Mit der Eintragung der Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen wurde 2011 erstmals Kulturgut unter Wasser in die Welterbeliste aufgenommen. Die Federführung für die gemeinsame Welterbenominierung der sechs Alpenanrainerstaaten lag beim Schweizerischen Bundesamt für Kultur. Im Zuge der Antragserstellung entstand erstmals ein Gesamtinventar der Pfahlbaufundstellen rund um die Alpen. Aus 937 der damals erfassten Fundstellen wurden in enger Abstimmung mit ICOMOS (International Council on Monuments and Sites), der Berater-Organisation des UNESCO-Welterbezentrums, 111 ausgewählt, die stellvertretend für die gesamte Serie den Welterbestatus erhielten. Davon liegen 56 in der Schweiz, elf in Frankreich, 19 in Italien, zwei in Slowenien und fünf in Österreich. Innerhalb Deutschlands befinden sich 15 in Baden- Württemberg und drei in Bayern. Die Fundstellen der transnationalen seriellen Welterbestätte liegen in den Flachwasserzonen von Seen, in Flusstälern oder unter Moorbedeckung und sind daher obertägig nicht sichtbar. Daraus resultieren die Erhaltungsbedingungen, die maßgeblich zu ihrem außergewöhnlichen universellen Wert beitragen. Unter Luftabschluss sind in ständig feuchtem Milieu insbesondere organische Materialien erhalten geblieben. Hinzu kommt, dass Architektur- und Konstruktionselemente aus Holz oft jahrgenaue Datierungen mittels Altersbestimmung anhand der Jahrringe (Dendrochronologie) ermöglichen. Damit kann die Entwicklung einzelner Siedlungen ebenso wie die Nutzung der nahe gelegenen Wälder nachgezeichnet werden, was wiederum Rückschlüsse auf frühe Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt erlaubt.
111 Fundstellen, sechs Länder, ein Welterbe – die Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen wurden gezielt als Repräsentanten der 937 erfassten Fundstellen dieser Art eingeschrieben.
International Coordination Group UNESCO Palafittes ICG, Grafik: Steffen Krauth, www.lautschrift.com
Reste von Pflanzen, Speisen und Vorräten sowie Textilien und Werkzeugen bieten ausgezeichnete Voraussetzungen für moderne bioarchäologische und paläoökologische Untersuchungen. Sie ermöglichen Einblicke in die Welt der frühen Bauern Europas, in ihren Alltag, in Landwirtschaft, Viehzucht und technische Innovationen des 5. bis 1. Jt. v. Chr. Die Eintragung der Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen erfolgte aufgrund von zwei der insgesamt zehn Kriterien zur Bestimmung des außergewöhnlichen universellen Wertes eines Gutes:
»Kriterium (iv): Die Serie der Pfahlbaufundstellen stellt eine der wichtigsten archäologischen Quellen für die Erforschung der frühen Agrargesellschaften in Europa zwischen 5000 und 500 v. Chr. dar. Die Bedingungen unter Wasser haben zur Bewahrung organischen Materials geführt, das in außergewöhnlicher Weise zu unserem Wissen über entscheidende Veränderungen in der neolithischen und bronzezeitlichen Geschichte Europas im Allgemeinen und das Zusammenwirken der Regionen im Alpenraum im Besonderen beiträgt.
Kriterium (v): Die Serie der Pfahlbauten ermöglicht einen außerordentlichen und detailreichen Einblick in Siedlungsstruktur und häusliches Leben prähistorischer frühbäuerlicher Gemeinschaften an Seeufern in den alpinen und subalpinen Regionen Europas über einen Zeitraum von fast 5000 Jahren hinweg. Die archäologischen Zeugnisse geben in einzigartiger Weise Aufschluss über das Zusammenwirken dieser Gesellschaften mit ihrer Umwelt als Reaktion auf neue Technologien sowie auf die Auswirkungen des Klimawandels.«
Jungsteinzeitlicher Dolch aus Allensbach- Strandbad. An dem Griff aus Holunderholz ist eine Klinge aus oberitalienischem Feuerstein mit Birkenpech befestigt. Datierung um 2900 v. Chr.
RPS-LAD/M. Erne
Management, Schutz und Erhalt
Mit dem Welterbestatus ist der Auftrag der UNESCO an die Vertragsstaaten und ihre zuständigen Verwaltungsbehörden verbunden, die Stätten zu schützen, für nachfolgende Generationen zu erhalten, sie zu erforschen und ihren Wert der Öffentlichkeit zu vermitteln. Diesen Auftrag verfolgen Vertreterinnen und Vertreter der sechs Alpenanrainerstaaten gemeinsam in der International Coordination Group Palafittes (ICG). Sie tauschen Erfahrungen aus, erarbeiten Managementpläne, beraten über gemeinsame Projekte und berichten regelmäßig dem Welterbezentrum in Paris über den Erhaltungszu- stand, das Management und die Vermittlung der Welterbestätte.
