Feddersen Wierde – neue Untersuchungen an alten Textilien

Textilien sind leicht vergänglich und werden nur unter günstigen Voraussetzungen überliefert. Während sich pflanzliche Reste vor allem in alkalischen Böden erhalten, bietet saures Milieu beste Erhaltungsbedingungen für Werkstoffe, die von Tieren stammen.

Blick ins Textilmagazin des Niedersächsischen Instituts für historische Küstenforschung.
Blick ins Textilmagazin des Niedersächsischen Instituts für historische Küstenforschung.© NIhK/R. Kiepe

Bisher aus dem nordeuropäischen Raum bekannt gewordene, überdurchschnittlich gut konservierte Wollgewebe stammen aus Böden mit tiefen pH-Werten wie Mooren, darunter Kleidungsreste frühgeschichtlicher Moorleichen, aber auch Deponierungen wie die außergewöhnlichen Textilien der Kriegsbeuteopferplätze Nordeuropas. Meist handelte es sich um Zufallsfunde, die im Verlauf des 19. und frühen 20. Jh. beim Torfstechen entdeckt und – nach heutigen Gesichtspunkten – unsachgemäß geborgen wurden.

Karte der im heutigen Land Wursten gelegenen frühgeschichtlichen Wurten.
Karte der im heutigen Land Wursten gelegenen frühgeschichtlichen Wurten. LfD Hannover/J. Steffen,/ I. Aufderhaar, Überarbeitung Ch. Peek

Die ersten textilkundlichen Studien belegen eine akribische, jedoch oft stark von den jeweils vorherrschenden ideologischen Geschichtsbildern geprägte Aufarbeitung der Fundstücke. Ergebnisse wurden aber durchaus kontrovers diskutiert. Erwähnenswert sind die über mehrere Jahrzehnte ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten zur Zusammensetzung bronzezeitlicher Gewebe. So hatten Faseruntersuchungen hier neben feiner Schafwolle scheinbar auch regelmäßige Beimengungen von Reh-, Hirschund Rentierhaaren, von Rinder-, Pferdeund Ziegenhaar, sogar von Hasenhaaren und diversen pflanzlichen Fasern ergeben. Einen wesentlichen Beitrag zur Klärung dieser speziellen Problematik, aber auch vieler weiterer Fragen leistete Karl Schlabow mit dem Standardwerk zu »Textilfunden der Eisenzeit in Norddeutschland« aus dem Jahr 1976.

Vom Moor zur Wurt

Wegen des modernen maschinellen Torfabbaus wurden in den letzten Jahrzehnten immer weniger organische Artefakte aus Mooren geborgen. Die umfangreichsten Textilbestände liegen daher inzwischen aus den mit Mist und Klei aufgehöhten frühgeschichtlichen Wurten der Nordseeküstenzone vor. Hierzu gehören auch die Textilien der vom 1. Jh. v. Chr. bis in das 5. Jh. n. Chr. bewohnten Feddersen Wierde, die im Elbe-Weser-Dreieck liegt. Bei Ausgrabungen vor mehr als 60 Jahren konnten hier über 2000 textile Einzelstücke geborgen werden, fast ausschließlich aus tierischen Fasern.

Erste technologische Untersuchungen an diesem bis heute einzigartigen Fundbestand erfolgten durch Rudolf Ullemeyer und Klaus Tidow. Neben verschiedenen Geweben konnten diverse Geflechte, mehrere Fadenknäuel, unterschiedlich starke Schnüre und Taue sowie große Mengen an unversponnenen Haaren katalogisiert werden. Da die Ergebnisse einen genauen Einblick in das Spektrum der im Siedlungskontext gebrauchten Textilien gewähren, wurden sie immer wieder in einschlägigen Übersichtswerken und in fachspezifischen Beiträgen beschrieben.

Neue Methoden, neue Ergebnisse

In den letzten Jahren standen wieder Textilien aus Mooren im Fokus moderner archäologischer, konservierungswissenschaftlicher sowie textilarchäologischer Forschungen. Demgegenüber blieb eine Neubearbeitung der Wurtenfunde zunächst aus. Zumindest im Falle der Feddersen Wierde konnte diesem Desiderat mit einem mehrjährigen Projekt am Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung Rechnung getragen werden. Auch wenn die Textilien seit vielen Jahren präventiv unter konstanten klimatischen Bedingungen gelagert werden, ist ein weiterer Abbau sehr wahrscheinlich und muss konservatorisch so gering wie möglich gehalten werden. Da eine detaillierte bildliche Dokumentation zur visuellen Archivierung des Fundbestandes fehlte, stand die akribische Aufnahme makroskopischer und mikroskopischer Strukturen im Mittelpunkt der Untersuchungen.

