dürfte das Kastell auf dem Münsterhügel einen ähnlich imposanten und beherrschenden Eindruck hinterlassen haben wie die zeitgleiche Anlage vom Lindenhof in Zürich.© Stadtarch. Zürich/archaeolab, M. Bernasconi

Der am Südufer des Bodensees, im Mündungsbereich des Obersees in den Seerhein gelegene Münsterhügel wird von einer Endmoränenzunge gebildet, die den Seespiegel um 5 bis 7 m überragt und damit besonders siedlungsgünstig ist. Zugleich war diese hochwasserfreie, auf zwei Seiten von Wasser umgebene Erhebung einst im Westen von einem ausgedehnten Sumpfgebiet begrenzt, was die Stelle strategisch schützte und zu einer wichtigen, gut kontrollierbaren Übergangs- und Durchgangssituation machte.

Konstanz aus der Luft: 1 Münster- und Münsterhügel, 2 Konstanzer Bucht, 3 Seerhein, 4 St. Stephan, 5 Schnetztor.
Konstanz aus der Luft: 1 Münster- und Münsterhügel, 2 Konstanzer Bucht, 3 Seerhein, 4 St. Stephan, 5 Schnetztor. MTK/A. Mende

Honoratioren der Forschung: Leiner, Bersu, Beck

Stadtgeschichtsforschung und -archäologie waren in Konstanz seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. aufs Engste verbunden, weshalb hier schon sehr früh verschiedenste Grabungen stattfanden, die sich insbesondere auf den Münsterhügel konzentrierten. Der Pionier dieser Forschungen, Ludwig Leiner, gründete das Rosgartenmuseum, wo heute rund 20 000 Einzelfunde aus Oberflächenabsammlungen, aber auch in erheblichem Umfang aus tiefreichenden Bodeneingriffen archiviert sind. Bedauerlich, dass dieser umfangreiche Querschnitt dabei in den wenigsten Fällen Befunden oder Straten zugeordnet werden kann. Gerade im 19. Jh. wurde zudem das Fundmaterial offenkundig selektiv gesammelt, was eine auffällige »Fundleere« zwischen der Spätantike und dem beginnenden Spätmittelalter erklären könnte. Leiners Schüler Konrad Beyerle übernahm dessen Tätigkeit zur Jahrhundertwende, und von den 1920er- Jahren bis zu seinem Tod 1968 arbeitete Alfons Beck, hauptberuflich Lehrer, als Ehrenamtlicher beauftragt durch das damalige Denkmalamt, an der Erforschung der Geschichte der Stadt Konstanz. Gerhard Bersu, langjähriger Direktor der Römisch-Germanischen Kommission, initiierte 1957 eine Sondage auf dem Münsterhügel, um der Frage nach dem spätrömischen Kastell nachzugehen. Der unermüdlichen Tätigkeit zahlreicher Akteure seit Leiner hat die Stadt Konstanz – neben der historischen Bedeutung – es zu verdanken, dass hier bereits in den frühen 1980er-Jahren vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg das »Schwerpunktprogramm Konstanz« eingerichtet wurde.

Grabungen in der zivilen Siedlung (vicus) beim Konstanzer Kastell: ein ursprünglich holzverschalter Brunnen.
Grabungen in der zivilen Siedlung (vicus) beim Konstanzer Kastell: ein ursprünglich holzverschalter Brunnen. RPS-LAD

Keltischer Ursprung – von den Römern einplaniert?

Eine Besiedelung des Endmoränenrückens fand erst in der Spätlatènezeit im 2. und 1. Jh. v. Chr. statt. Die wenigen Pfosten- und Siedlungsgruben erbrachten ein aussagekräftiges, in Teilen hochwertiges Fundspektrum, darunter mediterrane Amphoren, qualitativ sehr hochwertige, scheibengedrehte Keramik mit Bemalung, oder aber eine gallo-italische Silberdrachme nach massilischem Vorbild. Bauliche Besonderheit bildet der an verschiedenen Stellen des Pfalzgartens und Münsterplatzes erfasste Sohlgraben mit einer rekonstruierten Breite von 7 m sowie dahinter gelegener Holz-Erde-Mauer. Eine Einschätzung der Siedlungsdichte und -struktur scheint aufgrund der kleinflächigen Untersuchungsareale im Altstadtgebiet zum momentanen Zeitpunkt noch nicht möglich. Die strategischverkehrsgünstige Lage, Importe aus dem mediterranen Raum, hochwertige Drehscheibenware sowie die teilweise befestigten Bereiche des Münsterhügels deuten jedoch darauf hin, dass es sich kaum um eine einfache ländliche Siedlung gehandelt haben dürfte. Vielmehr lässt sich die Besiedlung, mit einer Größe von wohl 3 ha, mit kleinen befestigten Anlagen wie dem Basler Münsterhügel vergleichen – der Platz hatte vielleicht sogar ähnliche zentralörtliche Funktionen wie ein Oppidum.