Schutz und Erhalt der Welterbestätte sind die vorrangigen Aufgaben für die zuständigen Verwaltungsbehörden. Angesichts des Klimawandels wird der Erhalt der empfi ndlichen Fundstellen zunehmend zu einer Herausforderung für alle Beteiligten. Umso wichtiger sind die seit Langem begründeten internationalen Tagungen zu Fragen von Schutzmaßnahmen, deren Überwachung und der Zustandskontrolle in den Fundstätten, dem sogenannten Monitoring. Für umfangreichen Erfahrungsaustausch sorgen beispielsweise die Tagung »Archéologie et Erosion«, deren dritte Zusammenkunft dem Thema Pfahlbauten gewidmet war.
Zudem sind unsere Pfahlbau-Fundstellen in nationale und internationale Forschungsprojekte eingebunden. Das Projekt SuBoLakes hat beispielsweise die Auswirkungen der Linien- und Freizeitschifffahrt unter anderem auf Pfahlbaufundstellen im Starnberger See und im Bodensee untersucht und Vorschläge zur Milderung der Auswirkungen des Wellenschlags auf die Uferzonen erarbeitet. Das EU-Projekt TRIQUETRA untersucht die Auswirkungen des Klimawandels auf Kulturerbestätten. Risiken des Klimawandels werden identifi ziert und quantifi ziert und Strategien für eine Abmilderung der Folgen entwickelt. Unter den acht Referenzfundstellen in Griechenland, Zypern, Italien, der Schweiz, Deutschland und Polen, die exemplarisch untersucht werden, befi nden sich mit Les Argilliez am Neuenburger See und der Roseninsel im Starnberger See zwei Fundstellen unserer transnationalen Welterbestätte.
Die intensive Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch auf nationaler und internationaler Ebene sind für alle Fragen rund um den Erhalt der Fundstellen in Zeiten des Klimawandels unglaublich wertvoll, ja unentbehrlich. Systematisiert wird das seit Kurzem von der ICG-Arbeitsgruppe Monitoring Underwater Heritage (MUH), die die unterschiedlichen Verfahren, Standards, Beobachtungen und Erfahrungen in den beteiligten Ländern erfasst, beschreibt und auswertet, um aus diesem Erfahrungsschatz weitere Empfehlungen abzuleiten.
Für die fotogrammetrische Aufnahme der Pfahlbauten an der Roseninsel im Starnberger See wurde die universelle Messplattform »LimnoVIS« des DLR mit einer Unterwasserkamera ausgestattet.
DLR, Stefan Plattner
DNA-Untersuchungen an Birkenpechkaugummis
Auf interessante Ergebnisse hoffen lässt auch das EU-Projekt AlpGen. Da wir nicht wissen, wo die Bewohnerinnen und Bewohner der Pfahlbausiedlungen ihre Toten bestatteten, greift das Projekt auf Birkenpechkaugummis aus Pfahlbaufundstellen zurück, um menschliche DNA zu extrahieren und die Populationsgeschichte der zirkumalpinen Region zwischen etwa 5000 v. Chr. und 500 v. Chr. zu untersuchen. Wie gut diese Methode funktionieren kann, haben Forschende der Universität Kopenhagen bereits am Beispiel eines 6000 Jahre alten Birkenpechkaugummis aus einem Moor in Dänemark gezeigt. Die extrahierte DNA verriet, dass er von einer Frau mit dunkler Haut, braunen Haaren und blauen Augen gekaut worden war, die zuletzt Wildente und Haselnüsse gegessen hatte.
Aufgrund der exzellenten Erhaltungsbedingungen kann auch anhand von Pflanzenresten, verkohlten Speisekrusten an Töpfen, Tierknochen und Parasiteneiern rekonstruiert werden, was die Bewohnerinnen und Bewohner der jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Pfahlbausiedlungen nördlich der Alpen aßen. Anlässlich von 10 Jahren Welterbe Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen wurde dieses Wissen in einem Foodblog ein Jahr lang zusammengestellt und wöchentlich leicht verdaulich und mit Rezeptvorschlägen garniert präsentiert und zwei Jahre später als Buch veröffentlicht.
Hochaufgelöstes 3D-Modell frühkeltischer Bauhölzer an der Roseninsel im Starnberger See, erstellt aus mehreren Tausend Einzelaufnahmen.
DLR, Stefan Plattner
Welterbevermittlung und Tourismus
Da die Fundstellen nicht sichtbar sind, ist die Vermittlung im Fall der Pfahlbauten besonders wichtig, denn das Wissen und die Wertschätzung in der Bevölkerung sind Voraussetzung für die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen und damit für den Erhalt unseres Welterbes für nachfolgende Generationen.
In Artikel 27 der Welterbekonvention fordert die UNESCO die Vertragsstaaten auf, »unter Einsatz aller geeigneten Mittel, insbesondere durch Erziehungs- und Informationsprogramme, die Würdigung und Achtung des in Artikel 1 und 2 bezeichneten Kultur- und Naturgutes durch ihre Völker zu stärken«.
Die Tourismusindustrie nimmt die Welterbestätten gerne als kulturelle Highlights in Anspruch. Das Welterbelogo wird dabei gelegentlich mit einem Gütesiegel für hochwertige touristische Destinationen verwechselt. Dennoch ist der Tourismus ein wichtiger Partner, weil er die Vielfalt der Vermittlungsstandorte bewirbt.
