In den kühlen Schatten der Grotta della Monaca, einer uralten Höhle im Pollino-Massiv Nordwestkalabriens, öffnet sich ein neues Kapitel europäischer Frühgeschichte. Hier haben Forscher erstmals das genetische und soziale Profil einer rund 3500 Jahre alten Gemeinschaft rekonstruiert – ein wissenschaftlicher Durchbruch, der zeigt, wie komplex das Leben in den Bergen Süditaliens zur Mittelbronzezeit war.
Die Studie, geleitet vom Max-Planck–Harvard Research Center for the Ancient Mediterranean (MHAAM) und der Universität Bologna, beleuchtet die Geschichte einer protoapenninischen Gemeinschaft, die sich in den Bergregionen Kalabriens entwickelte. Die Ergebnisse enthüllen eine erstaunlich eigenständige Bevölkerung, die zugleich in überregionale Austauschsysteme eingebunden war.
DNA als Zeugin einer eigenständigen Kultur
Die in der Höhle gefundenen menschlichen Überreste, datiert auf 1780 bis 1380 v. Chr., erzählen eine doppelte Geschichte: Sie zeigen einerseits enge genetische Verbindungen zu frühbronzezeitlichen Gruppen aus Sizilien, andererseits das weitgehende Fehlen der östlich-mediterranen Einflüsse, die dort bereits Fuß gefasst hatten.
„Unsere Analysen deuten darauf hin, dass Kalabrien trotz Kontakten über die Straße von Messina hinweg seine eigene demografische und kulturelle Entwicklung verfolgte“, erklärt Francesco Fontani, Erstautor der Studie. Die Region war also keine abseits liegende Randzone – sondern ein eigenständiger Mikrokosmos mit eigenen Traditionen.
Mobilität über die Berge hinaus
Trotz der abgelegenen Lage blieb die Gemeinschaft nicht isoliert. In zwei Fällen zeigen die Genome Spuren norditalienischer Herkunft – ein deutlicher Hinweis auf Mobilität und Austausch über große Entfernungen hinweg. Die genetischen Profile verbinden Elemente europäischer Jäger und Sammler, anatolischer Bauern und Steppenhirten – bekannte Bestandteile der Bronzezeitbevölkerung Europas, hier jedoch in einer regionalen Ausprägung, die Kalabriens Eigenart unterstreicht.
Auch familiäre Strukturen treten klar hervor: Mehrere Bestattete waren eng miteinander verwandt, darunter auch ein Individuum, dessen Eltern in direkter Eltern-Kind-Beziehung standen – ein bislang einzigartiger Nachweis für das prähistorische Europa. Für die Forscher eröffnet dieser Befund Fragen nach familiären Rollen, sozialer Struktur und Rituale solcher Gemeinschaften. „Dieser Befund verdeutlicht den Unterschied zwischen einem klaren biologischen Befund und seiner sozialen Bedeutung“, betont Alissa Mittnik vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Ernährung und Anpassung in den Bergen
Isotopenanalysen zeigen, dass die Menschen Viehzucht betrieben und Milchprodukte konsumierten – obwohl ihnen die genetische Fähigkeit zur Laktoseverdauung fehlte. „Das verdeutlicht, wie kulturelle Anpassung der genetischen Evolution vorausgehen kann“, sagt Donata Luiselli von der Universität Bologna. „Diese Menschen hatten Ernährungsstrategien entwickelt, die es ihnen ermöglichten, in einer anspruchsvollen Bergregion zu leben, trotz fehlender genetischer Laktosetoleranz.“
Eine Höhle als Spiegel der Gesellschaft
Die Grotta della Monaca war mehr als nur Begräbnisstätte. Sie war zugleich Bergwerk, Ritualort und sozialer Raum – ein Zentrum gemeinschaftlicher Identität. In über 600 Metern Höhe zeugt sie von einer frühbronzezeitlichen Gesellschaft, die wirtschaftlich aktiv, kulturell eigenständig und genetisch vielschichtig war.
„Die Höhle liefert entscheidende Hinweise auf die ersten komplexen Gesellschaften Süditaliens“, fasst Felice Larocca, Leiter der Ausgrabungen, zusammen. „Und, im weiteren Sinne, einen Schlüssel zum Verständnis der kulturellen und biologischen Wurzeln menschlicher Vielfalt.“
Die Forschung entstand im Rahmen des Max-Planck–Harvard Research Center for the Archaeoscience of the Ancient Mediterranean, in Kooperation mit der Universität Bologna und der Soprintendenza Archeologia, Belle Arti e Paesaggio der Provinz Cosenza. Gefördert wurde das Projekt von der Max-Planck-Gesellschaft, dem italienischen PRIN-Programm und dem Department für Kulturerbe der Universität Bologna.
Meldung MPG
Originalpublikation:
Fontani, F., Larocca, F., Cilli, E. et al. Archaeogenetics reconstructs demography and extreme parental consanguinity in a Bronze Age community from Southern Italy. Commun Biol8, 1766 (2025). https://doi.org/10.1038/s42003-025-09194-2