9000 Jahre EphesosGeschichte einer antiken Metropole

Ephesos, eine der bekanntesten Ruinenstätten der Türkei und seit 2015 UNESCO-Weltkulturerbe, wird seit über 130 Jahren vom Österreichischen Archäologischen Institut erforscht. Die antike Metropole mit einer 9000-jährigen Geschichte entwickelte sich vom neolithischen Siedlungsplatz über eine bronzezeitliche Handelsdrehscheibe und eine hellenistische Neugründung zur römischen Provinzhauptstadt. In der Spätantike wurde Ephesos ein christliches Pilgerzentrum, bevor es ab dem 7. Jh. bis in das 14. Jh. schrittweise verfiel.

Abb. 1 Das antike Ephesos mit der modernen Stadt Selçuk im Hintergrund.
Abb. 1 Das antike Ephesos mit der modernen Stadt Selçuk im Hintergrund.© ÖAW-ÖAI / N. Gail

Seit nunmehr 130 Jahren forscht das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Ephesos, einer der bekanntesten Ruinenstätten der Türkei, die heute mehr als vier Mio. Besucher im Jahr anzieht (Abb. 1). Die seit 2015 als UNESCO Weltkulturerbestätte gelistete antike Metropole liegt etwa 60 km südlich von Izmir, einer Millionenstadt an der türkischen Westküste. Die historische Bedeutung dieses Ortes war zwar bereits vor dem 19. Jh. bekannt; doch waren es Archäologinnen und Archäologen, die diesen bei der modernen Stadt Selçuk gelegenen Ort sichtbar machten und seine 9000-jährige Geschichte Schritt für Schritt aufdeckten.

Das Ende dieses Prozesses ist noch lange nicht erreicht. Auch heute noch geht ein Team aus internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den zentralen Fragen der modernen Archäologie nach: Wie lassen sich die Lebensumstände der antiken Ephesier verstehen und ihre Entwicklung nachvollziehen? Wie reagierten die Bewohner der antiken Stadt auf soziale, ökonomische und technologische Veränderungen? Welche Wechselwirkungen bestanden zwischen Mensch und Umwelt? Wie interagierten sie mit anderen Kulturen? Wie entwickelten sich ihre religiösen und ideologischen Vorstellungen oder auch ihre politischen Systeme? Wie gestaltete sich die soziale Organisation? Antworten auf diese Fragen werden interdisziplinär und diachron, also quer durch die Jahrhunderte, gesucht. Einige der aktuellen Forschungsthemen werden im Folgenden präsentiert. Eine Reise durch die lange Geschichte dieses Ortes verdeutlicht, auf wie vielen Ebenen das antike Ephesos die Region, aber auch die Welt weit über seine Grenzen hinaus prägte.

Der frühe Siedlungsort

Das Zentrum des antiken Stadtgebiets erstreckt sich zwischen zwei Bergrücken, dem Bülbüldağ im Süden und dem Panayırdağ im Norden. Die ältesten Siedlungsspuren finden sich allerdings etwa 1 km südöstlich der helle- nistisch-römischen Stadtgrenze auf dem Çukuriçi Höyük. Auf diesem künstlichen Tell gehen menschliche Spuren bis in das Neolithikum, also die Phase der Sesshaftwerdung des Menschen in Anatolien im 7. Jt. v. Chr., zurück. Der Çukuriçi Höyük entwickelte sich rasch zu einer Handelsdrehscheibe zwischen der Ägäis und Zentralanatolien, wertvolle Rohmaterialien wurden tausende Kilometer weit verhandelt. Im frühen 3. Jt., in der Frühbronzezeit, wurde der Hügel verlassen und in weiterer Folge der Ayasoluk-Berg im heutigen Selçuk besiedelt. In der Region von Ephesos entstand ein Zentralort während des 2. Jts., der uns aus hethitischen Quellen überliefert ist und höchstwahrscheinlich den Namen Apaša trug.

