„Als Rom im 1. Jahrhundert das Land am Oberen Neckar in Besitz nahm, dürfte Waldmössingen das zentrale Versorgungsdepot für die kaiserlichen Truppen gewesen sein, die vom Oberrhein über die neuerbaute Schwarzwaldstraße vorrückten“, berichtet Dr. Andreas Thiel vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart. „So helfen uns eineinhalb Zentimeter kleine Nägel, die historischen Vorgänge der Zeit besser zu verstehen, als Kaiser Vespasian um das Jahr 74 nach Christus beschlossen hatte, die Reichsgrenzen vom Rhein nach Osten vorzuverlegen“.
Der Kastellplatz Waldmössingen
Vermutlich zusammen mit dem Bau der Straßenverbindung durch das Kinzigtal errichtete das römische Heer mehrere Truppenlager am oberen Neckar. Rings um ein 16 Hektar großes Standlager für eine Legion in Rottweil, dem antiken Arae Flaviae, entstanden auch mehrere kleinere Kastelle, deren Funktion im Einzelnen unklar bleibt. Unter diesen sticht das zwei Hektar große Waldmössingen durch seine zentrale Lage an einem Straßenknoten hervor. Bereits im Jahr 1896 führte hier die damalige Reichs-Limeskommission flächige Ausgrabungen durch. Dabei wurden die Umwehrung und ein Teil der Innenbauten des Kastells untersucht. Damals fiel den Ausgräbern im vorderen Lagerteil ein über 1.000 Quadratmeter großes Steingebäude auf, das keine Parallelen in zeitgleichen Plätzen hatte. Mit den damaligen Methoden gelang es jedoch nicht, die Funktion dieses ungewöhnlichen Gebäudes zu klären.
Aktuelle Ergebnisse
Im Rahmen der aktuellen Lehrgrabung, die das LAD in Kooperation mit der Abteilung für Provinzialrömische Archäologie der Universität Freiburg durchführt, wurde ein kleiner Ausschnitt im Inneren des rätselhaften Gebäudes untersucht. Dabei ließen sich unter anderem zwei aufeinanderfolgende Bauphasen während der rund fünfzig Jahre dauernden Nutzungszeit des Gebäudes feststellen. Ein wichtiges Ergebnis für die Frage nach dessen ursprünglicher Funktion war laut Andreas Thiel der Nachweis, dass in dem zirka 50 mal 20 Meter messenden langrechteckigen Bau offenbar Metall verarbeitet wurde. Besonders den Funden von weit über einhundert, offenbar fabrikneuen Schuhnägeln aus Eisen, kommt dabei Bedeutung zu: Ihre Verwendung zum Beschlagen der Sohlen römischer Schnürstiefel, der „caligae“ dem charakteristischen Schuhwerk römischer Legionare, ist laut Thiel seit langem bekannt.
Nachbildung eines römischen Soldatenstiefels
© Universität Freiburg, L. Regetz
Solche eisernen „Spikes“ gaben im unwegsamen Gelände den nötigen Halt. Versuche zeigten allerdings auch, dass bei den Märschen der Soldaten beständig Nägel ausfielen und ersetzt werden mussten. Die Verluste waren so groß, dass die Soldaten ein eigenes Nagelgeld („clavarium“) erhielten, um sich Ersatznägel kaufen zu können. Bis heute noch lassen sich anhand der Funde solcher römischer Schuhnägel Marschrouten und Schlachtfelder rekonstruieren.
„In dem Steinbau von Waldmössingen dürften Schuhnägel produziert - zumindest jedoch in großem Maßstab gelagert worden sein. Weitergedacht legt das den Schluss nahe, dass hier ein großes Zentraldepot des römischen Heeres bestand, von dem aus die umliegenden Militärplätze beliefert wurden“, sagt Thiel.
Meldung Regierungspräsidium Stuttgart