Selbstverständlich war das aktuelle Projekt nicht zur Überprüfung der älteren Untersuchungsergebnisse initiiert worden. Jedoch erbrachte die Neuerhebung unerwartet viele neue Erkenntnisse. Hochauflösende digitale Mikroskope erlauben mittlerweile detaillierte Darstellungen feinster äußerer und innerer Strukturen. Moderne technische Ausstattung, aber auch die inzwischen immensen Erfahrungswerte der Textilarchäologie bzw. -restaurierung sowie umfangreiche Vergleichssammlungen von Haaren historischer Haus- bzw. Nutztierrassen ermöglichten eine sichere Unterscheidung der Faserbestände.

Dämmmaterial aus Textilfasern

So konnten neben den bereits identifizierten Arten wie Schaf, Pferd und Rind weitere Spezies wie Hund und Hase oder Kaninchen nachgewiesen werden. Diese Beobachtungen und die von Antoinette Rast-Eicher durchgeführten Faserqualitätsmessungen erbrachten auch wichtige Informationen zur verarbeiteten Schafwolle: Nachweisbar waren zwei Schafrassen, die ganz offensichtlich über viele Siedlungsphasen hinweg gleichzeitig auf oder im Umfeld der Wurt gehalten wurden. Außerdem konnte sortierte von unsortierter Wolle unterschieden werden. Bei der Gewebeherstellung wurden die Fasern also entsprechend der gewünschten Eigenschaften ausgewählt. Letztendlich konnte festgestellt werden, dass es sich bei den vielen unversponnenen Haarbündeln nicht, wie ursprünglich vermutet, um Halbfabrikate der Textilproduktion, sondern um Abfälle der Faseraufbereitung handelte, welche wohl als Dämmungen von Böden und Wänden Verwendung fanden.

Heute weisen alle Textilien der Feddersen Wierde eine dunkle Farbe auf. Nicht immer handelt es sich hierbei um die natürliche Pigmentierung der Wolle. In jedem Fall haben die Klei- und Dungschichten der Wurtenaufträge im Verlauf der Jahrhunderte auf die Vliese eingewirkt. Dass die Gewebe einst sekundär gefärbt waren, galt lange Zeit als ungewiss. Tatsächlich belegen die von Ina Vanden Berghe durchgeführten Analysen inzwischen diverse pflanzliche Farbstoffe. Nachweisbar waren rot färbende Wildpflanzen. Spuren blauen Farbstoffes stammten von Färberwaid, den man im direkten Umfeld der Häuser kultivierte. Bemerkenswerterweise war ausgerechnet ein am sogenannten Herrenhof aufgefundenes, besonders feines und damit exquisites Brettchengewebe mit Krapp rot gefärbt. Diese Färberpflanze gelangte sicherlich aus Gebieten südlich der Alpen an die Nordsee.

Gewebe mit Karomusterung hervorgerufen durch Farbwechsel in Kette und Schuss.
Gewebe mit Karomusterung hervorgerufen durch Farbwechsel in Kette und Schuss. NIhK/R. Kiepe

 

Identifikation tierischer Fasern: Schuppenstruktur eines Pferdehaares in starker Vergrößerung.
Identifikation tierischer Fasern: Schuppenstruktur eines Pferdehaares in starker Vergrößerung. NIhK/R. Kiepe

Die Nachuntersuchungen des seit vielen Jahrzehnten magazinierten Quellenbestandes liefern wichtige neue Aufschlüsse zum Stand der lokalen Textilproduktion. Es zeigt sich, wie wichtig der langfristige konservatorische Erhalt von »Altfunden« ist, die dank neuer Methoden, aber auch veränderter Fragestellungen unverzichtbare Quellen für die Forschung sind. Als pars pro toto des Gesamtbefundes, gewähren die Textilien entscheidende Einblicke in die Traditionen von Land- und Viehwirtschaft, die soziokulturellen Strukturen der Bevölkerung sowie deren weitverzweigte und überregionalen Netzwerke.

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