An den Beginn der römischen Besiedlung zu stellen ist eine erste Planierung des Münsterhügels und wohl damit einhergehend die Zerstörung der keltischen Siedlung. Spuren davon sind die Bündel parallel verlaufender kleiner Rillen, die vermutlich von einer Egge stammen, mit welcher der Abbruchschutt eingeebnet wurde. Diese vorbereitenden Erdarbeiten stehen dabei sicherlich in Zusammenhang mit der Gründung eines römischen Kastells, möglicherweise der frühen Okkupationsphase des Alpenvorlandes, an dieser strategisch wichtigen Stelle sowie der unmittelbar anschließenden Entstehung einer zugehörigen zivilen Siedlung. Ersterem zuzuordnen ist ein meist nur ausschnitthaft erfasster Spitzgraben mit einer Breite von 6 m sowie das im Zuge der Ausgrabungen auf dem Münsterplatz im Jahr 2003 entdeckte Nordtor eines frühen römischen Erdlagers. In Teilen nebulös erscheint hingegen die Entwicklung der beiden Anlagen im weiteren Verlauf des 2. und 3. Jh.

Aus der wohl spätesten Nutzungsphase des spätrömischen Kastells: propellerförmiger Riemenbeschlag des Typs »Trier-Muri«.
Aus der wohl spätesten Nutzungsphase des spätrömischen Kastells: propellerförmiger Riemenbeschlag des Typs »Trier-Muri«. ALM/M. Schreiner, V. Babucke, R. Dürr

Das Kastell – lange gesucht, endlich gefunden

Ebenfalls lange unklar war die Existenz einer bereits 1882 von Leiner, später von Bersu vermuteten spätrömischen Befestigung auf dem Münsterplatz. Es kann daher als Sternstunde der Konstanzer Stadtarchäologie bezeichnet werden, dass in den Jahren 2003 / 2004 bei archäologischen Untersuchungen des Landesamtes für Denkmalpflege ein 27 m langer Abschnitt der Wehrmauer sowie ein aus der Mauerflucht vorspringender Wehrturm mit achteckigem Grundriss freigelegt werden konnte.

Da der ergrabene Ausschnitt, wie oft im Rahmen vergleichbarer Stadtkerngrabungen, nur verhältnismäßig klein war, sind über Form und Größe des spätrömischen Kastells nur wenige verbindliche Aussagen möglich. Ein Blick auf andere Anlagen des Limes an Donau, Iller und Rhein zeigt zudem ein vielfältiges Erscheinungsbild. In ihrer Grundform können diese etwa streng rechteckig oder D-förmig sein bzw. besitzen eine unregelmäßige, an die Topografie angepasste Form. Die Größe der umwehrten Fläche beträgt bei benachbarten Anlagen zwischen 0,8 und 1,6 ha.

Ausgrabungen auf dem Münsterplatz: oktogonaler Wachturm und Abschnitt der Wehrmauer des spät antiken Kastells.
Ausgrabungen auf dem Münsterplatz: oktogonaler Wachturm und Abschnitt der Wehrmauer des spät antiken Kastells. RPS-LAD

Zeitlich lässt sich die Errichtung des Kastells in einer von Unruhen und Umwälzungen geprägten Phase in der zweiten Hälfte bzw. im ausgehenden 3. Jh. verorten, deren vorübergehendes Ende die Einrichtung und militärische Sicherung einer neu geschaffenen Grenze entlang der Flüsse Donau, Rhein und Iller markiert. Aufgrund seiner Lage kam dem Kastell auf dem Münsterhügel dabei besondere Bedeutung zu. Es bildete mit dem am westlichen Ufer des Bodensees gelegenen Kastell Bregenz eine funktionale Einheit und kann als Stützpunkt der Bodenseeflotte gesehen werden, die in der 394 / 395 n. Chr. zusammengestellten Notitia dignitatum Erwähnung findet.

