O Tannenbaum im Wüstensand - Weihnachten auf deutschen Ausgrabungen im Vorderen OrientArtikel erschienen in ANTIKE WELT 6/2025

Die ersten deutschen Ausgrabungen im Vorderen Orient begannen um das Jahr 1900 und dauerten mehrere Jahre. Die Archäologen blieben während dieser Zeit ohne Unterbrechung vor Ort und wohnten in einfachen Unterkünften. Auch Weihnachten mussten sie fern der Heimat ohne ihre Familien verbringen. Lebenserinnerungen und Briefe der beteiligten Archäologen sowie seltene Fotografien zeigen, wie das Weihnachtsfest auf den Ausgrabungen damals verlief – und natürlich durfte der Tannenbaum nicht fehlen.

Weihnachtsbaum mit Kugeln und Girlanden in einem Raum, umgeben von mehreren sitzenden Personen und einem Ofen.
Den Heiligabend 1902 verbrachten die Archäologen Heinrich Kohl (links) und Bruno Schulz gemeinsam mit Ehepaar Lütticke in deren Baalbeker Sommerhaus, das den Archäologen als Grabungshaus zur Verfügung gestellt wurde.© Privat, Splitternachlass Heinrich Kohl, Fotograf unbekannt
Dem Grossvesir vom Tell Halaf
O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind Deine Blätter! 
Du grünst nicht nur im Vaterland, Nein auch im öden Wüstensand. 
O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind Deine Blätter! 
O Grossvesir, o Grossvesir, wie danken wir Dir alle! 
Du hast bereitet all dies Glück, Hast aufgebaut hier Stück für Stück. 
O Grossvesir, o Grossvesir, wie danken wir Dir alle! 
Der Fluss Chabur, der Fluss Chabur, ist Deiner Güte Spiegel! 
Er strömt nicht nur, wenn Regen fliesst. Bei Dürr' er nicht den Quell verschliesst. 
Der Fluss Chabur, der Fluss Chabur, ist Deiner Güte Spiegel! 
Der Tell Halaf, der Tell Halaf, mit allen seinen Leuten. 
Mög' denken so das ganze Jahr, dies wünscht des Vesir'sJüngerschar. 
Der Tell Halaf, der Tell Halaf, mit allen seinen Leuten.

Als der Architekt Erich Rauschenberger im Jahr 1912 das bekannte deutsche Weihnachtslied O Tannenbaum umdichtete, hielt er sich im Nordosten Syriens auf. Er nahm an den Ausgrabungen auf dem seit prähistorischer Zeit besiedelten Tell Halaf teil, einem Hügel, an dem der Fluss Chabur vorbeifließt. Im August 1911 hatte der Orientalist und Archäologe Max Freiherr von Oppenheim zusammen mit fünf Architekten, einem Arzt, einem Fotografen und 200 einheimischen Arbeitern begonnen, die Ruinenstätte freizulegen. Die Ausgrabungen dauerten ohne Unterbrechung genau zwei Jahre bis 1913 an. Max von Oppenheim stattete seine Expedition technisch sehr gut aus, sodass er behaupten konnte, es handele sich um die modernste Ausgrabung im Orient. Außerdem ließ er für sein Team ein stattliches Grabungshaus errichten, in dem zweimal Weihnachten gefeiert wurde.

Anders als heute waren archäologische Ausgrabungen im Vorderen Orient um 1900 noch ein echtes Abenteuer und verlangten den Teilnehmern einiges ab. Allein die Hin- und Rückreise dauerte mehrere Wochen und war beschwerlich. Das war einer der Gründe, warum die Ausgrabungen meist mehrere Jahre lang ohne Unterbrechung dauerten. Auch die Unterbringung vor Ort, weit entfernt von der Zivilisation, erforderte Einschränkungen und auf Annehmlichkeiten des europäischen Lebens musste verzichtet werden. Zwar lebten die Archäologen nur für kurze Zeit in Zelten, bis ein Grabungshaus aus Stein errichtet wurde, doch fließend Wasser und Strom standen in der Wüstenregion nicht zur Verfügung. Die hygienischen Verhältnisse sorgten nicht selten für Erkrankungen unter den Grabungsteilnehmern – wobei Magen-Darm-Infektionen noch zu den harmloseren zählten. Der Tagesablauf war streng reglementiert. Im Mittelpunkt stand die Arbeit auf der Ausgrabung von früh morgens bis zum Sonnenuntergang. Danach wurden bei Kerzenschein die Ergebnisse dokumentiert. Es gab nur einen freien Tag in der Woche, an dem man sich ausruhen konnte. Die Freizeitmöglichkeiten beschränkten sich im Prinzip auf Lesen, Jagen oder Ausreiten.

