Adultismus: im Kindergarten

Adultismus ist die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen. Damit ist Adultismus eine Form der Altersdiskriminierung.

In vielen Bereichen der Kita übernehmen Erwachsene Entscheidungen, die die Kinder betreffen. So werden Kitas, Außengelände oder Spielplätze von Erwachsenen erdacht und geplant. Kita-Träger und Leitungen entscheiden, wofür Geld in Kindertageseinrichtungen ausgegeben wird.

Ob Eltern oder pädagogische Fachkräfte – meist bestimmen Erwachsene darüber, was Kita-Kinder anziehen, was sie essen, wann sie schlafen gehen. Wann Kleinkinder gewickelt werden, richtet sich in vielen Einrichtungen noch nach vorgegebenen Zeitplänen. Pädagogische Fachkräfte sagen Kindern, wann es Zeit wird, zur Toilette zu gehen. Sie sagen, was sie gut gemacht haben und was nicht. Sie können die Kinder dazu bringen, etwas zu tun oder nicht zu tun, indem sie sie begeistern und locken oder etwas verbieten. Häufig beschließen Kita-Teams – ohne Beteiligung der Kinder – , welche Projekte wann und wie durchgeführt werden.³

Adultismus äußert sich unter anderem, wie Erwachsene mit Kindern sprechen oder über sie sprechen. Typische Sätze für Adultismus in der Kita sind zum Beispiel:

• „Dafür bist du noch zu klein!“
• „Du hast gar nichts zu sagen!“
• „Was stellst du dich denn schon wieder so an?“
• „Das verstehst du noch nicht!“
• „… weil ich es sage!“
• „Kinder können das noch nicht entscheiden.“
• „Sieht Emma nicht niedlich aus in ihrem Kleid?“
• „Noah ist immer so laut.“

Immer dann, wenn Kinder in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden oder ihre Äußerungen abgetan werden, liegt ein adultistisches Verhalten vor. In solchen Fällen hilft es, sich selbst zu fragen: Wären solche Äußerungen gegenüber einem Erwachsenen in Ordnung? Falls dies nicht oder eher nicht der Fall ist, lässt sich von Adultismus sprechen.

Wenn Kinder – sowohl im Elternhaus als auch in der Kita – immer wieder die Erfahrung machen, dass ihre Bedürfnisse nicht zählen, fühlen sie sich weniger wert. Negativen Zuschreibungen, die Erwachsene ihnen gegenüber äußern, nehmen sie als wahr hin. Ein geringes Selbstwertgefühl und fehlendes Selbstvertrauen können die Folge sein.⁴

Für den Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster steht eine wertschätzende Haltung gegenüber Kindern in einem engen Zusammenhang zu Toleranz und Zusammenhalt in einer Gesellschaft: „Ein Kind, das sich nicht als wertvoll und als Teil der Gemeinschaft empfindet, wird auf andere Kinder Vorurteile übertragen, auch wenn man noch so oft dagegen anredet und argumentiert. Die Grundlage der Anerkennung des Wertes der anderen ist die Erfahrung des eigenen Wertes.“⁵

Jede Fachkraft hat in ihrer Kindheit selbst Adultismus erlebt. Daher ist es wichtig, sich zunächst mit den eigenen Adultismus-Erfahrungen zu beschäftigen. Selbstreflexion und professionelle Reflexionsprozesse im Team⁶ unterstützen pädagogische Fachkräfte, Kita-Teams und Leitung kritische Momente im Kita-Alltag erkennen. Folgende Reflexionsfragen können Kita-Teams dabei helfen, diskriminierende Verhaltensweisen leichter zu erkennen:

• Wie begegne ich Kindern?
• Was erwarte ich von ihnen?
• Wie reagiere ich, wenn ein Kind nicht essen/nicht schlafen/nicht in den Garten gehen will?
• Welche Alternativen biete ich an?
• Wie gehe ich in einer vergleichbaren Situation mit einer erwachsenen Person um?
• Wie will ich behandelt werden?

Das Gegenteil von Adultismus lautet: gelebte Partizipation in der Kita. Denn wenn pädagogische Fachkräfte Kita-Kinder als gleichwertige Akteur*innen anerkennen und sie an alltäglichen Entscheidungen beteiligen, bedeutet dies, dass sie Macht abgeben. Das rührt an das Rollenverständnis von Fachkraft, Team und Leitung. Ein erster Schritt kann hier sein, Tagesablauf und Strukturen radikal infrage zu stellen und ggf. zu ändern. Dabei hilft es, den Wochenplan zu entschlacken, um Kindern und Gruppenkräften möglichst viel unverplante Zeit zu geben. Das macht den Weg frei, von den Kindern her zu denken und ihre Interessen in den Mittelpunkt zu stellen.⁷

Welche Fachliteratur gibt es zum Thema Adultismus?

Auch wenn es die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen schon sehr lange gibt, ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen relativ neu. Adultismus betrifft viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, unter anderem Kita, Schule, Recht, Politik, kommunale Verwaltung oder Städteplanung. Empfehlenswerte Fachliteratur zum Thema Adultismus (Stand 2023):

• Finger, F. (2023): Frei und selbstbestimmt? Von wegen. Adultismus in der Kita. In: kindergarten heute 4_2023. Freiburg: Herder.
• Keßel, P. (2022): Adultismus in der KiTa. Osnabrück: Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung.
• Hohmann, K. (2022): Augenhöhe statt Strafen. Beziehungsstark in Kita, Krippe und Kindertagespflege. Freiburg: Herder.
• Liebel, M. (2020): Unerhört. Kinder und Macht. Weinheim: Juventa Verlag.
• Liebel, M./Meade, P. (2023): Adultismus. Die Macht der Erwachsenen über die Kinder. Eine kritische Einführung. Berlin: Bertz + Fischer.
• Winkelmann, A./Deutsches Rotes Kreuz Generalsekretariat (Hrsg.) (2022): Machtgeschichten. Ein Fortbildungsbuch zu Adultismus für Kita, Grundschule und Familie. Limbach-Oberfrohna: edition