Ökumene

Der Begriff „Ökumene“ bezeichnet die um sichtbare Einheit bemühte Verständigung zwischen den getrennten Kirchen der Christenheit.

Ökumene
Der Begriff „Ökumene“ bezeichnet die um sichtbare Einheit bemühte Verständigung zwischen den getrennten Kirchen der Christenheit. © Pixabay

Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland ist Ökumene hierzulande nahezu ein Synonym für jene Ökumene zwischen der Römisch-katholischen Kirche und den protestantischen Kirchen. Eine sich an theologischen Kontroversthemen abarbeitende „Experten-Ökumene“ ist von einer eher alltagsbezogenen Basis-Ökumene zu unterscheiden – jedoch nicht von ihr zu trennen.

Geschichte

Die gesamte Kirchen- und Christentumsgeschichte zeugt von dem fortwährenden Ringen um sichtbare Einheit. Noch bevor sich die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen von Rom abspalteten (wodurch die Römisch-katholische Kirche ihrerseits mit dem Konzil von Trient zu einer Konfessionskirche wurde), kam es bereits im Jahre 1054 n. Chr. zu einem Riss zwischen der Kirche des Westens und der des Ostens. In Deutschland wird die Ökumene allerdings dominiert von der seit dem 16. Jh. notwendig gewordenen Verständigung zwischen der Römisch-katholischen Kirche und den protestantischen Kirchen.

Mit dem Reformationsjubiläum 2017 gedachte die Christenheit des Thesenanschlags Martin Luthers am 31.10.1517, mit dem er keineswegs eine Kirchenspaltung herbeiführen wollte. Eine katholische Sicht auf diesen wirkmächtigen Reformator und eine Antwort auf die Frage nach seiner bleibenden ökumenischen Relevanz liefert Peter Neuner in seinem Buch Martin Luthers Reformation.

Obwohl die Reformation zuerst und vor allem ein theologisches Ereignis war, prägte sie neben der religiösen Landschaft ganz Europas und der Welt auch ihre Politik und Gesellschaft. Der Reformationshistoriker Rolf Decot bewertet die Reformation in seiner Geschichte der Reformation in Deutschland gar als eine der einschneidendsten Epochen der Welt-, Kirchen- und Theologiegeschichte.

Die Ökumenische Bewegung

Die neuzeitliche Ökumenische Bewegung setzt ein mit der ersten Weltmissionskonferenz im Jahre 1910 in Edinburgh. Der natürliche Zusammenhang von Ökumene und Mission wird mit dieser Konferenz besonders deutlich. Den Teilnehmern war klar, dass eine wirksame Mission nur möglich sei, wenn sie von einer versöhnten Christenheit ausgehe. Weitere Ereignisse von großer Bedeutung für die Ökumene folgten. Stellvertretend seien im Folgenden nur die wichtigsten genannt.

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK)

1948 wurde in Amsterdam der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gegründet. In ihm schließen sich heute 348 Mitgliedskirchen aus 120 Ländern zusammen, die sich in regelmäßigen Vollversammlungen zu wechselnden Themen austauschen. Mit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) verfügt der ÖRK über einen Arbeitsbereich, der sich theologisch fundiert mit den kontroversen Themen zwischen den Kirchen beschäftigt.

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK)

Bereits kurz vor Gründung des ÖRK kam es in Deutschland zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Angesichts der Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg sollten so das gemeinsame Zeugnis und der gemeinsame Dienst gestärkt werden. 1974 trat auch die Römisch-katholische Kirche der ACK bei. Heute hat sie 17 Mitgliedskirchen und sechs Gastmitglieder.

Das Zweite Vatikanische Konzil

Mit dem Dekret Unitatis redintegratio (UR) trat die Römisch-katholische Kirche ab dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) in die Ökumenische Bewegung ein. In diesem Dekret werden die katholischen Prinzipien des Ökumenismus dargelegt und die Schuld an der Trennung auf beiden Seiten beklagt. Obwohl die Römisch-katholische Kirche darin den Zugang zur ganzen Fülle des Heils ausschließlich für sich selbst reklamiert, führt sie auch den Begriff einer „Hierarchie der Wahrheiten“ innerhalb der katholischen Lehre ein. Damit soll der ökumenische Dialog dahingehend geöffnet werden, dass nicht die Übereinstimmung in allen Lehrstücken zur Voraussetzung einer sichtbaren Einheit gemacht wird. Das Konzil richtet mit dem Dekret einen eindringlichen Appell an alle Katholiken: „Daher mahnt dieses Heilige Konzil alle katholischen Gläubigen, daß sie, die Zeichen der Zeit erkennend, mit Eifer an dem ökumenischen Werk teilnehmen.“

Zum Ende des Konzils, am 07.12.1965, mündete die Aufnahme des Dialogs zwischen der Römisch-katholischen Kirche und den östlichen Kirchen in die historische „Tilgung“ der Bannsprüche von 1054. Seither gelten die gegenseitigen Verurteilungen als aufgehoben, wenngleich damit auch noch keine volle Kirchengemeinschaft besteht.