Feiertage wie Weihnachten waren daher Höhepunkte auf den Ausgrabungen. Mit großer Vorfreude widmeten sich die Grabungsmitarbeiter den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Auch wenn Weihnachten in den offiziellen Ausgrabungspublikationen kaum erwähnt wird – meistens wird nur der Besuch von Gästen dokumentiert –, können wir heute anhand noch vorhandener Tagebuchaufzeichnungen der Grabungsteilnehmer oder Briefe, die die Archäologen an ihre Familien in Deutschland schickten, einen Eindruck davon gewinnen, wie Weihnachten vor mehr als 100 Jahren auf den deutschen Ausgrabungen im Vorderen Orient zelebriert wurde. Außerdem sind wenige historische Privatfotografien erhalten, die die Weihnachtsfeierlichkeiten zeigen. Die Fotografie zur Dokumentation der Grabungsergebnisse und -funde hatte bereits Einzug gehalten, doch private Aufnahmen waren kostspielig und belichtungstechnisch schwierig, da vor allem in Innenräumen fotografiert wurde.

Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen

Im Mittelpunkt der Feierlichkeit stand der festlich geschmückte Christbaum, der seit dem frühen 19. Jh. fester Bestandteil des deutschen Weihnachtsfestes ist. Auf diesen wollten die Archäologen auch nicht fern der Heimat verzichten, auch wenn im Zweistromland keine stattlichen Tannen oder Fichten zu finden waren. In dieser Not war Improvisationstalent gefragt undorientalische Nadelgewächse wie Zypressen zu Weihnachtsbäumen umfunktioniert. Sie wurden mit dem geschmückt, was auf der Ausgrabung vorhanden war. Da traditionelle Christbaumkugeln aus buntem Glas fehlten, wurden selbst gebastelte Papiersterne, Bänder und Girlanden in den Baum gehängt. Gelegentlich kam auch Lametta zum Einsatz, wenn auch eher spärlich. Paraffinkerzen dienten zur Beleuchtung des Grabungshauses und waren deshalb reichlich vorhanden. Und natürlich wurden sie auch zur Illumination des Weihnachtsbaums verwendet. Der Christbaum wurde im zentralen Speiseraum des Grabungshauses aufgestellt, in dem sich alle Teilnehmer am Heiligen Abend versammelten.

Weihnachten war auf dem Tell Halaf ein besonderer Festtag, vor allem, da man Heiligabend nicht mit der Familie feiern konnte. Im weihnachtlich geschmückten Speisezimmer stand unter dem Weihnachtsbaum für jeden Anwesenden ein Weihnachtsteller mit Äpfeln und Süßigkeiten bereit. Zudem erhielt jeder Mitarbeiter kleine Geschenke, Tabak und Zigaretten sowie einen Geldgutschein. Der Fotograf Robert Paul konnte sich beispielsweise über eine Pistole, dicke Unterhemden und einen Lodenmantel gegen die Kälte freuen. Auch der türkische Grabungskommissar Durri Bey wurde reich beschenkt: Er bekam ein Mausergewehr inklusive Patronen, einen Sattel mit Zaumzeug und zwei Satteltaschen. Max von Oppenheim, der die kostspielige Grabung aus eigenem Vermögen finanzierte, wollte sein Grabungsleben nach der Devise «wie ein Fürst in der Wüste» gestalten. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1912 ließ er ein mehrgängiges Menü auftischen. Es gab Filet de Boeuf à la Bretonne und typisch deutsche Kartoffelpuffer mit Kompott. Den Jahreswechsel 1912/1913 feierten die Archäologen unter dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum mit reichlich Punsch und viel Spaß – frei nach dem Motto «Schippe heil!».

Im kaiserlichen Auftrag

Neben den Ausgrabungen auf dem Tell Halaf fanden noch weitere deutsche archäologische Expeditionen im Vorderen Orient statt. So besuchte Kaiser Wilhelm II. im November 1898 auf seiner Orientreise die monumentalen römischen Tempel von Baalbek im Libanon. Von deren Pracht begeistert, befahl der an Archäologie interessierte Monarch, diese Ruinen durch deutsche Archäologen untersuchen zu lassen. Bereits wenige Wochen später besuchten die Architekten und Bauforscher Robert Koldewey und Walter Andrae auf ihrer Durchreise nach Babylon die Tempelanlage in Baalbek, um dort über den Jahreswechsel erste wissenschaftliche Pläne zu zeichnen. Die eigentlichen Ausgrabungen begannen jedoch erst später unter der Leitung des Archäologen Otto Puchstein im Sommer 1900 und endeten im Frühjahr 1904. Die Archäologen wohnten im Sommerhaus des deutschen Konsuls Ernst Lütticke. Das Weihnachtsfest 1902 wurde gemeinsam mit der Familie Lütticke verbracht. Der Hausherr las die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium vor, während draußen leise der Schnee rieselte und die gute Stube mit einem Ofen beheizt wurde (Headerbild).

