Propheten

Prophet (griechisch = öffentlicher Künder) bezeichnet in der Umgangssprache einen Menschen, der Zukünftiges voraussagen kann, das aus Vergangenheit und Gegenwart nicht erschließbar ist.

Die religionswissenschaftliche Verwendung des Begriffs Prophet ist der biblischen Tradition entnommen; der Begriff Prophet umfasst in den Religionen wie im AT und NT ganz unterschiedliche Erscheinungsformen. Nicht alle Gründer-, Künder- und Priestergestalten oder Ekstatiker werden mit Recht als Prophet bezeichnet. Am nächsten mit der prophetischen Tradition der Bibel verwandt sind die im Islam respektvoll genannten Propheten (= Offenbarungszeugen, Gottgesandte), zu denen auch Jesus zählt und deren unüberholbaren Höhepunkt Mohammed darstellt.

Biblisch

Die LXX übersetzt mit Prophet (griechisch „prophetes“) das hebräische „nabi“ (Bedeutung vielleicht „Rufender“ oder „Berufener“), Mehrzahl „nebi’im“. Die männliche Form Prophet darf nicht übersehen lassen, dass das AT auch Prophetinnen kennt (Mirjam; Debora; die Frau des Jesaja; Hulda; Noadja; eine Prophetinnengruppe Ez 13). Die Zeugnisse über die älteren Prophetengestalten lassen kein einheitliches „Bild des Propheten“ erkennen. Als Propheten werden Abraham, Mose, Aaron und Bileam bezeichnet; neben prophetischen Gruppen treten Einzelgestalten der „Vorderen Propheten“ (Jos bis 2 Kön) hervor: Josua, Samuel, Natan, Gad, Ahija, Micha ben Imla, Elija, Elischa, Jesaja. Die Gruppe der „Hinteren Propheten“ umfasst die mit Amos im 8. Jh. beginnenden sogenannten Schriftpropheten (deren Verkündigung natürlich mündlich war) und die dem Umfang der Bücher nach in die „Großen“ (Jesaja, Jeremia, Klagelieder, Ezechiel, Daniel) und „Kleinen Propheten“ (Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi) eingeteilt werden. Dieser „Kanon der Propheten“ war um 200 v.Chr. vollständig.

Die Verbindung der Propheten zum Königshof und zu Kultorten bzw. Tempel war so unterschiedlich wie die Redeformen (Scheltworte wegen der Sünden, Drohworte mit der Ankündigung kommenden Unheils, Mahnworte; jeweils teils an Israel, die Völker oder an Gruppen oder einzelne Menschen gerichtet). Letztere sind gelegentlich mit Zeichenhandlungen verbunden. Den in der prophetischen Verkündigung den meisten Raum einnehmenden Gerichtsansagen folgen in unterschiedlich starker Weise Ausblicke auf eine Heilsmöglichkeit. Es wäre jedoch nicht sachgemäß, die Propheten nur als Mahner und Warner anzusehen. Unheils- wie Heilsbotschaft, Sozial- wie Kultkritik der Propheten bekunden in situationsbezogener und eindringlicher Weise, dass Gott durch sie sein „Wesen“ und seinen Willen offenbaren wollte. So dürfen sie in erster Linie als Vermittler der Offenbarung Gottes gelten.

Bei der Annahme der prophetischen Botschaft spielten die Persönlichkeit des Propheten und die Konsequenz in der Treue zu seiner Aufgabe die entscheidende Rolle. Die Berufung der Propheten durch Gott wird in den Berufungserzählungen eindrucksvoll geschildert.

Innerhalb des Judentums wurden die Propheten als die von Gott berufenen Mahner zur Tora- Treue besonders gewürdigt. Außerhalb des Judentums hatten die Sozial- und die Kultkritik der Propheten bis zur Gegenwart die größte Wirkungsgeschichte.

Im Christentum wurden Aussagen der Propheten häufig als Ansagen der Heilsereignisse in Jesus Christus verstanden. Die Hochschätzung der Propheten des AT kommt im NT durch die Bezeichnung der Heiligen Schrift als „Gesetz und Propheten“ (viele Zeugnisse), durch das Bekenntnis, dass Gott durch sie zu den Vätern gesprochen habe (Apg 3, 18 21; Hebr 1, 1; 2 Petr 1, 21) und durch die positiven Äußerungen zu ihrem Glauben und Leiden (viele Zeugnisse) zum Ausdruck. Mose und Elija werden besonders hervorgehoben; Johannes der Täufer gilt als zweiter Elija (Mk 9, 11 ff. par. u. ö.), Jesus als zweiter Mose (Apg 3, 22 f.; 7, 37 u. ö.). Jesus verstand zweifellos seine Sendung als prophetische; seine „Sendungsautorität“ lässt ihn als den unüberholbaren Offenbarer Gottes und seiner Weisungen erscheinen. Er deutete sein Schicksal als das eines Propheten (Mk 6, 4 par.; Mt 23, 37 par. u. ö.) und zählte sich zu den Propheten Israels als deren letzten (Mk 12, 1–12 par.). Die Exegese spricht von einer in den Evangelien fortschreitenden „Entschärfung“ des Prophetentums (gerade auch Jesu), die mit der zunehmenden Hellenisierung in Verbindung gebracht wird. Die Überbietung der Zeichenhandlungen durch massive Wunder soll offenbar die Überlegenheit Jesu über die Propheten des AT verdeutlichen.