Leben und Sterben im 4. Jh.

Das spätrömische Fundmaterial der Konstanzer Altstadt entspricht in weiten Teilen dem vergleichbarer Kastellplätze. Neben der lokal gefertigten Gebrauchskeramik umfasst dieses grün glasierte Reibschüsseln, Terra sigillata aus Rheinzabern und den nordfranzösischen Argonnen, aber auch von weit entfernten Produk tionszentren in Nordafrika. Ergänzt wird das Gefäßspektrum durch Kochgefäße aus Lavez, die man aus dem alpinen Raum importierte.

Während die zivile Bevölkerung in dieser Phase hinter den schützenden Kastellmauern lebte, lässt sich südlich davon, auf dem Scheitel der langgestreckten Endmoräne, ein lückenhaft überliefertes Gräberfeld nachweisen. Die 27 mehrheitlich zwischen 1872 und 1956 entdeckten Körpergräber lassen eine Ausdehnung zwischen dem Schnetztor im Süden und St. Stephan im Norden vermuten. Die Verstorbenen waren mehrheitlich in ostwestlicher bzw. westöstlicher Richtung bestattet, eine Besonderheit bilden mehrere Gräber mit Dächern aus giebelförmig aufgestellten Ziegelplatten. Unter den Beigaben sei neben einer, zur Militär- und Beamtentracht zu zählenden Zwiebelknopffibel auf einen Becher mit Barbotineverzierung und Inschrift verwiesen.

Terra-sigillata-Becher aus einem spätrömischen Körpergrab mit der Inschrift »Misce Copo (=Caupo)! Mische Wirt!«.
Terra-sigillata-Becher aus einem spätrömischen Körpergrab mit der Inschrift »Misce Copo (=Caupo)! Mische Wirt!«. ALM/M. Schreiner

Unklar erscheint bisher, wie lange das Kastell auf dem Münsterhügel in Konstanz in seiner Funktion als Grenzposten bzw. militärische Anlage bestand. Einer vermeintlich letzten Nutzungsphase lassen sich verschiedentlich Kleinfunde zuordnen, darunter Terra sigillata des ausgehenden 4. und der ersten Hälfte des 5. Jh. oder Münzen der Kaiser Valentinianus II (378 – 383), Arcadius (383 – 408) und Theodosius I. (379 – 395) sowie eine vermeintliche Münze des Usurpators Johannes (423 – 425). Auf eine späte militärische Präsenz noch in dieser Phase deutet darüber hinaus der zu einem Militärgürtel gehörende propellerförmige Riemenbeschlag hin.

Wenngleich eindeutige Siedlungsspuren bisher zu fehlen scheinen, darf eine weitergehende Nutzung des Kastellareals, auch nach einem vermeintlichen Abzug der römischen Truppen und Administration angenommen werden. Auch wenn eine funktionale Kontinuität nicht angenommen werden kann, so dürfen wir von einer Siedlungskontinuität ausgehen.

»Dark Ages« am Bodensee

Besonders spannend erscheint die Frage nach der Art der Bevölkerung: Welche Leute blieben? Welche kamen neu hinzu? Gräber des 5. bis 6. Jh. konnten bis jetzt nicht identifiziert werden. Allerdings kann dies in der Tatsache begründet sein, dass Konstanz unter dem Einfluss der seit der Spätantike in der heutigen Schweiz lebenden Christengemeinden stand und die Bewohner in dieser Zeit ohne Beigaben bestattet wurden, was die archäologische Datierung erschwert.

Ab dem 7. Jh. gibt es einige wenige Indizien für Beigaben führende Gräber. Frühmittelalterliche Siedlungsbefunde sind rar – allerdings wurden hochwertige Metallobjekte gefunden, die vermutlich in die Zeit der Karolinger datieren. Hier wiegt die Tatsache besonders schwer, dass die Keramik aus den modernen Stadtkerngrabungen noch nicht hinreichend bearbeitet ist. Das Siedlungsareal muss sich allerdings immer noch auf Scheitel und Gipfelplateau der Endmoräne beschränkt haben. Die heutigen Uferrandbereiche, die um 4 bis 5 m tiefer liegen als der Münsterhügel, sind laut archäologischer und schriftlicher Quellen einer erst im endenden Hochmittelalter begonnenen Landgewinnungsmaßnahme geschuldet.

