Forscher um Professor Dr. Yaping Shao vom Institut für Geophysik und Meteorologie haben ein dynamisches Modell entwickelt, um den Übergang von Neandertalern zu modernen Menschen auf der Iberischen Halbinsel nachzuvollziehen. Zwischen etwa 50.000 und 38.000 Jahren vor heute trafen in Europa beide Gruppen aufeinander.
Das Modell bildet erstmals die komplexen Wechselwirkungen zwischen Klima, Bevölkerungsentwicklung und möglichen Begegnungen der beiden Menschengruppen nach. Es berücksichtigt Temperaturverläufe, Wanderbewegungen, Siedlungsgebiete und Populationsgrößen. Im Gegensatz zu klassischen archäologischen oder genetischen Analysen lassen sich damit verschiedene Szenarien dynamisch durchspielen.
„Durch die Verknüpfung von Klima, Demografie und Kultur bietet unser dynamisches Modell einen breiteren Erklärungsrahmen, mit dessen Hilfe archäologische und genomische Daten besser interpretierbar sind,“ sagt Professor Weniger vom Institut für Ur- und Frühgeschichte.
Simulationen zeigen: Begegnungen waren selten, aber möglich
In wiederholten Durchläufen testeten die Forscher unterschiedliche Bedingungen – von frühem Aussterben der Neandertaler bis hin zu längeren Überlappungsphasen. In den meisten Fällen kam es laut Modell nicht zu direkten Kontakten zwischen beiden Gruppen. Nur wenn Neandertalpopulationen lange genug stabil blieben, konnte es zu einer Vermischung kommen.
Die Simulationen legen nahe, dass solche Begegnungen mit genetischem Austausch – also einer Vermischung beider Spezies – am ehesten im Nordwesten der Iberischen Halbinsel möglich waren. Dort könnten moderne Menschen früh genug eingetroffen sein, bevor die letzten Neandertaler verschwanden. Bei einer angenommenen Wahrscheinlichkeit von nur einem Prozent ergaben sich in den Simulationen Anteile von zwei bis sechs Prozent gemischter Gene – auffallend ähnlich zu den genetischen Spuren, die heutige Menschen in sich tragen.
Klimaschwankungen als Schlüsselfaktor
Das Verschwinden der Neandertaler war eng mit klimatischen Extremen verbunden. Während der Übergangszeit wechselten abrupte Erwärmungen (Dansgaard-Oeschger-Ereignisse) mit plötzlichen Kaltphasen (Heinrich-Ereignisse). Diese unbeständigen Umweltbedingungen setzten beiden Populationen stark zu – besonders jedoch den ohnehin kleineren Neandertalgruppen.
Nächste Schritte: Tiere, Vegetation und KI
In künftigen Projekten wollen die Wissenschaftler das Modell erweitern. Geplant ist, auch Tierpopulationen und Vegetationsdaten einzubeziehen – wichtige Faktoren für Jagd, Ernährung und Überleben. Das sogenannte „Potentialfeld“, das Lebensräume für Menschen und Tiere simuliert, soll mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen noch realistischer werden.
Das Computermodell ist Teil des interdisziplinären Forschungsprojekts HESCOR (Human & Earth System Coupled Research) der Universität zu Köln. HESCOR bringt Fachleute aus Klima-, Archäologie-, Mathematik- und Geisteswissenschaften zusammen, um zu verstehen, wie Klimaereignisse und menschliches Handeln sich gegenseitig beeinflussen – in der Vergangenheit wie heute. Gefördert wird das Projekt durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
Meldung Universität zu Köln
Originalpublikation:
Shao Y, Klein K, Wegener C, Weniger G-C (2025) Pathways at the Iberian crossroads: Dynamic modeling of the middle–upper paleolithic transition. PLoS One 20(12): e0339184. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0339184