Die freigelegten Hölzer sind etwa 28 Meter lang. Experten schätzen, dass das ursprüngliche Schiff eine Gesamtlänge von etwa 35 Metern und eine Breite von ungefähr sieben Metern aufwies. Sie stützen sich dabei auf die Proportionen der Struktur. Seine Bauweise beeindruckt: Ein flacher Rumpf, ein markanter Knickspant am Bug und ein abgerundetes Heck deuten auf eine stabile, aber zugleich elegante Konstruktion hin – ideal, um auf flachen Gewässern zu gleiten. Besonderes Augenmerk weckten griechische Graffiti auf dem Kielbalken, die auf die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden. Sie legen nahe, dass die Barke in Alexandria gebaut wurde und vermutlich eine luxuriös ausgestattete Kabine besaß. Antrieb bot allein die Muskelkraft der Ruderer.
Der antike Geograph Strabon, der Alexandria zwischen 29 und 25 v. Chr. besuchte, beschrieb solche Schiffe in seinem Werk Geographia: Auf den Gewässern Alexandrias wurden sie für Feste genutzt, bei denen man unter schattigen Blättern und durch dichtes Schilf fuhr – schwimmende Räume der Unterhaltung und des Kults.
Für Goddio ist der Fund mehr als nur ein technisches Zeugnis: Er sieht in der Barke möglicherweise einen rituellen Hintergrund. Da das Wrack in unmittelbarer Nähe der Überreste des Isis-Tempels entdeckt wurde, könnte es bei dessen Zerstörung um 50 n. Chr. gesunken sein. Möglicherweise war es Teil der Navigatio Iside, einer kultischen Prozession zu Ehren der Göttin Isis. Bei dieser jährlichen Zeremonie wurde die „Sonnenbarke der Isis“ feierlich auf dem Wasserweg vom Portus Magnus bis zum Heiligtum des Osiris in Kanopus gebracht.
3D-Ansicht des Thalamegos, aufgenommen mittels Photogrammetrie während der IEASM-Ausgrabung in Portus Magnus, Alexandria, Ägypten, Ende Oktober 2025. Der Taucher wurde vor Ort am Schiffswrack dreidimensional erfasst.
© 3D-Photogrammetrie: Christoph Gerigk Franck Goddio/Hilti Foundation
Noch stehen die Untersuchungen ganz am Anfang. Doch schon jetzt verspricht der Fund einen tiefen Einblick in das Leben, den Luxus und die religiösen Traditionen im frühen römischen Ägypten. Hinweise auf die damalige Pracht liefern auch zeitgenössische Darstellungen: Auf dem berühmten Nilmosaik von Palestrina ist in einer Ecke ein kleines Thalamegos abgebildet – mit festlich gekleideten Adligen, die auf dem Nil ein Nilpferd jagen.
Die berühmtesten dieser Vergnügungsschiffe waren die gewaltigen, palastähnlichen Thalamegoi der Ptolemäer, darunter das prachtvolle Schiff Kleopatras VII., mit dem sie im Jahr 47 v. Chr. Julius Caesar die Wunder Ägyptens zeigte. Der neue Fund aus Alexandria könnte nun helfen, diese Welt zwischen Ritual, Macht und Vergnügen ein Stück weit wieder sichtbar zu machen.
Gemäß den UNESCO-Richtlinien bleibt das Schiff zum Schutz auf dem Meeresgrund liegen. Die Ausgrabungen in der Umgebung werden voraussichtlich fortgesetzt.
Meldung franckgoddio / IESMA
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Ausgrabungen am Isis-Tempel in Portus Magnus bei Alexandria wurden kürzlich vom Oxford Centre for Maritime Archaeology veröffentlicht: https://www.franckgoddio.org/service/newsletter/detail/new-publication-1/