Ab etwa 1000 v. Chr. wanderten über einen längeren Zeitraum Bevölkerungsgruppen aus Griechenland in Kleinasien ein und gründeten in der rohstoffreichen Region kleine Städte nach dem Vorbild ihrer Heimatgemeinden. Wo genau diese Siedlungen lagen, ist archäologisch zwar noch nicht restlos geklärt, doch lassen sich Funde unter der späteren Handelsagora und auf dem Panayırdağ mit der Präsenz von Griechen verbinden. Eine weitere, bislang nicht ergrabene Siedlung, lag um das Heiligtum der ephesischen Artemis, die spätestens ab dem 7. Jh. v. Chr. auch in einem Monumentalbau, dem ältesten Tempel, verehrt wurde. Auf den frühesten Tempel aus dem 7. Jh. folgte im 6. Jh. ein kompletter Neubau, der dem Lyderkönig Kroisos zugeschrieben wird. Nach einem Brand im Jahr 356 v. Chr., dem Geburtsjahr Alexanders des Großen, errichteten die Ephesier an derselben Stelle einen Monumentaltempel, der durch seine Lage, seine Bautechnik, Architektur und prachtvolle Ausstattung die Menschen der Antike faszinierte und uns in zahlreichen Beschreibungen, schließlich sogar als eines der Sieben Weltwunder der Antike, überliefert ist (Abb. 2).

Abb. 2 Artemision von Ephesos. Reste des ehemaligen Weltwundertempels.
Abb. 2 Artemision von Ephesos. Reste des ehemaligen Weltwundertempels. © ÖAW-ÖAI / N. Gail

Die Neugründung der Stadt

Einen gewaltigen Einschnitt in die weitere Siedlungsgeschichte bedeutete die Neugründung von Ephesos unter König Lysimachos um 300 v. Chr. Die Anlage eines geplanten Zentralortes zog eine Zwangsumsiedlung aus den nahe gelegenen Kleinstädten mit sich. Von der hellenistischen Neugründung von Ephesos zeugen noch heute die 9 km lange Befestigungsmauer auf den Berghängen sowie das planimetrische, nach hippodamischem Prinzip gestaltete Stadtraster. Nur wenige, heute sichtbare Monumente datieren in die hellenistische Zeit. Das prominenteste Beispiel ist zweifelsohne das große Theater von Ephesos, das auf einen Bau des 3. Jhs. v. Chr. zurückgeht, in der Römischen Kaiserzeit allerdings grundlegend verändert wurde. Erst mit der Eingliederung Kleinasiens in das römische Reich im Jahr 133 v. Chr. und der Ernennung von Ephesos zur Hauptstadt der nun neu eingerichteten Provinz Asia – wahrscheinlich um 60 v. Chr. – begann der eigentliche Ausbau von Ephesos zu einer antiken Großstadt.

Die Metropole der Römischen Kaiserzeit

Dem bereits in der hellenistischen Zeit angelegten Raster folgend wurden nun auch die Hänge bebaut. Die Plätze und Straßen säumten Ehrenmonumente und Stiftungen wohlhabender Bürger, die dadurch ihren Reichtum zur Schau stellen konnten sowie dem Gemeinwohl dienten. Die Römer investierten auch in die Infrastruktur der Stadt. Besonderes Augenmerk galt der Wasserversorgung, um Trink- und Nutzwasser in der immer weiter wachsenden Metropole zu gewährleisten. Aquädukte führten frisches Bergwasser in die Stadt, wo dieses an zahlreichen öffentlichen Brunnenanlagen geschöpft werden konnte. Die Ausgestaltung der Nymphäen geht weit über deren praktischen Nutzen hinaus, vielmehr waren es Prunkbauten mit meist aufwendiger Architektur und Skulpturenschmuck, mit der sich die Stifter ein Denkmal setzten.

Das politische Zentrum der Stadt lag auf der Oberen Agora; hier befanden sich das Bouleuterion sowie das Prytaneion. In der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. erlangte Ephesos erstmals das Privileg, einen Tempel zu Ehren eines amtierenden Kaisers zu errichten. Dieser ursprünglich Kaiser Domitian gewidmete Kultbau bildete den Westabschluss der Agora und war aufgrund seiner einmaligen topografischen Lage auch weithin sichtbar. Nach dem Tod des Domitian und seiner damnatio memoriae, im Zuge derer jedwede Erinnerung an den Kaiser ausgelöscht werden musste, verehrte man hier ganz allgemein die flavische Dynastie.

