Diese Produktionsweise deutet auf ein hochentwickeltes, hierarchisch organisiertes und überregionales Wirtschaftssystem hin. Die Forscherinnen und Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die meisten Keramikfunde aus den politischen und administrativen Zentren von El Argar – etwa aus Tira del Lienzo und Ifre in der heutigen Provinz Murcia – nicht aus der näheren Umgebung stammen. Vielmehr wurden sie aus den Küstengebirgen von Murcia, Almería und Granada importiert. Damit widerspricht die Studie der lange vertretenen Annahme, jede Gemeinschaft habe ihre Keramik ausschließlich mit lokalen Materialien hergestellt.
„Die meisten Stücke, besonders standardisierte Formen wie Becher und Krüge, bestehen aus rotem Ton, der in den Küstengebirgen der südöstlichen Halbinsel vorkommt”, erklärt David Gómez vom Geologischen Institut der UAB. Diese spezielle Tonart, die während des Pliozäns aus metamorphen Gesteinen entstand, wurde ab etwa 1900 v. Chr. für die charakteristische El Argar-Keramik genutzt, ergänzt Erstautorin Carla Garrido. Petrographische Analysen verorten die idealen Tonvorkommen an den nordwestlichen Hängen des Almenara-Gebirges bei Lorca. In dieser Region fanden die Forscher zudem mehrere kleinere Siedlungen, die offenbar auf die Produktion großer Gefäße und typischer Becher spezialisiert waren.
Das Forschungsteam untersuchte ein Gebiet von über 5.000 Quadratkilometern, analysierte die Zusammensetzung von 140 Rohmaterialdepots und verglich sie mit Keramikfunden aus vier Hauptsiedlungen: Tira del Lienzo, Ifre, Zapata und Cabezo Negro. Die Ergebnisse untermauern die Annahme einer zentral gesteuerten Wirtschaft mit überlokaler Planung, Ressourcenkontrolle und technischem Wissenstransfer.
Keramik als Spiegel sozialer Organisation
Die El Argar-Kultur, die zwischen 2200 und 1550 v. Chr. den Südosten der iberischen Halbinsel prägte, zeichnet sich durch die bemerkenswerte Einheitlichkeit ihrer Keramik aus. Über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahrhunderten wurden lediglich acht Gefäßtypen produziert – von kleinen Bechern bis zu Vorratsgefäßen mit einem Fassungsvermögen von über 250 Litern. Diese Homogenität galt bislang als Ausdruck gemeinsamer sozialer Praktiken.
Die neue Studie liefert nun Belege dafür, dass die Einheitlichkeit das Ergebnis einer bewusst gesteuerten Produktion war. „Die technologische und materielle Homogenität weist auf eine überregionale Koordination der Keramikproduktion hin“, betont Roberto Risch, Koordinator der Untersuchung. Damit spiegeln sich in den Töpfertechniken die gleichen hierarchischen Strukturen wider, die auch das politische und wirtschaftliche System von El Argar kennzeichneten.
Für die Forscher wird Keramik somit zu mehr als einem einfachen Alltagsobjekt. Sie ist ein archäologischer Schlüssel zur Rekonstruktion sozialer Kontrolle, Warenzirkulation und ideologischer Einheit innerhalb des El Argar-Staates.
Meldung Universitat Autónoma de Barcelona
Originalpublikation:
Carla Garrido-García, David Gómez-Gras, Marta Roigé, Adrià Moreno Gil, Roberto Risch. The methodological centrality of geo-archaeological surveys in ceramic provenance analysis: A re-assessment of El Argar pottery production and circulation. Journal of Archaeological Science (2025) https://doi.org/10.1016/j.jas.2025.106394