Koldewey und Andrae waren im Auftrag der 1898 gegründeten Deutschen Orient-Gesellschaft unterwegs, um die Ruinen Babylons, der legendären Hauptstadt Babyloniens am Ufer des Euphrats, auszugraben. Koldewey verließ den Ort erst 1917, als englische Truppen die Ausgrabungen bedrohten – nur dreimal kehrte er in diesen 18 Jahren kurz nach Deutschland zurück. Aufzeichnungen zu Weihnachten in Babylon sind spärlich und Fotos sind nicht bekannt. Für das Jahr 1899 findet sich lediglich die kurze Anekdote, dass Koldewey am Weihnachtsabend einen aufgeklappten Reisechristbaum mit drei Lichtern bestückte, um Andrae, seinen «Jüngling», vom Heimweh abzulenken. Dazu wurde ein großes Glas Whiskygrog gereicht, der laut Andrae wie süßes Seifenwasser schmeckte. Vielleicht war Koldewey ein Weihnachtsmuffel, der durch seine jahrelangen Ausgrabungstätigkeiten und die damit verbundenen körperlichen Entbehrungen einen asketischen Lebensstil entwickelt hatte. Dagegen war seine vorbildliche Ausgrabungstechnik prägend für spätere Generationen von Bauforschern im Vorderen Orient. Andrae, sein engster Mitarbeiter, blieb bis 1903 in Babylon und übernahm danach die Leitung der Ausgrabungen im antiken Assur im nördlichen Zweistromland. Gemeinsam mit Architekten und Archäologen, die größtenteils auch als Koldewey-Schüler in Babylon gearbeitet hatten, legte er die Ruinen Assurs bis ins Frühjahr 1914 frei. Dank Andraes Lebenserinnerungen, Briefen der Grabungsteilnehmer in die Heimat, Ausgrabungsberichten und privaten Fotos aus dem Nachlass des Architekten Walter Bachmann sind wir über den Grabungsalltag in Assur informiert.

Lasst uns froh und munter sein

Mehrere Männer in Anzügen und Uniformen sitzen und stehen um einen Tisch mit Flaschen, Gläsern und einem kleinen Weihnachtsbaum mit Kerzen.
Weihnachten in Assur, 1909. Die fein gekleideten Grabungsteilnehmer sitzen und stehen um den Tisch, auf dem neben dem Weihnachtsbaum zahlreiche Spirituosen stehen. © DAI, Orient-Abteilung, Nachlass Walter Bachmann, Fotograf unbekannt
Das nahe der Ausgrabungsstätte Assur am Ufer des Tigris gelegene Grabungshaus diente den Mitarbeitern als Wohnsitz und Arbeitsplatz für die umfangreichen Dokumentationstätigkeiten. Jeder Expeditionsteilnehmer hatte sein eigenes Zimmer, es gab aber auch einen Raum, in dem gemeinsam gegessen, die Freizeit verbracht und gefeiert wurde. Ein Weihnachtsfoto zeigt die Archäologen in feinen Anzügen rund um den Weihnachtsbaum. Auf dem Tisch liegen zahlreiche Geschenke aus der Heimat, darunter Zigarren, deutsches Bier, Wein und Champagner. Quer durch das Zimmer war eine Schnur gespannt, an der geräucherte Wurstwaren hingen. Es scheint ein feuchtfröhlicher Abend gewesen zu sein, an dem die Grabungsteilnehmer ihren harten und wenig abwechslungsreichen Arbeitsalltag, weit weg von zu Hause, für einige Zeit vergessen konnten. Später am Abend entstand ein weiteres Foto, auf dem die Archäologen mit Lampenschirmen auf den Köpfen angeheitert posieren.
Mehrere Männer in Anzügen und Uniformen sitzen und stehen um einen Tisch mit einem kleinen geschmückten Weihnachtsbaum, Kerzen und verschiedenen Gegenständen.
Zu späterer Stunde ist die Stimmung ausgelassen. Einige Grabungsteilnehmer (von links: Conrad Preusser, Walter Andrae und Paul Maresch) tragen lampenschirmähnliche Kopfbedeckungen. © DAI, Orient-Abteilung, Nachlass Walter Bachmann, Fotograf unbekannt