Abb. 3 Kuretenstraße mit der Celsusbibliothek an deren Ende und dem modernen Schutzbau über Hanghaus 2.
Abb. 3 Kuretenstraße mit der Celsusbibliothek an deren Ende und dem modernen Schutzbau über Hanghaus 2. © ÖAW-ÖAI / N. Gail

Einem städtebaulich anderen Konzept unterlag die Kuretenstraße, die die Unterstadt mit der Oberstadt verband (Abb. 3). Ursprünglich als heiliger Prozessionsweg geplant, behielt sie ihren unregelmäßigen Verlauf und weicht damit vom orthogonalen Straßenraster ab. Im Verlauf der Römischen Kaiserzeit entwickelte sich die Kuretenstraße zu einem innerstädtischen Boulevard, den an beiden Seiten Ehrenmonumente und öffentliche Stiftungen zierten. In der Spätantike kann man von einer Fußgängerzone sprechen, da der Wagenverkehr durch den Einbau des Heraklestors im Osten nun endgültig unmöglich geworden war. Von den zahlreichen kaiserzeitlichen Stiftungen seien nur einige wenige beispielhaft herausgegriffen.

Das Nymphaeum Traiani beispielsweise bildete den Endpunkt einer langen Wasserleitung, die die Stadt Ephesos mit Trinkwasser versorgte. Hier konnten die Bewohner Wasser schöpfen, zudem wurde es in die nahegelegenen Häuser geleitet. Das reich geschmückte Gebäude diente aber auch dem Stifter zur Selbstdarstellung und letztendlich auch als Bindeglied zu seiner Begräbnisstätte. Denn neben dem Monument wird das Ehrengrab der Familie des Tiberius Claudius Aristion vermutet, eines der reichsten und mächtigsten Bürger der Stadt im frühen 2. Jh. n. Chr. Mit seiner Stiftung erkaufte er sich das Privileg einer innerstädtischen Bestattung.

Das wohl prominenteste Denkmal an der Kuretenstraße ist der sog. Hadrianstempel, eine Privatstiftung für das Volk von Ephesos, die ephesische Artemis und den Kaiser Hadrian (Abb. 4). Wahrscheinlich handelte es sich bei diesem Bau um eine innerstädtische Station während der jährlichen Artemisprozession. In der Spätantike renovierte man das Bauwerk erneut und schmückte es mit vier bronzenen Kaiserstatuen, die auf hohen marmornen Podesten vor den Säulen aufgestellt wurden.

Den krönenden Abschluss der Kuretenstraße bildet jedoch die Celsusbibliothek, deren Fassade in den 1970er-Jahren wiedererrichtet wurde (Abb. 5). Als öffentliche Bibliothek im frühen 2. Jh., also der trajanischen Zeit, konzipiert, nahm sie auf zwei Stockwerken etwa 10 000 Buchrollen auf. Die reich verzierte Fassade nutzten Stifter und Bauherr, Tiberius Iulius Celsus Polemaeanus sowie sein Sohn Tiberius Iulius Aquila, zur Selbstinszenierung. Unterhalb der Rückseite der Bibliothek befindet sich die Grabkammer des Celsus. Der mächtige, mit Girlanden verzierte Sarkophag steht auch noch heute an seinem originalen Standplatz.

Abb. 4 Sog. Hadrianstempel mit den Reliefs der Gründungslegenden.
Abb. 4 Sog. Hadrianstempel mit den Reliefs der Gründungslegenden. © ÖAW-ÖAI / N. Gail
Abb. 5 Celsusbibliothek und Südtor der Tetragonos Agora.
Abb. 5 Celsusbibliothek und Südtor der Tetragonos Agora. © ÖAW-ÖAI / N. Gail

