5000 Jahre (Un-)Gleichheit im Karpatenbecken

Die weltweite Verteilung von Wohlstand ist aktuell Gegenstand kontroverser Diskussionen. Vor diesem Hintergrund untersuchen Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften intensiv, wie soziale Hierarchien in menschlichen Gemeinschaften entstehen und wo diese Prozesse ihre Ursprünge haben.

Graben im Profil. Ein Archäologe steht im Schnitt davor und wässert das Profil mit einer Gloria
Das Volumen der an den Fundplätzen ausgehobenen Gräben wird als Maß für den sozialen Zusammenhalt gezählt. Gemeinschaften in Südosteuropa gruben seit der mittleren Jungsteinzeit (ca. 5500 v. u. Z.) lange, tiefe Gräben. Verteidigung war wahrscheinlich das Motiv für einen Teil dieser Erdarbeiten; doch erklärt dies nicht das gesamte Ausmaß. Unabhängig von den Motiven, die wahrscheinlich im Laufe der Zeit variierten, mussten sich Hunderte von Menschen in einer koordinierten Anstrengung zusammenschließen, um die Gräben zu planen und über Hunderte von Tagen hinweg Erde zu bewegen. Während dieser Zeit fanden wahrscheinlich Feste statt, Ehen und Bündnisse wurden geschlossen und soziale Bindungen gestärkt. Der Graben auf dem Bild stammt aus der Fundstätte Podhajska in der Südwest-Slowakei, die 2023 ausgegraben wurde.© Till Kühl

Eine bislang weit verbreitete These lautet, dass die Einführung der Landwirtschaft in Europa zu Beginn der Jungsteinzeit vor etwa 8000 Jahren unvermeidlich zu sozial ungleichen Gemeinschaften geführt habe. Die Einführung des Pflugs und die damit einhergehende Vererbung von landwirtschaftlichem Kapital habe diesen Prozess weiter intensiviert.

Jetzt erscheint in der internationalen Fachzeitschrift Science Advances eine Studie, die dieser These am Beispiel des Karpatenbeckens widerspricht. „Wir zeigen, dass im Laufe von fünftausend Jahren nach der Einführung der Landwirtschaft in Südosteuropa die sozialen Ungleichheiten nicht zugenommen haben und dass auch der Einsatz des Pflugs weder das Ausmaß noch die Dauerhaftigkeit der Ungleichheiten rapide gefördert hat“, sagt der Erstautor der Studie, der Archäologe Dr. Paul R. Duffy vom Exzellenzcluster ROOTS an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Gute Datenlage zur Urgeschichte des Karpatenbeckens

Die Studie beruht auf mehreren Jahren Forschung zur Urgeschichte des Karpatenbeckens, die Forschende im ROOTS-Subcluster „ROOTS of Inequalities“ (Ursprünge von Ungleichheiten) zusammen mit Kollegen aus den USA durchgeführt haben. Das Karpatenbecken eignet sich für die Fragestellung besonders gut, weil es eine Zwischenstation für die Ausbreitung der frühen Landwirtschaft aus dem Nahen Osten über Anatolien und den Balkan nach Mitteleuropa darstellt. 

„In den vergangenen Jahrzehnten hat es eine große Zahl an Ausgrabungen in der Region gegeben. Die reichhaltigen archäologischen Daten machen das Karpatenbecken zusätzlich ideal für die Erforschung der Entwicklung sozioökonomischer Ungleichheiten in der Urgeschichte“, sagt Dr. Duffy.

Als Indikator für Ungleichheit haben die Forschenden unter anderem die archäologisch fassbare Größe von Häusern genutzt. Deren Bau ist kostspielig und sie stellen einen greifbaren, vererbbaren Reichtum dar.

Veränderungen führten nicht automatisch zu greifbaren Ungleichheiten

Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch, dass sich die soziale Ungleichheit gemessen an der Hausgröße zwischen dem frühen Neolithikum und der Bronzezeit nicht wesentlich verändert hat.

Die Forschenden sammelten auch Daten zu anderen Aspekten prähistorischer Gesellschaften, darunter die Größe der Siedlungen, ihre Dauer und das Ausmaß, in dem die Menschen gemeinsam Erdarbeiten und Grabenbauarbeiten durchführten.

Dabei stellten sie fest, dass die Menschen seit kurz nach der Ankunft der Bauern in Südosteuropa bis mindestens zum ersten Jahrtausend v. u. Z. Gräben zu Verteidigungs- oder zeremoniellen Zwecken gegraben haben; aber erst in der späten Bronzezeit um ca. 1400 v. u. Z. nahmen diese massiv an Größe zu.

Auch die Dauer der Besiedlung zeigt klare Trends: Frühere Siedlungen in der Jungsteinzeit bestanden viel länger als die Mega-Festungen und andere Siedlungen der Bronzezeit.

„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Fähigkeit der Gesellschaften, sich für kollektives Handeln zu organisieren, im Laufe der Vorgeschichte zunahm. Die Veränderungen führten jedoch nicht automatisch zu greifbaren Ungleichheiten im materiellen Wohlstand. Erst spätere Gruppen weisen ein größeres Spektrum an Ungleichheiten auf“, sagt Co-Autor Dr. Fynn Wilkes, derzeit Postdoc im Exzellenzcluster ROOTS. 

Abstimmung mit den Füßen

Gleichzeitig deuten archäologische Daten wie zum Beispiel die kürzere Nutzungsdauer der bronzezeitliche Siedlungen darauf hin, dass die Menschen Siedlungen verließen, in denen sich erste Hierarchien bildeten. „Offenbar konnten sie mit den Füßen abstimmen und so die Fähigkeit ambitionierter Anführer untergraben, den frühen Gemeinschaften ihren Willen aufzuzwingen“, erklärt Dr. Duffy.

Einen notwendigen Zusammenhang zwischen der Einführung der Landwirtschaft und immer größerer Ungleichheit zeigen die Daten also nicht. Die Studie bestätigt so an einem detaillierten regionalen Beispiel frühere globale Studien, die ebenfalls den lange postulierten Automatismus zu sozialer Ungleichheit ab der Jungsteinzeit infrage stellen. „Weitere Detailstudien an gut untersuchten Regionen sind sicherlich notwendig, um die Mechanismen, die zu Ungleichheiten führen oder diese verhindern, besser zu verstehen“, resümiert Dr. Duffy.

Meldung roots

Originalpublikation:

Duffy, Paul R., Fynn Wilkes, Henry Skorna, Martin Furholt, Cait Dickie, Kata Furholt, Giacomo Bilotti, Johannes Müller, Gary M. Feinman 2025. Five thousand years of inequality in the Carpathian Basin. Science Advances.https://doi.org/10.1126/sciadv.adu0323

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