Insgesamt gilt es, denkmalverträgliche Vermittlungskonzepte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessengruppen zu erarbeiten. Informationsveranstaltungen für Lehrer, Gästeführer, Museumsmitarbeiter sind hier ebenso zu nennen wie Informationstafeln im Gelände, Homepages oder Ausstellungen zum Thema. Die Lösungen sind aufgrund der Verschiedenheit der Fundstätten vielfältig. Immer sollte erkennbar sein, dass die Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen eine länderverbindende Welterbestätte sind.
Beim Ferienprogramm im Steinzeitdorf Pestenacker erleben Kinder, wie der Mensch in der Jungsteinzeit seine Umwelt gestaltet hat.
Steinzeitdorf Pestenacker, Lkr. Landsberg am Lech, J. Leitenstorfer;
Pfahlbaudörfer, Einbaumregatta & Co.
Am bekanntesten ist in Deutschland das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen, das 2022 sein 100-jähriges Bestehen feierte. Mit seinen beeindruckenden Rekonstruktionen von Pfahlbauhäusern aus verschiedenen Epochen bildet es einen starken Kontrast zu den Originalfundstellen, von denen in der Regel nichts zu sehen ist. Deutlich älter ist das 1870 gegründete Rosgartenmuseum in Konstanz, in dem die reichen Funde, die zwischen dem 19. Jh. und heute gemacht wurden, in historischer Aufstellung in den Vitrinen des vorletzten Jahrhunderts präsentiert werden. Ebenfalls in Konstanz, am anderen Ufer des Seerheins, sind im Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg herausragende Funde aus vier Jahrzehnten Forschung des Fachbereichs Feuchtbodenarchäologie des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart zu erleben, beispielsweise ein Dolch, dessen Silexklinge mit Birkenpech in den Holzgriff eingeklebt ist, eine Halskette aus Eberzahnlamellen oder die bereits erwähnten Birkenpechkaugummis. Ein besonderes Highlight ist die Kultwand einer Pfahlbausiedlung in Ludwigshafen. Die älteste figurale Wandmalerei nördlich der Alpen wurde aus über 2500 Fragmenten, die unter Wasser ausgegraben wurden, in jahrelanger kleinteiliger Puzzlearbeit von Wissenschaftlern des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg rekonstruiert. Sie zeigt sieben lebensgroße stilisierte Frauenfiguren mit plastisch modellierten Brüsten, die um 3860 v. Chr. mit Kalkfarbe auf den Lehmputz der Innenwand eines Hauses gemalt wurden und seit 2023 im Archäologischen Landesmuseum Konstanz zu bewundern sind.
Zentraler Vermittlungsort in Oberschwaben ist das 1921 gegründete Federseemuseum in Bad Buchau, dessen Schwerpunkt die Vermittlung von Archäologie und dem Thema Pfahlbauten an die jüngere Generation ist.
Im Rahmen des Welterbemonitorings liest ein Forschungstaucher in der Fundstelle Sipplingen- Osthafen im Bodensee Erosionsmarker ab.
RPS-LAD/M. Hermanns
Im bayerischen Pestenacker hat der Ausgräber des jungsteinzeitlichen Dorfes mithilfe eines Fördervereins unmittelbar neben der UNESCO-Fundstelle einen Vermittlungsort geschaffen, der vom Landkreis Landsberg am Lech mit EU-Förderung ausgebaut wurde und Kinder mit Angeboten für Schulklassen ebenso erfolgreich anspricht wie mit seinen kreativen barrierefreien Ferienprogrammen.
Das Anliegen, Kinder möglichst früh spielerisch an das Thema Pfahlbauten heranzuführen und mit den örtlichen Fundstellen vertraut zu machen, verfolgt auch ein Schulprojekt in Alleshausen und Seekirch, das von der Federseegrundschule im Grünen und dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg entwickelt wurde und alle vier Jahre stattfindet.
Eine wichtige Ergänzung ist das Engagement von Vereinen wie beispielsweise dem Förderverein Pfahlbau-Welterbestätte Litzelstetten-Krähenhorn e. V., der alle 111 Welterbefundstellen durch ein Bronze-Alpenrelief begreifbar gemacht hat, oder der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V., die ein wichtiger Partner der Bayerischen Bodendenkmalpflege ist und sich zudem ehrenamtlich im Rahmen der Welterbetage auf der Roseninsel engagiert.
Einziges regelmäßiges Event, das auf internationaler Ebene Fachleute und begeisterte Laien unter dem Banner des Welterbes Pfahlbauten zusammenbringt, ist die Einbaumregatta, die jährlich in einem anderen Land rund um die Alpen ausgerichtet wird und 2023 in Konstanz stattfand.
Eines von drei großen Scheibenrädern bei der Freilegung in der jungsteinzeitlichen Siedlung Olzreute-Enzisholz bei Bad Schussenried, das eine ausgezeichnete Holzerhaltung aufweist und dendrochronologisch in das Jahr 2897 v. Chr. datiert.
RPS-LAD/W. Hohl