1872 von Ludwig Leiner beim Bau der Wasserleitung freigelegte Bestattung des 4. Jh. Heute im Rosgartenmuseum ausgestellt. Der Glasbecher zwischen den Oberschenkeln lag ursprünglich in der linken Armbeuge.
1872 von Ludwig Leiner beim Bau der Wasserleitung freigelegte Bestattung des 4. Jh. Heute im Rosgartenmuseum ausgestellt. Der Glasbecher zwischen den Oberschenkeln lag ursprünglich in der linken Armbeuge. ALM/M. Schreiner

Der Bischofssitz in Konstanz ist für das beginnende 7. Jh. durch die historische Überlieferung belegt. Die ältesten erhaltenen Teile des zugehörigen Münsters, die Krypta und deren Zugangsstollen, datieren spätestens in das 9. Jh. Aus einer Bauphase des 10. Jh. wurden bemalte Putzfragmente geborgen. Mindestens seit dem ausgehenden 8. Jh. wurde auf dem Münsterplatz bestattet, wie neue Radiokarbondaten zeigen. Ein zeitgleicher, zugehöriger Kirchenbau kann daher vermutet werden. Überliefert und schon seit dem 19. Jh. wiederholt archäologisch erforscht sind aber auch vermeintliche Reste einer frühmittelalterlichen Bischofspfalz südlich des Münsters.

Besonders wichtig zur Klärung der frühmittelalterlichen Siedlungstopografie ist – wie in allen Besiedlungsphasen – die Rekonstruktion des Verlaufs der ehemaligen Befestigung. In Analogie zu anderen spätantiken Kastellorten, etwa auf dem Lindenhof in Zürich, kann davon ausgegangen werden, dass zumindest Teile der Kastellmauern als Befestigung des Bischofssitzes dienten. Nach den Hypothesen der frühen Stadtgeschichtsforschung wird die Ummauerung der sogenannten Niederburg, die bischöfliche Hörigensiedlung, auf Bischof Salomon III (890 – 919) zurückgeführt. Ein Teil der postulierten ottonischen Mauer im Bereich der Gerichtsgasse ist allerdings genau in der Flucht des spätrömischen Kastells erhalten gewesen und weist alten Fotos nach zu urteilen möglicherweise auch spätantike Mauertechnik auf. Beispiele wie diese bedürfen zwingend einer Überprüfung anhand moderner bauarchäologischer Forschungen.

Die Bedeutung des Bischofssitzes zeigt sich in der frühen Kaufmannssiedlung mit ihren aufwendig dem See abgerungenen Anlegestellen, die historisch spätestens 998 belegt ist, jedoch wohl auf ein älteres Marktrecht zurückgeht.

Riemenzunge und Scheibenfibel mit Verzierungen im Stil des Tassilokelches.
Riemenzunge und Scheibenfibel mit Verzierungen im Stil des Tassilokelches. ALM/M. Schreiner

100 Jahre Forschung

Wenngleich der kurze Überblick einer über 100 Jahre währenden Forschungstradition in Konstanz eine vermeintlich lückenlose Entwicklung suggerieren könnte, handelt es sich bei den bisherigen Ergebnissen um schlaglichtartige Einblicke. Um genau zu eruieren, welche hiervon im Lauf der Zeit zu einem nur scheinbar plausiblen Bild verdichtet wurden und welche bestätigt werden können, bedarf es der Auswertung alter Grabungen und neuer multidisziplinarer Ansätze. Insbesondere die Ausgrabungen und Baubegleitungen der letzten 20 Jahre stehen derzeit im Fokus und lassen gezielte Fragestellungen zu.

Um mit der Initiatorin der modernen Stadtkernarchäologie in Konstanz, Judith Oexle, zu sprechen: Es gilt endlich aufzulösen, was im Laufe der langen Forschungstradition durch »Befunde, Deutungen, Vermutungen und reine Hypothesen zur Siedlungsgeschichte von Konstanz zu einem fast unentwirrbaren Knäuel verschlungen« wurde.

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