Auch Gäste wurden zu Weihnachten ins Grabungshaus nach Assur eingeladen, darunter Dr. Naab und seine Ehefrau. Sie kamen zu Pferd angeritten und hatten eine Flasche Rheinwein als Gastgeschenk dabei. Die Überraschung, die sie später mit ihrem Rheinwein bereiteten, artete in einen großen Spaß aus. Als die Weihnachtsfeier begann, zwinkerte Dr. Naab dem arabischen Vorarbeiter Ismael zu. Kurz darauf erschien dieser lächelnd in der Tür und hielt eine dampfende Suppenschüssel in den Händen. Leider hatte Dr. Naab das arabische Wort harr (heiß) mit barid (kalt) verwechselt. So kam der Wein statt gekühlt als Punsch auf die Tafel – zum Entsetzen der rheinländischen Gäste.

In den Wintermonaten herrschten in Assur eisige Temperaturen (bis zu minus 18 Grad), sodass die Ausgrabungsarbeiten Ende Dezember 1910 für einige Tage wegen Schneestürmen eingestellt werden mussten. Im Januar 1911 lag so viel Schnee, dass man zum Zeitvertreib auf dem Dach des Grabungshauses einen großen Schneemann im Stil einer assyrischen Königsstatue baute.

Stille Nacht, heilige Nacht - Feldgraue Weihnachten

Mit dem Ersten Weltkrieg endeten die deutschen Ausgrabungsaktivitäten im Vorderen Orient. Aus den Archäologen wurden Soldaten, die aufgrund ihrer Sprach- und Landeskenntnisse im Orient eingesetzt wurden. Im November 1916 gründete Djemal Pascha, der Oberbefehlshaber der 4. Osmanischen Armee, das Deutsch-Türkische Denkmalschutzkommando für Syrien und Palästina. Die Leitung wurde dem Archäologen Theodor Wiegand übertragen. Zu seinen Hauptaufgaben gehörte der Erhalt der Kunstdenkmäler der Region. Im Dezember 1916 erreichte Wiegand mit seiner Einheit nach strapaziösen Wochen die antike Ruinenstätte Petra, wo sie die Weihnachtstage verbrachten. In Briefen an seine Frau Marie in Deutschland beschrieb er den Heiligabend im Khazne al-Firaun (Schatzhaus des Pharaos), dem vermutlichen Grabpalast des Nabatäerkönigs Aretas IV.:

«Es geht vorzüglich. Wir sitzen noch immer im Felsenpalast des Aretas (Hasné). Ihr findet ihn mit seiner barocken Architektur in jeder Kunstgeschichte abgebildet. Wir haben hier vorgestern eine recht originelle Weihnachtsfeier gehabt. Tags zuvor schon wurden die Wände des Saales mit Koniferen umsäumt. Das Weihnachtsbäumchen war 1 m hoch und bestand aus einem schönen Wacholder mit knopperigen Früchten. Weihnachtskerzen hatten wir und unser Dr. Bader hatte aus Einwickelpapieren meiner Rollfilme wunderhübsche Sterne geschnitten, die rot leuchteten. Dann wurden die Ästchen mit Verbandwatte belegt und mit glitzerndem Staub aus Bor-Säure bestreut. Oben drauf ein roter Stern von Bethlehem und als besonders wirkungsvoller Schmuck eine Anzahl bunter Glasperlenketten.» 

«Es waren wunderbare Effekte, als ich mitten in der Dunkelheit einmal auf das gegenüberliegende Ufer der engen Schlucht ging und nun das prachtvolle Felsengebäude im flackernden Glanz des Wachtfeuers sah, das unsere Soldaten zu Füßen der Fassade angezündet hatten und wo die vermummten Gestalten nun saßen und sich wärmten. In der Vorhalle leuchtete unser kleines Küchenfeuer, so dass die Wände rot leuchteten und im Inneren des Grabsaales sah man die kleinen Menschen um den kleinen flimmernden Weihnachtsbaum sitzen. Und alles in feldgrauer Uniform.»

Wiegand zeichnete die Menükarte für das gemeinsame Weihnachtsessen (Abb. 6). Neben Huhn mit Brechbohnen wurden wie auf Tell Halaf auch hier Kartoffelpuffer serviert, die an die weit entfernte Heimat erinnern sollten.