Die Urgemeinde ist durch prophetische Inspiration gekennzeichnet (Apg 2 und 3) und nimmt die Ansage der Ausgießung des göttlichen Geistes auf das ganze Volk (Joel 3,1–5) für sich in Anspruch (Apg 2, 14–30). Die Apg verdeutlicht ihre Überzeugung, dass die Kirche vom Geist Gottes geleitet ist, durch Darstellungen prophetischen Wirkens. Paulus schreibt der Prophetie wichtige Aufgaben, darunter Ermutigung, Trost, Belehrung und Mahnung, zu (1 Kor 14). Das paulinische Schrifttum enthält viele Zeugnisse über Prophetinnen und Propheten (außer 1 Kor 11–14 auch Röm 12, 6; 1 Thess 5, 20). Bemerkenswert sind die Aufnahme der Propheten in die grundlegenden kirchlichen Funktionen zusammen mit Aposteln und Lehrern (1 Kor 12, 28) bzw. mit den Aposteln allein (Eph 2, 20; 3, 5; 4, 11). Als Prophetie versteht der Verfasser der Offb seine Verkündigung. In Offb ist vielfach von frühchristlichen Propheten die Rede. In vielen Texten des NT wird vor „falschen Propheten“ gewarnt. In der alten Kirche wurden die Propheten seit dem 3. Jh. durch die „Lehrer“ verdrängt.

Systematisch

In theologischer Hinsicht ist das Prophetentum in der Kirche zu Ende: Wenn ein Prophet seinem Wesen nach der vom Geist Gottes inspirierte Vermittler der „amtlichen“, „öffentlichen“ Offenbarung Gottes an die Menschen ist, dann ist mit dem Abschluss dieser Offenbarung auch die eigentlich prophetische Aufgabe zu Ende. In der Zeit danach bestand und besteht die wichtigste Verkündigungsaufgabe in der aktualisierenden Vermittlung und authentischen Interpretation dieser „amtlichen“ Offenbarung. Die apologetisch orientierte Theologie, die nach Legitimationen der Offenbarungsträger (im Zusammenhang mit den Glaubwürdigkeitsmotiven) fragte, war wesentlich daran beteiligt, dass die Prophetie seit Irenäus von Lyon († um 202) als Voraussage des Künftigen verstanden wurde. Da man bis ins 20. Jh. davon ausging, dass die Heilsansagen der Propheten des AT in Jesus Christus vollkommen „erfüllt“ worden waren, war in theologischer Sicht auch die Aufgabe der Prophetie als Weissagung bereits in der Vergangenheit zu Ende gegangen; auch hier bedurfte es nur noch der weitergehenden Interpretation. Aber auch die seither gewonnene Erkenntnis, dass die Erlösung und Vollendung ansagenden Verheißungen in Jesus Christus nicht erfüllt wurden, macht zwar die weitere Erinnerung und Bezeugung dieser Verheißungen, nicht aber neue Offenbarungen notwendig.

Die Empfängerinnen und Empfänger von Privatoffenbarungen im katholischen Sinn können nicht als Prophetinnen und Propheten gelten. Bei der Übernahme der calvinischen Drei-Ämter-Lehre in die katholische Soteriologie wurde das „Prophetenamt „ Jesu Christi mit dem Amt des Lehrers identifiziert. Alle diese Faktoren trugen dazu bei, das Prophetentum im Christentum für „erfüllt“ und damit für beendigt anzusehen. Gegenüber dieser Auffassung meldete und meldet sich in der Kirche immer wieder „prophetischer Freimut“ zu Wort. Er wird sowohl von kirchlichen Autoritäten als auch von einer aufgeklärten Öffentlichkeit kritisch nach seiner Berufung, Legitimation und Vollmacht befragt. Er wird auch darauf hingewiesen, dass es Aufgabe aller Glaubenden ist, „die Menschen für Gottes Zukunft zu öffnen“, und dass Gottes Geist die dafür notwendigen Charismen in der Kirche gibt, ohne dass sich individuelles elitäres Selbstbewusstsein die Attitüde des Prophetischen zulegen müsste. Die Warnung vor „falschen Propheten“ bleibt aktuell.

Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder

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