Die Insula Meridionalis, das südliche Viertel des antiken Stadtzentrums von Pompeji, welches sich zwischen der Kaiservilla im Westen und dem Quadriportico dei Teatro im Osten erstreckt, wird derzeit im Rahmen eines umfassenden Sicherungs-, Konsolidierungs- und Restaurierungsprojekts saniert. Da das Viertel vom „Großen Pompeji-Projekt“ (2012–2023) nur teilweise erfasst wurde, weist es eine Reihe konservatorischer und struktureller Probleme auf, die durch die Maßnahme behoben werden sollen. Gleichzeitig umfasst das Projekt stratigraphische Untersuchungen an verschiedenen Punkten. Dabei konnten zahlreiche Daten zur Wiederbesiedlung Pompejis nach 79 n. Chr. erhoben werden. Von dieser Wiederbesiedlung gab es zwar schon seit einiger Zeit Nachrichten, doch wurden ihre Spuren in vielen Fällen buchstäblich verwischt, um das Niveau von 79 n. Chr. zu erreichen.
Im Jahr 79 n. Chr. hatte Pompeji schätzungsweise mindestens 20.000 Einwohner. Der Prozentsatz derer, die bei dem Ausbruch ihr Leben verloren, ist jedoch noch immer umstritten. Seit Beginn der Ausgrabungen im Jahr 1748 wurden rund 1.300 Opfer gefunden. Da bisher nur zwei Drittel der antiken Stadt ausgegraben wurden, erscheint die Zahl mit etwa 10 % relativ niedrig. Viele andere verloren jedoch möglicherweise außerhalb des Stadtzentrums ihr Leben, als sie versuchten, dem Epizentrum der Katastrophe zu entkommen. Es gab sicherlich auch Überlebende, wie Inschriften mit pompejanischen Namen aus anderen Städten Kampaniens nahelegen. Doch offensichtlich hatte nicht jeder die Mittel, um anderswo ein neues Leben zu beginnen.
Dies könnte erklären, warum einige Einwohner in die zerstörte Stadt zurückkehrten, in der noch immer die oberen Stockwerke der Gebäude zu erkennen waren.
Zu den Ureinwohnern gesellten sich möglicherweise Neuankömmlinge, die nichts zu verlieren hatten. Anfangs lebten sie in einer Art Aschewüste, doch schon bald ergrünte die Landschaft wieder. Pompeji war nicht nur ein Wohnort, sondern bot auch die Möglichkeit, unterirdische Funde zu machen, wobei man gelegentlich auch auf die Überreste eines Opfers stoßen konnte.
Diese etwas improvisierte, wenn nicht gar anarchische Situation war womöglich der Grund, warum Kaiser Titus zwei ehemalige Konsuln als Kuratoren der „Campania restituenda” entsandte. Neben der Förderung der Neugründung von Pompeji und Herculaneum wurden sie beauftragt, sich um das Vermögen derer zu kümmern, die keine Erben hinterlassen hatten, und es den „betroffenen Städten” zu geben. Der Versuch einer Neugründung scheiterte jedoch, da der Ort nie wieder das vitale Zentrum wurde, das er vor dem Ausbruch gewesen war. Den archäologischen Daten zufolge muss es sich vielmehr um eine Siedlung gehandelt haben, in der die Menschen unter prekären Bedingungen ohne die für eine römische Stadt typische Infrastruktur und Dienstleistungen lebten. Dies hinderte diese Siedlungsform jedoch nicht daran, bis in die Spätantike, also bis ins 5. Jahrhundert n. Chr., fortzubestehen. Schließlich wurde sie, möglicherweise zeitgleich mit einem weiteren verheerenden Ausbruch (bekannt als „Pollena-Ausbruch“), endgültig aufgegeben.
„Das epochale Ereignis der Zerstörung der Stadt im Jahr 79 n. Chr. hat die Erinnerung monopolisiert“, kommentiert Gabriel Zuchtriegel, Leiter der Ausgrabungsstätte und Co-Autor des Artikels über die neuen Funde. Im Eifer, die Ebenen von 79 zu erreichen, mit ihren noch immer wunderbar erhaltenen Fresken und Einrichtungsgegenständen, wurden die schwachen Spuren der Wiederbesetzung des Ortes buchstäblich beseitigt – oft ohne jegliche Dokumentation. Dank der neuen Ausgrabungen ist das Bild nun klarer: Das Pompeji nach 79 taucht wieder auf – weniger als Stadt, sondern vielmehr als prekäre und graue Agglomeration, eine Art Lager, eine Favela, die sich inmitten der noch erkennbaren Ruinen des alten Pompeji befindet. In diesen Fällen fühlen wir Archäologen uns wie Psychologen der in der Erde vergrabenen Erinnerung. Wir bringen die aus der Geschichte entfernten Teile zum Vorschein. Dieses Phänomen sollte uns zu einer umfassenderen Reflexion über das archäologische Unbewusste führen: über alles, was unterdrückt, ausgelöscht oder im Schatten anderer, scheinbar wichtigerer Dinge verborgen bleibt.“
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