Florierender Handel, Kult und Kultur

Das pulsierende Zentrum der Stadt befand sich im Hafengebiet, nahe dem in römischer Zeit künstlich gefassten Hafenbecken. Auf der Tetragonos Agora wurden die Waren verhandelt und in zahlreichen Geschäftslokalen feilgeboten. In der Nähe lag auch das große Theater von Ephesos, mit 22 000 Sitzplätzen eines der größten in der Antike (Abb. 6). Hier fanden Theateraufführungen, aber auch die munera, also Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen statt. Bekannt ist das Theater von Ephesos aber auch in seiner Funktion als Ort der Volksversammlung. Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung des Aufstandes der ephesischen Silberschmiede gegen die Missionstätigkeit des Paulus in der Apostelgeschichte. Aufgestachelt von den Silberschmieden, die um ihr Gewerbe bangten, traf das Volk im Theater zusammen, wo es zu tumultartigen Szenen kam. Schließlich skandierten die Anwesenden «Groß ist die Artemis von Ephesos» und forderten die Abreise des Paulus aus Ephesos. Das Theater blieb lange in Benutzung, bevor es in byzantinischer Zeit in die Befestigung einbezogen wurde.

Die Lebensader der hellenistischrömischen Stadt war zweifelsohne der verkehrstechnisch äußerst günstig gelegene Hafen, der spätestens ab dem 2. Jh. v. Chr. künstlich verstärkt wurde. Der Hafen bildete die Grundlage für den Aufstieg von Ephesos zu einem Handelszentrum im östlichen Mittelmeerraum und gewährleistete wirtschaftliche Prosperität über viele Jahrhunderte.

Abb. 6 Das Große Theater von Ephesos.
Abb. 6 Das Große Theater von Ephesos. © ÖAW-ÖAI / N. Gail

Christentum und späte Blüte

Die Blüte der Stadt im 1. und 2. Jh. n. Chr., die sich in einem beeindruckenden Bauprogramm manifestierte, verhinderte allerdings nicht, dass auch Ephesos in die Wirtschaftskrise des 3. Jhs. n. Chr., die in weiten Teilen des Reiches spürbar war, schlitterte. Zudem wurde die Stadt in dieser Zeit durch Naturkatastrophen stark in Mitleidenschaft gezogen. Doch erlebte Ephesos in der Spätantike eine weitere großartige Blütezeit.

Nun deutlich verkleinert lag das Zentrum der Stadt in der ehemaligen Hafengegend und wurde mit Repräsentationsbauten sowie mit Kirchen ausgeschmückt. Als Pilgerzentrum für Besucher, die die Johanneskirche, das Sieben-Schläfer-Coemeterium, das Lukasgrab oder die Marienkirche aufsuchten, wurde ein neuer, sehr lukrativer Wirtschaftszweig erschlossen. Nach dem 7. Jh. verkleinerte sich das Stadtgebiet neuerlich und konzentrierte sich auf das Areal um die Marienkirche, blieb aber bis in das 14. Jh. hinein sporadisch bewohnt.

Parallel dazu entwickelte sich spätestens ab dem 11. Jh. eine byzantinische Siedlung im Areal des bereits zerstörten Artemistempels, die in weiterer Folge in der türkischen Stadt Ayasoluk aufging. Diese erlebte im 14. Jh. ihre Blütezeit unter den Fürsten von Aydın, bevor weite Teile der Bevölkerung auf der Suche nach günstigeren Lebensbedingungen die Ebene verließen und sich in die Berge zurückzogen.

Abb. 7 Obere Agora mit dem politischen Zentrum der Stadt. Im Hintergrund der verlandete Hafen und die mittlerweile 7 km entfernt befindliche Küstenlinie.
Abb. 7 Obere Agora mit dem politischen Zentrum der Stadt. Im Hintergrund der verlandete Hafen und die mittlerweile 7 km entfernt befindliche Küstenlinie. © ÖAW-ÖAI / N. Gail

Archäologie in Ephesos heute

Heute ist Ephesos ein großes Grabungsunternehmen, das unterschiedlichste Aufgabenbereiche zu erfüllen hat. Dazu gehört archäologische Grundlagenforschung ebenso wie Denkmalschutz, Ausbildung von Studierenden und Wissensvermittlung. Aus wissenschaftlicher Perspektive liegt die größte Herausforderung in einer Verknüpfung der einzelnen Siedlungsbereiche und einer Rekonstruktion der Kulturlandschaft von Ephesos von der Urgeschichte bis in die Gegenwart (Abb. 7). Die komplexe Siedlungsgeschichte, die durch Eingriffe des Menschen und der Natur geprägt wurde, zu rekonstruieren, ist die zentrale Aufgabe der Archäologie in Ephesos.

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