Alle Jahre wieder

Der verlorene Erste Weltkrieg und das Ende des Osmanischen Reiches hatten Konsequenzen für die deutsche Archäologie in Vorderasien. Es war nicht mehr möglich, an den alten Grabungsplätzen wie Assur oder Babylon weitere Arbeiten durchzuführen. Im Jahr 1928 gelang es jedoch, die deutschen Ausgrabungen in der bekannten Ruinenstätte Uruk im britisch verwalteten Irak wieder aufzunehmen – dank diplomatischem Geschick. Diese wurden bis 1939 fortgeführt, zuerst unter der Leitung des Architekten Julius Jordan und ab 1931 unter dem Bauforscher Arnold Nöldeke. Anders als in der Vorkriegszeit wurde nicht mehr das ganze Jahr über ausgegraben. Wegen der hohen Temperaturen von über 50 Grad im Schatten in den Sommermonaten wurde die Arbeit in die vom Klima her angenehmere Winterzeit verschoben, obwohl hier die Temperaturen nachts häufig unter den Gefrierpunkt fielen.

Nöldekes Briefe an seine Familie in Deutschland informieren umfassend über den Alltag an diesem rund 5.000 Kilometer entfernten Ausgrabungsort in Südmesopotamien. Als Leiter der Ausgrabungen war er auch für den Umbau des Grabungshauses verantwortlich. Er sorgte für deutliche Verbesserungen, indem er Nasszellen neben den Schlafzimmern installieren ließ und den Küchenbereich über eine Durchreiche mit dem Speiseraum verband. Eine an der Außenwand hängende Eisenbahnschiene diente als Essensgong, um die über den weiträumigen Hof verteilten Mitarbeiter zusammenzurufen. An Heiligabend übernahm sie die Funktion des Glöckchens, das alle Anwesenden um Punkt 19 Uhr zur Bescherung rief.

The same procedure as every year

Jedes Jahr am 24. Dezember wurde in Uruk vormittags noch auf der Ausgrabungsstätte gearbeitet. Anschließend dekorierte Nöldeke das Esszimmer festlich. Das war Chefsache. Der kleine künstliche Baum mit papiernen Nadeln und etwas Lametta wurde aufgestellt und der Gabentisch, der mit vielen Kerzen geschmückt war, vorbereitet. Wenn die Post rechtzeitig aus Deutschland abgeschickt wurde, erhielten die Grabungsmitarbeiter pünktlich zum Weihnachtsfest ihre Briefe und Päckchen mit Geschenken aus der Heimat. Nöldeke berichtet jedoch, dass die sehnsüchtig erwarteten Postsendungen mit Pfeifentabak, Büchern und Schokolade häufig erst nach den Feiertagen ihr Ziel erreichten. Auch vonseiten der deutschen Gesandtschaft in Bagdad kamen jedes Jahr Geschenke: Schinken, Konserven, Lebkuchen aus Nürnberg, Süßigkeiten, Apfelsinen und jede Menge Weinflaschen. Vor dem Festessen, das traditionsgemäß aus einer Weihnachtsgans oder Ente bestand, wurden gemeinsam Weihnachtslieder gesungen – besonders gerne O du fröhliche – und Nöldeke las das Weihnachtsevangelium vor. Danach überreichten sich die in feinen Anzügen gekleideten Herren gegenseitig die Geschenke. In der Regel waren es Bücher. An Heiligabend kamen gerne auch Gäste aus Bagdad, wie der ehemalige Ausgrabungsleiter Julius Jordan, oder es gab Damenbesuch – wie die Sekretärin der deutschen Gesandtschaft, Fräulein Margarete Schilling. Nach dem Essen holte der Grabungsmitarbeiter Heinrich Lenzen zur Freude aller sein Grammophon hervor und spielte die neuen Schallplatten ab: Mozart, Bach und Schubert. Das Forellenquintett hatte die lange Reise jedoch nicht gut überstanden. Der Abend klang bei Bordeaux und Spatenbier aus.

Das letzte gemeinsame Weihnachtsfest in Uruk fand im Jahr 1938 statt. Der Ablauf war wie in den Jahren zuvor. Sogar Nöldeke schrieb an seine Familie, dass der Heilige Abend wie immer – beinah stereotyp – verlief, diesmal mit der kleinen Variante, dass Es ist ein Ros entsprungen gesungen wurde und es Schinken mit Kartoffelbrei und Blumenkohl zu essen gab.

Damit endete die deutsche Weihnachtstradition im Orient, denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Ausgrabungen für das Weihnachtsfest in der Heimat unterbrochen.

Autor:

Lars Petersen
Badisches Landesmuseum
76131 Karlsruhe

 

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