Im Verlag Herder erscheint mit Forum Ökumene eine Reihe, in der sich eine Kommission junger orthodoxer und katholischer Theologinnen und Theologen der Stiftung PRO ORIENTE diesem orthodox-katholischen Dialog widmet. Kurt Kardinal Koch, der Präsident des Päpstlichen Rats für die Förderung der Einheit der Christen, bescheinigt dieser Kommission eine „frische Leidenschaft für die Ökumene zwischen Ost und West“.

Die Leuenberger Konkordie (1973)

Im Jahre 1973 beendete die Leuenberger Konkordie die jahrhundertelange Trennung zwischen lutherischen und reformierten Kirchen und stellte zwischen ihnen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft her. Stephanie Dietrich widmet sich diesem historischen Ergebnis innerprotestantischer Ökumene und der aus ihr hervorgegangenen Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in ihrem Beitrag (Sichtbare) Einheit in versöhnter Verschiedenheit? Das ökumenische Modell der Leuenberger Kirchengemeinschaft zu dem Buch Ökumene – überdacht. Reflexionen und Realitäten im Umbruch. Dieser Band vereint nicht nur einzelne Themen der Ökumene, sondern leistet auch einen Beitrag zu einer von vielen Seiten angemahnten ökumenischen Theoriebildung.

Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999)

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts versammeln sich namhafte Theologen im Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK). Die Studien, die dieser sich unabhängig und wissenschaftlich arbeitend verstehende Kreis seither erarbeitet hat, haben nicht nur der deutschsprachigen Ökumene entscheidende Impulse geliefert. So leistete der ÖAK wichtige Vorarbeiten für das Zweite Vatikanische Konzil und bereitete mit seiner Studie Lehrverurteilungen – kirchentrennend? (1986) die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) des Lutherischen Weltbundes (LWB), der Römisch-katholischen Kirche und dem Weltrat methodistischer Kirchen vor. Darin wird aufgrund eines Konsenses in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre festgestellt, dass die gegenseitigen Lehrverurteilungen des 16. Jh. die Lehre des Partners über die Rechtfertigung des Sünders vor Gott nicht treffen und damit keine kirchentrennende Wirkung haben. Die GER bündelt damit die Ergebnisse eines 30-jährigen Dialogs zwischen der Römisch-katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über ein Thema, das maßgeblich zur Spaltung der Christenheit in der Reformationszeit beigetragen hat. Die feierliche Unterzeichnung der Erklärung fand am 31.10.1999 in Augsburg statt.

Ökumene heute

Die Ökumene stellt sich heute dar als ein enorm vielgestaltiger Komplex, mit verschiedensten Akteuren, die auf mehreren Ebenen agieren. Ökumene ereignet sich lokal, bilateral und multilateral. Eine vornehmlich an theologischen Lehrgesprächen interessierte „Experten-Ökumene“ steht einer vor allem mit praktischen Fragen befassten Basis-Ökumene ergänzend gegenüber. Ebenso wie die ökumenische Praxis einer theologischen Reflexion bedarf, laufen theologische Lehrgespräche letztlich ins Leere, wenn ihre Ergebnisse nicht in der gelebten Frömmigkeit vor Ort wirksam werden.

Ökumene im Wandel

In der ökumenischen Begegnung von Fachtheologen und kirchlichen Würdenträgern lässt sich hinsichtlich des angestrebten bzw. erreichten Ziels eine Konsens-Ökumene von einer Konvergenz-Ökumene unterscheiden. Während ein Konsens eine Übereinstimmung in einer strittigen Frage formuliert, stellt eine Konvergenz eine Annäherung dar. In letzter Zeit ist zudem ein Wandel von einer Konsens- hin zu einer Differenzökumene zu beobachten.

Dazu hat Harding Meyer den heute sehr populären aber nicht unumstrittenen Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ eingeführt. In Anlehnung an diesen Begriff betitelte die Herder Korrespondenz 2010 ein eigenes Themenheft zur Ökumene mit zahlreichen Beiträgen ausgewiesener Experten.

Die globalen Veränderungsprozesse innerhalb des Christentums haben auch Konsequenzen für die Situation und die Themen der Ökumene. So birgt die Konzentration auf die Erträge der deutschsprachigen Ökumene die Gefahr, die Verschiebung des Schwerpunktes des Christentums von Nord nach Süd und das rasante Wachstum pentekostaler, evangelikaler und charismatischer Bewegungen aus dem Blick zu verlieren. Die Herausgeber des katholischen Mission Manifest, hinter dem sich Vertreter von 100 Gemeinschaften, Initiativen und Werken in der katholischen Kirche versammelt haben, äußern daher ihre Bereitschaft von den Freikirchen zu lernen und die ökumenische Kooperation zugunsten der Mission zu intensivieren.

Walter Kardinal Kasper, langjähriger Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, plädiert in seinem neuesten Buch, das er gemeinsam mit dem Protestanten Ulrich Wilckens verfasst hat, ebenfalls für eine Stärkung der Ökumene. Nur so könne die Relevanz der Kirche für die Gesellschaft gesichert werden. Mit ihrem Weckruf Ökumene richten sich die Autoren dabei nicht so sehr an jene Christen, die sich an (historischen) Lehrunterschieden stoßen, sondern an jene, die eine „Praxis lautlosen Auszugs aus dem Glauben ihrer Kirchen“ betreiben.

Was die Themen der Ökumene der Gegenwart anbelangt, so sind sich viele Beobachter einig, dass einige Lehrunterschiede bereits als ausgeräumt gelten können. Demgegenüber sei aber ein zunehmender Dissens in moral- und sozialethischen Fragen festzustellen.

Unter den noch offenen Fragen in den theologischen Lehrgesprächen wird das Amts- und Kirchenverständnis als das derzeit dringlichste Thema betrachtet, dem sich der ökumenische Dialog zwischen der Römisch-katholischen und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen verstärkt zuwenden sollte.

Ökumene in den Krisen der Welt

Das 20. Jh. wurde nicht zuletzt zu einem Jahrhundert der Ökumene, weil die äußeren Umstände zweier Weltkriege die Kirchen zu einer entschiedeneren Einheit drängten. Dass der politisch-gesamtgesellschaftliche Kontext ebenso auf die Kirchen und ihre Theologie zurückwirkt, wie Kirche und Theologie auf Politik und Gesellschaft Einfluss nehmen, zeigen Klaus Mertes und Antje Vollmer in ihrer Streitschrift für die Einheit der Christen. Aus Anlass ökumenischer Gottesdienstfeiern in Gedenken an den Widerstand gegen das NS-Regime erwuchs zwischen ihnen ein Briefwechsel um die Bedeutung des christlichen Abendmahls. Der festen Überzeugung, dass sich die Einheit der Kirchen in den Krisen der Gegenwart bewähren muss, stellen sie den Ökumene-Begriff im Jahre 2016 in den Kontext des Terrors.

Wie kann ich zur Ökumene beitragen?

Die Ökumene ist vielgestaltig und komplex, aber nicht notwendigerweise kompliziert. Jeder kann nach seinen Möglichkeiten seinen individuellen Beitrag zur Ökumene leisten. Einzige Voraussetzung ist die prinzipielle Aufgeschlossenheit gegenüber der jeweils anderen Gestalt des einen christlichen Glaubensgehalts und auch gegenüber den Anfragen, die sich von dorther an die eigene Tradition richten.

Die Ökumene lebt (wie so vieles andere auch) von dem Engagement Einzelner vor Ort. Beteiligen Sie sich deshalb beispielsweise im Ökumene-Ausschuss Ihres Pfarrgemeinderates. Wenn es keinen solchen gibt, gründen Sie einen. Besuchen Sie Veranstaltungen anderer Kirchen in Ihrer Umgebung und laden Sie zu Ihren ein. Organisieren Sie gemeinsame Veranstaltungen und Unternehmungen wie gemeinsame Bibelkreise, Chöre, (Pilger-)Reisen oder gottesdienstliche Feiern zu (ökumenisch) bedeutsamen Anlässen.

Der Durchdringung aller (kirchlichen) Lebensbereiche mit dem Evangelium sind keine Grenzen gesetzt. Ebenso wenig den ökumenischen Gelegenheiten.

Die Reichweite des Ökumene-Begriffs

Der griechischen Wortbedeutung und –verwendung zufolge bezeichnet der Begriff Ökumene schlicht den ganzen bewohnten Erdkreis. Zeitweise bezog sich die Bedeutung aber auch allein auf das Römische Reich. Im Zuge der ersten Synoden und Konzilien seit dem 4. Jh. n. Chr. erlangte der Begriff seinen bleibenden kirchlichen Wortsinn: universal, allgemeingültig. Heute ist der Begriff vom Anliegen der Ökumenischen Bewegung geprägt. Dem Bemühen um eine Verständigung zwischen den christlichen Konfessionen mit dem Ziel einer sichtbaren Einheit, die dem biblisch bezeugten Gebet Jesu Christi gerecht wird: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Johannes 17,21).

Über diese Verwendung hinaus, wird der Ökumene-Begriff seit Mitte des letzten Jahrhunderts vereinzelt auch auf Gespräche mit nichtchristlichen Religionen ausgeweitet. Etabliert haben sich hierzu Begriffe wie Makro-Ökumene oder auch Abrahamische Ökumene für den Dialog zwischen Judentum, Christentum und Islam.

Eine besondere Rolle kommt dabei dem jüdisch-christlichen Dialog zu. So bezeichnete der katholische Theologe Erich Przywara die Trennung zwischen Synagoge und Kirche als den „Ur-Riss“ im Frühchristentum. Dementsprechend wird die Beziehung zum Judentum in der Römisch-katholischen Kirche auch dem Zuständigkeitsbereich des Einheitssekretariats zugeordnet, und nicht dem interreligiösen Dialog. Ebenso vertrat Karl Barth, der große „Kirchenvater“ des Protestantismus des 20. Jahrhunderts, die Meinung, es gebe nur eine tatsächliche, große, ökumenische Frage – die Beziehung zwischen Judentum und Christentum.

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